Vom Balkon und per Video: So läuft Politik in Corona-Zeiten Von Teresa Dapp, dpa

Die Corona-Pandemie krempelt den Alltag von Millionen Bürger um - vom
Familienleben bis zum Arbeitsalltag. Auch in der Politik läuft fast
nichts wie gewohnt, weder für die Kanzlerin noch Landespolitiker.
Nicht immer geht es dabei ganz vorbildlich zu.

Berlin (dpa) - Der Bundesfinanzminister arbeitet auf dem sonnigen
Balkon, der bayerische Ministerpräsident zeigt sich gern mit
Desinfektionsmittel und vor Klopapierrollen, im Kanzleramt stehen die
Stühle weit auseinander. Auch in der Politik ist derzeit fast nichts
wie sonst - das Coronavirus wirbelt alles durcheinander. Und dabei
muss Politik doch gerade jetzt funktionieren, Orientierung geben. Und
Politiker sollten Vorbild sein, wenn sie schon verlangen, dass alle
Abstand halten und zu Hause bleiben. Wie läuft es so?

Zum Start einen Blick ins KANZLERAMT: Da spricht Kanzlerin Angela
Merkel (CDU) nun mit Regierungschef-Kollegen über Videoschalte. Wenn
sie ans Rednerpult tritt, dürfen Journalisten dabei sein, aber die
Stühle stehen weit auseinander. Auch die Minister sitzen während der
Kabinettssitzungen nicht mehr Seit' an Seit', sondern halten Abstand.
Jedenfalls während der Sitzung.

Im BUNDESTAG ist auch wenig los. Besucher dürfen nicht mehr kommen,
die Reichstagskuppel ist dicht. In Kantinen reichen Mitarbeiter das
Besteck mit Gummihandschuhen. Abgeordnete und Mitarbeiter sind
größtenteils im Homeoffice - es gab unter ihnen schon mehrere
Corona-Fälle. Auf Arbeiten von zu Hause sei das Parlament aber nicht
gut vorbereitet, kritisierte Grünen-Politiker Jürgen Trittin - es
fehlten Programme für Telefon- und Videokonferenzen, Mitarbeiter der
Verwaltung könnten von draußen ihre Mails nicht lesen. Trotz aller
Abstandsregeln soll der Bundestag nun nochmals in größerer Runde
tagen. Um eine Notfallregelung in Schuldenbremse zu ziehen, müssen
nämlich mindestens 355 der 709 Abgeordneten da sein.

Unter deutschen Politikern gab es schon mehrere Corona-Fälle -
darunter der Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir oder Ex-Unionsfraktionschef
Friedrich Merz. Karoline Preisler von der FDP in
Mecklenburg-Vorpommern berichtet per Twitter über ihren
Krankheitsverlauf und wie es zu Hause läuft. Auch ohne Corona-Befund
geben manche Einblick in ihr Zuhause. Bundesfinanzminister Olaf
Scholz (SPD) schrieb, er sei mit einer «heftigen Erkältung»
aufgewacht - mit einem Foto vom Laptop auf dem sonnigen Balkon.

In den MINISTERIEN läuft viel über Video- und Telefonschalten - und
die sonst langen Terminlisten sind ziemlich leer. Geplante Beschlüsse
schiebt das Kabinett teils auf. Akute Krisenbewältigung hat Vorrang.

Die PARTEIEN versuchen, den Betrieb virtuell am Laufen zu halten.
Beispiel Grüne: Parteimanager Michael Kellner, der für Videoschalten
nun ein Grünen-Schild an der Wohnzimmerwand hängen hat, gibt
Einblicke in den neuen Alltag. Gremien und AGs tagen digital, auch in
den Kreisverbänden, auch mal mit 100 Leuten. Ein «Webinar» - ein
Seminar im Netz - soll die ganze Partei an Online-Arbeit heranführen.
Selbst Großveranstaltungen zum neuen Grundsatzprogramm werden ins
Internet verlegt. Als Problem sieht Kellner Wahlen, die ließen sich
rechtlich noch nicht online durchführen - und bald ist es zum
Beispiel Zeit, Listen für die Bundestagswahl aufzustellen.

Im BUNDESRAT haben die Ausschüsse in den vergangenen Tagen ihre
Themen schriftlich besprochen - Sitzungen vor Ort gab es keine. Der
Bundesrat wird gebraucht, um wie geplant innerhalb von einer Woche
ein Paket mit Notmaßnahmen in der Corona-Krise auf den Weg zu
bringen. Dafür reicht es aber nach Angaben einer Sprecherin
theoretisch, wenn jede Landesregierung einen Vertreter schickt.

Apropos Bundesrat - natürlich ist auch in den BUNDESLÄNDERN die
Politik im Corona-Betrieb. CSU-Chef Markus Söder, Ministerpräsident
in BAYERN, besteht demonstrativ auf «Abstand, bitte». In seiner
Jackentasche hat er eigenes Desinfektionsmittel, mit der er gerne und
wiederholt großzügig seine Hände einschmiert. Mit dem Händeschütt
eln
ist es vorbei - Söder winkt gerne aus der Ferne. Söder präsentiert
sich in der Corona-Krise unter den Landeschefs als Vorreiter, ist
etwa mit Ausgangsbeschränkungen vorgeprescht.

Kritik gab es aber ausgerechnet nach einem Besuch von
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Dienstag in München - denn
der twitterte ein Bild, auf dem 25 Teilnehmer einer Sitzung sich ganz
offensichtlich nicht an Abstandsregeln hielten. Und während einer -
dünn besetzten - Landtagssitzung entging aufmerksamen Beobachtern
nicht, dass viele Redner am Pult die Hände alle auf dieselbe Stelle
legten - und sich dann ins Gesicht fassten.

In BRANDENBURG tagte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) mit
seiner und der BERLINER Landesregierung extra im großen Saal der
Staatskanzlei. Danach wurde bekannt, dass Berlins Regierender
Bürgermeister Michael Müller (SPD) auf einer Veranstaltung mit dem
israelischen Botschafter Jeremy Issacharoff war, der positiv auf das
Virus getestet wurde. Müllers Test war aber negativ - auch die
Brandenburger waren erleichtert. Gesundheitsministerin Ursula
Nonnemacher nimmt für sich in Anspruch, den «Ellenbogengruß» in der

Brandenburger Landesregierung eingeführt zu haben.

In RHEINLAND-PFALZ wählte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in
der Staatskanzlei den großen «Festsaal», um die teilweise Schließun
g
von Läden, Restaurants, Sportplätzen und anderen Orten anzukündigen.

In HESSEN will die Regierung grundsätzlich keine Pressekonferenzen
mit Vor-Ort-Präsenz mehr veranstalten - das soll nun virtuell
passieren. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) in
NORDRHEIN-WESTFALEN tagt mit seinem Kabinett per Videoschalte, der
Landtag in Düsseldorf ist gähnend leer. Zur Sondersitzung am Dienstag
dürfen Fraktion nur ein Drittel ihrer Abgeordneten schicken.