Die Angst vor dem tödlichen Virus ergreift die USA Von Jürgen Bätz, dpa

Die USA schienen zunächst vom Coronavirus verschont zu bleiben. Doch
jetzt steigen die Fallzahlen rapide an. Mit Blick auf die Todeszahlen
in Europa geht die Angst um. Trump wird nun für sein Krisenmanagement
kritisiert. Und viele Amerikaner fürchten um ihre Jobs.

New York/Washington (dpa) - Die Straßen sind leergefegt, Passanten
und der normalerweise dichte Verkehr haben der Angst vor dem Virus
Platz gemacht. Innerhalb von zehn Tagen ist das neuartige Coronavirus
von einem Problem im fernen Asien und Europa zu einer amerikanischen
Krise geworden. Die Zahl der Erkrankungen ist etwa um den Faktor 20
in die Höhe geschnellt, Schutzmasken und Beatmungsgeräte werden
knapp. Von New York bis nach Los Angeles an der Westküste unterliegt
fast ein Drittel der 330 Millionen Amerikaner Ausgangsbeschränkungen.
Viele Menschen fürchten wegen des wirtschaftlichen Einbruchs jetzt
auch um ihre Jobs. Die USA sind ein Land im Ausnahmezustand.

«Wenn wir den Leuten nicht sagen, zu Hause zu bleiben und ihr
Verhalten zu ändern ... dann haben wir Zehntausende Todesfälle mehr»,

warnte der Gouverneur des Bundesstaates Illinois, JB Pritzker, am
Sonntag im Gespräch mit dem Nachrichtensender CNN. Der Staat hat für
seine rund 13 Millionen Einwohner, inklusive der Großstadt Chicago,
eine weitgehende Ausgangssperre verhängt. Im ganzen Land sind bereits
mehr als 7000 Soldaten der Nationalgarde im Einsatz gegen das Virus,
die Streitkräfte bereiten sich bereits auf weitere Missionen vor.
Vielerorts fehlt es an den nötigen Coronavirus-Tests, weswegen das
Ausmaß der Epidemie in den USA wohl noch nicht absehbar ist.

KRISENHERD NEW YORK

Der Bundesstaat New York ist bislang mit mehr als 20 000
Sars-CoV-2-Infektionen landesweit am schlimmsten betroffen. In der
Metropole New York sind die meisten Geschäfte und viele Restaurants
geschlossen, die Krankenhäuser sagen alle nicht notwendigen Eingriffe
ab. Die Stadt bemüht sich verzweifelt, mehr Intensivbetten zu
schaffen. Ein Lazarettschiff des US-Militärs mit 1000 Betten soll
bald eintreffen. Zudem soll das Militär unter anderem in einem
Messezentrum in Manhattan ein Notlazarett mit nochmals bis zu 1000
Betten einrichten, weitere sind für angrenzende Gebiete im Staat New
York angefordert.

«Wenn wir diese Einrichtungen bilden, werden wir Leben retten. Wenn
nicht, werden Menschen sterben», erklärte Gouverneur Andrew Cuomo vor
Journalisten. Gleichzeitig appellierte er an die knapp neun Millionen
Menschen in New York, sich an die Ausgangsbeschränkungen zu halten,
nachdem es am Samstag bei Frühlingswetter zu Menschenansammlungen in
öffentlichen Parks gekommen war. «Das ist nicht das Leben, wie wir es
gewohnt sind», sagte Cuomo. Etwa 40 bis 80 Prozent der Bevölkerung
würden in den kommenden Monaten infiziert werden, warnte er.

Auch in Los Angeles waren am Wochenende laut Bürgermeister Eric
Garcetti viele Menschen in Parks, an Stränden und auf Wanderwegen.
Dabei kamen sie sich US-Medien zufolge auch näher als die erlaubten
sechs Fuß (etwa 1,8 Meter). Garcetti ordnete daraufhin an, alle
Sport- und Freizeitanlagen in den Parks sowie die Parkplätze an den
Stränden der Millionenmetropole zu schließen.

Fotos aus Chicago und Los Angeles zeigten unterdessen fast leere
mehrspurige Straßen, in Florida waren nach behördlichen Anordnungen
menschenleere Strände zu sehen. Kirchen blieben in vielen
Landesteilen geschlossen, Gottesdienste gab es vor allem über
Livestream. Eine katholische Kirche im Bundesstaat Maryland wiederum
öffnete ihren Parkplatz für Beichten: Ein Gläubiger kann dort halten

und ein Pfarrer nimmt - in vorgeschriebener Sicherheitsentfernung von
etwa zwei Metern - dann die Beichte ab.

