«Bitte ziehen Sie alle mit»: Merkel verkündet massive Kontaktsperre Von Martin Romanczyk und Henning Otte, dpa

Deutschland schottet sich mit krassen Maßnahmen gegen das Coronavirus
ab: Um die weitere Verbreitung aufzuhalten, dürfen die Menschen jetzt
nur noch höchstens zu zweit auf die Straße. Die Kanzlerin selbst ist
nun auch in Quarantäne. Ein Land im beispiellosen Ausnahmezustand.

Berlin (dpa) - Deutschland versucht, das Coronavirus mit einer
bundesweiten Kontaktsperre aufzuhalten. Bund und Länder einigten sich
am Sonntag darauf, dass Ansammlungen von mehr als zwei Personen für
zunächst zwei Wochen verboten werden sollen. Ausnahmen gibt es nur
für Angehörige, die im eigenen Haushalt leben. Die Polizei werde
Verstöße hart bestrafen.

In Deutschland waren bis Sonntag mehr als 24 100 Infektionen mit dem
neuen Coronavirus bekanntgeworden. Mehr als 90 mit Sars-CoV-2
Infizierte sind bislang bundesweit gestorben. Die neuen strengen
Regeln sollen die Ausbreitung verlangsamen. Nur so könnten genügend
Intensivbetten in Kliniken für schwerkranke Infizierte frei bleiben.

Merkel appellierte an die Bürger: «Bitte ziehen Sie alle mit.» Und:

«Zeigen Sie Vernunft und Herz.» Der neue Plan umfasst neun Punkte,
unter anderem werden auch Restaurants geschlossen. Die Kanzlerin
begab sich am Abend selbst in häusliche Quarantäne. Sie hatte Kontakt
zu einem Arzt, der mittlerweile selbst infiziert ist. Die Sitzung des
Bundeskabinetts an diesem Montag, bei der umfangreiche Notpakete für
Unternehmen, Beschäftigte und Kliniken geschnürt werden sollen, wird
sie von zuhause leiten müssen.

Indes bestimmt der Kampf gegen die Folgen des Coronavirus weiter das
Leben rund um den Globus. Die ökonomischen, politischen und
gesellschaftlichen Folgen sind nicht einmal grob abzuschätzen.
Besonders schlimm trifft die Corona-Krise Italien.

KONTAKTVERBOT UND MEHR

Der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist nur noch alleine, «mit einer
weiteren nicht im Haushalt lebenden Person oder im Kreis der
Angehörigen des eigenen Hausstands gestattet». Größere Partys auf
Plätzen, aber auch zuhause soll es nicht mehr geben. Cafés,
Restaurants und Kneipen müssen ab sofort schließen. Es dürfen nur
noch Speisen abgeholt oder nach Hause gebracht werden. Dicht machen
müssen nun auch Friseure, Kosmetikstudios, Massagepraxen und
Tätowierer.

SANKTIONEN UND NULL TOLERANZ

Mehrere Länder-Chef drohten mit saftigen Geldbußen für jene, die sich

nicht an die Regeln halten. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident
Armin Laschet (CDU) will «Null Toleranz» walten und im Zweifel
Strafen bis zu 25 000 Euro verhängen lassen. Sein Stuttgarter Kollege
Winfried Kretschmann (Grüne) kündigte an: «Die Polizei wird hart
durchgreifen, wenn es nötig ist.» Malu Dreyer,
SPD-Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz, räumte allerdings ein,
dass sich das Kontaktverbot in privaten Räumen nicht überprüfen
lasse, man aber auf die Einsicht aller setze.

FLICKENTEPPICH DER LÄNDER

Ursprünglich war damit gerechnet worden, dass bundesweit eine
Ausgangssperre kommt wie in Bayern, an der Grenze zur
Hochrisikoregion Österreich. Vor allem NRW wollte das aber nicht, was
zu Zoff zwischen Laschet mit CSU-Chef Markus Söder führte. Laschet
sagte nach der Sitzung: «Nach unserer Einschätzung ist nicht das
Verlassen der Wohnung die Gefahr. Die Gefahr ist der enge,
unmittelbare soziale Kontakt.» Merkel sprach davon, das «Grundgerüst
»
der Maßnahmen der einzelnen Länder sei ähnlich. Es gebe aber weiter
Sonderregeln. Bayern erklärte dann auch, das Ansammlungsverbot für
mehr als zwei Personen gelte im Freistaat nicht. Es sollen nur
Menschen aus dem gleichen Hausstand vor die Tür.

DIE LAGE IN ITALIEN UND SPANIEN

Italien hat angesichts der dramatisch steigenden Totenzahlen die
gesamte nicht lebensnotwendige Produktion stillgelegt. Davon seien
die Lebensmittelindustrie und für die Infrastruktur wichtige Betriebe
sowie Supermärkte, Banken, Post und Apotheken ausgenommen, sagte
Ministerpräsident Giuseppe Conte. «Es ist die schwerste Krise für das

Land seit dem Zweiten Weltkrieg.» Die Maßnahme in der drittgrößten

Volkswirtschaft in der Eurozone soll zunächst bis 3. April gelten.
Das Land hatte am Samstag an nur einem Tag fast 800 Tote vermeldet.

Die spanische Regierung will nach Medienberichten den Notstand und
die Ausgangssperre um zwei Wochen bis zum 12. April verlängern. Das
habe Ministerpräsident Pedro Sánchez den Regionalpräsidenten am
Sonntag bei einer Videokonferenz mitgeteilt, berichteten der
staatliche Fernsehsender RTVE und die Zeitungen «El País» und «El
Mundo». Bis Samstag meldete das Gesundheitsministerium in Madrid fast
25 000 Infizierte - 5000 mehr als am Vortag. Die Zahl der Toten stieg
auf mehr als 1300 nach etwa 1000 am Freitag.

HILFEN FÜR UNTERNEHMEN IN DEUTSCHLAND

Die Bundesregierung plant Nachbesserungen bei Kredit-Sonderprogrammen
für mittelständische und große Unternehmen. Demnach soll die
staatliche Förderbank KfW bei Betriebsmittelkrediten statt wie bisher
80 Prozent nun 90 Prozent des Kreditrisikos übernehmen.

«LUFTBRÜCKE» FÜR DEUTSCHE URLAUBER

Außenminister Heiko Maas sieht bei der Rückholung deutscher Urlauber
aus dem Ausland große Herausforderungen. «Leider können wir nicht in

allen Fällen innerhalb kürzester Zeit Abhilfe schaffen», sagte der
SPD-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. In vielen Ländern
sei zum Beispiel der inländische Flugverkehr zum Erliegen gekommen.
Seit Beginn der Woche seien über 100 000 Deutsche nach Hause
zurückgekehrt. Viele weitere hätten sich registriert und warteten auf
Flugmöglichkeiten.

ERSCHÜTTERUNG ÜBER NEUN TOTE IN WÜRZBURGER PFLEGEHEIM

Das Universitätsklinikum Würzburg hat ein Pflegeheim in Schutz
genommen, in dem in der vergangenen Woche neun Menschen nach einer
Infektion mit dem Coronavirus gestorben sind. «Die Infektionswelle
hat die Altenpflegeeinrichtung getroffen, als Covid-19 in Deutschland
noch eine Rarität war», heißt es in einer Mitteilung. Alle
notwendigen Maßnahmen würden ergriffen. «Wir stehen bereit, wenn eine

stationäre Behandlung notwendig wird, aber Hut ab vor dem Team des
Pflegeheimes, das solche Leistungen erbringt, stets selbst auch
bedroht von der Infektion, die aber bei Jüngeren meist nicht so
schwer verläuft», so der Ärztliche Direktor des
Universitätsklinikums, Georg Ertl.

SCHLECHTE NACHRICHTEN FÜR FUSSBALLFANS

Nach der von Bund und Ländern angeordneten umfassenden Reduzierung
sozialer Kontakte zum Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus ist
ein baldiger Neustart der Fußball-Bundesliga auch faktisch vom Tisch.
Die von Merkel am Sonntag verkündeten Einschränkungen des sozialen
Lebens machen auch die Austragung sogenannter Geisterspiele ohne
Zuschauer für mindestens zwei Wochen praktisch unmöglich. Das
Präsidium der Deutschen Fußball Liga kommt am Dienstag zur
Vorbereitung einer weiteren Mitgliederversammlung am 31. März
zusammen, bei der das künftige Vorgehen beschlossen werden soll.

DEBATTE UM VERSCHIEBUNG OLYMPISCHER SPIELE IN TOKIO

Binnen vier Wochen soll Klarheit über eine mögliche Verschiebung der
Olympischen Spiele in Tokio herrschen. Das Internationale Olympische
Komitee setzte sich nach einer Telefonkonferenz der Exekutive diese
Deadline, schloss aber gleichzeitig eine Komplett-Absage der
Sommerspiele aus. Das teilte das IOC am Sonntagabend mit, nachdem der
Druck bezüglich einer Entscheidung immer größer geworden war.