FEHLENDE SCHUTZKLEIDUNG

Bis Montag infizierten sich in den USA mehr als 35 000 Menschen mit
dem Virus Sars-CoV-2. Mehr als 470 Menschen starben, wie aus einer
Aufstellung der EU-Seuchenbehörde ECDC hervorgeht. Die Fallzahlen
stiegen weiter rasant an, vor allem in New York.

Dort warnte Bürgermeister Bill de Blasio, dass den Krankenhäusern
deswegen schon bald Masken und Schutzkleidung ausgehen würden. Die
Stadt brauche dringend die Hilfe der Regierung in Washington. «Wenn
wir in den nächsten zehn Tagen nicht mehr Beatmungsmaschinen
bekommen, werden Menschen sterben, die sonst nicht sterben müssten»,
sagte er im Gespräch mit CNN. «Das ist die neue Realität in den
Vereinigten Staaten von Amerika - es beginnt hier, aber es wird alle
50 Bundesstaaten erreichen», warnte de Blasio.

«April wird wesentlich schlimmer sein als März und Mai kann schlimmer
sein als April. Das ist schlicht die Wahrheit», sagte de Blasio.
Präsident Donald Trump müsse das Militär mobilisieren, forderte er.
«Wir brauchen unsere Streitkräfte und wir brauchen sie jetzt.»

HEFTIGE KRITIK AN TRUMP

Viele Gouverneure klagen, dass die Regierung von US-Präsident Trump
nicht genug tue und dass es zum Beispiel an Masken und Schutzkleidung
fehle. Trump schlug daraufhin am Samstag - entgegen geltender
Vorschriften - vor, Krankenhäuser könnten Masken einfach
desinfizieren und wiederverwenden. Der Präsident hatte die Epidemie
noch bis Ende Februar kleingeredet und muss sich daher inzwischen den
Vorwurf gefallen lassen, die Krise durch zu spätes Handeln angefacht
zu haben. Inzwischen tritt er fast täglich bei Pressekonferenzen auf
und lobt ausführlich das Krisenmanagement seiner Regierung.

Kritiker blieben davon unbeeindruckt. «Erst wurde uns gesagt, [das
Virus] war nur ein Scherz, dann haben wir gehört, dass alles in
Ordnung sein wird, dann hieß es, die Wirtschaft sei in guter
Verfassung, bis der Zusammenbruch kam», sagte die demokratische
Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez mit Blick auf Trump. Genauso wie
mehrere Gouverneure forderte die New Yorkerin Trump auf, ein Gesetz
aus Kriegszeiten zu nutzen, um die Privatwirtschaft zur Produktion
von Schutzkleidung, Masken und Beatmungsgeräten zu zwingen. «Wir
können nicht warten, bis Menschen wirklich in großer Zahl sterben.»

WIRTSCHAFTLICHER ABSTURZ

Die Ausgangsbeschränkungen haben große Teile der Wirtschaft zum
Erliegen gebracht. Die Menschen gehen nicht mehr Essen, reisen nicht
mehr und kaufen nur noch das Nötigste ein. Analysten rechnen daher
mit einer Rezession und einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit -
und das in einem Land mit sehr begrenzter Arbeitslosenversicherung.

Entlassungen können in den USA im Vergleich zu Deutschland sehr
schnell passieren. Erste Daten deuten auf einen sprunghaften Anstieg
der Arbeitslosenquote hin. Der US-Kongress strickt daher bereits ein
massives Konjunkturpaket, das unter anderem direkte Zahlungen an alle
Amerikaner, Kredite für notleidende Unternehmen und eine Verbesserung
der Arbeitslosenversicherung vorsieht. Das Volumen soll mehr als eine
Billion Dollar (900 Milliarden Euro) umfassen.

Trump kommt der absehbare wirtschaftliche Abschwung im Wahljahr
höchst ungelegen. Die während seiner Amtszeit gute Wirtschaftslage
war bislang im Vorfeld der Präsidentenwahl am 3. November eine seiner
wichtigsten Wahlkampfbotschaften. Trump verbreitet derweil Optimismus
und erklärt, die Wirtschaft werde nach dem «Sieg» über das Virus
wieder «wie eine Rakete» durchstarten. Experten bezweifeln dies aber.