Was die Coronavirus-Pandemie für deutsche Krankenhäuser bedeutet Von Anne Pollmann, dpa

Das Coronavirus stellt die Gesundheitssysteme vieler Länder auf den
Prüfstand. Krankenhäuser im Norden Italiens arbeiten an den Grenzen
ihrer Kapazität. Was bedeutet die Pandemie für deutsche Kliniken?

Berlin (dpa) - «Irre», «desaströs», «katastrophal»: Uwe Janss
ens
fallen drastische Adjektive ein, wenn er die derzeitige Situation in
italienischen Krankenhäusern beschreibt. «Kollegen berichten, es ist
wie Krieg», sagt der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für
Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin. Die Kliniken
ächzen unter der Last der vielen Infizierten. Aber auch in
Deutschland stellt das Coronavirus einen Stresstest für die
Krankenhäuser dar - inklusive Personal.

Janssens selbst arbeitet in einer Klinik in Eschweiler, nur wenige
Kilometer entfernt von Gangelt im besonders betroffenen Kreis
Heinsberg in Nordrhein-Westfalen. «Hochgradig kontaminiert,
Mitarbeiter wie Patienten», so Janssens. «Ich nenne es ein
Risikogebiet.» Warum das Robert Koch-Institut (RKI) hier nur den
Begriff «besonders betroffene Region» benutzt, erschließe sich ihm
nicht.

Auf die bange Frage, ob das deutsche Gesundheitssystem dem Druck
standhalten könne, wiederholen Experten gebetsmühlenartig, dass dies
besonders von der Geschwindigkeit der Ausbreitung abhängt. «Wir haben
eine Krankheit, für die wir noch ein Gefühl entwickeln müssen», sag
t
Uta Merle. Die Ärztin vom Universitätsklinikum Heidelberg betreut die
Intensivstation mit den aktuellen Covid-19-Patienten. «Die Patienten
dürfen nur nicht alle auf einmal kommen.»

In Deutschland könnten sich nach RKI-Einschätzung in einem Zeitraum
von ein bis zwei Jahren 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung mit dem
neuen Coronavirus infizieren. Hierzulande gibt es etwa 28 000 Betten
für Intensivpatienten. «Wenn wir Italien wären, hätten wir 11 000
Betten übertragen auf unsere Größe. Da sieht man das
Reservepotenzial», rechnet Reinhard Busse, Professor für Management
im Gesundheitswesen von der Technischen Universität Berlin, vor.

Deutschland habe eine der größten Bettendichten der Welt, sagt auch
Jörn Wegner von der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Nach
bisherigen Erkenntnissen sei das entscheidend bei der Höhe der
Todesrate durch Covid-19. Intensivbetten sind mit komplexen
Überwachungsgeräten ausgestattet und werden von mehr Pflegekräften
betreut. Das RKI will ein Werkzeug entwickeln, mit dessen Hilfe im
Fall einer Überlastung eines bestimmten Krankenhauses ersichtlich
ist, wo in der Nähe noch freie Betten sind.

In Italien sind neben Intensivbetten auch Beatmungsgeräte knapp. Rund
fünf Prozent aller in China registrierten Betroffenen erkrankten laut
RKI bisher so schwer an der Lungenentzündung Covid-19, dass sie auf
Intensivstationen an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden mussten.

Muss ein Covid-19-Patient beatmet werden, dann in der Regel lange,
erklärt Michael Pfeifer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für
Pneumologie und Beatmungsmedizin. Für einen Patient könne das mehrere
Wochen dauern. «Wenn Neuzugänge kommen, ist der Platz belegt.»

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagt, dass es bei 25 000
Betten Beatmungsmöglichkeiten gebe - weitere Geräte sollten
angeschafft werden. Der Medizintechnikhersteller Drägerwerk etwa hat
einen Auftrag über 10 000 Beatmungsgeräte von der Bundesregierung
erhalten. Wie eine Firmensprecherin erläutert, ist die wöchentliche
Produktion eines Gerätetyps, der bei Corona-Patienten oft eingesetzt
werde, zuletzt deutlich gestiegen. Diese Geräte würden in Deutschland
hergestellt - Engpässe aufgrund der globalen Lieferketten und
reduzierten Transportkapazitäten seien aber nicht völlig
auszuschließen.

Die Bundesregierung hat unter Federführung des Beschaffungsamtes der
Bundeswehr zudem Medizingüter im Wert von 163 Millionen Euro zur
Bewältigung der Corona-Krise eingekauft. «Uns würden auch die
italienischen Verhältnisse noch längst nicht überlasten», sagte der

Berliner TU-Experte Busse. «Immer vorausgesetzt, wir können das
Personal schützen und es würde uns nicht fehlen.»

Genau dies treibt auch Michael Pfeifer um. «Was uns mehr Sorgen macht
als die apparative Ausstattung, ist das Personal.» Die Ressource
Mensch in den Intensivstationen sei knapp. Personal, das nicht
intensivmedizinisch ausgebildet sei, müsse frühzeitig geschult
werden, damit es in Krisensituationen zusätzlich eingesetzt werden
könne.

Die Mitarbeiter in den Krankenhäusern stehen unter großem Druck:
Zusätzlich zu einer hohen Arbeitsbelastung hätten viele Angst, selbst
zu erkranken oder andere unbewusst mit dem Virus zu infizieren, sagt
Ärztefunktionär Janssens. «Was die leisten, ist gigantisch.»

Das RKI empfiehlt häusliche Quarantäne für medizinisches Personal,
das engen ungeschützten Kontakt zu einem bestätigten Fall im Rahmen
der Pflege oder medizinischen Untersuchung hatte und dabei keine
Schutzausrüstung trug. Janssens hält das für «schlichtweg nicht
praktikabel», wenn man das Gesundheitssystem nicht zum Einsturz
bringen wolle.

In Eschweiler etwa sei eine Krankenschwester erkrankt. Wäre man der
Empfehlung des RKI gefolgt, hätten knapp 70 Mitarbeiter in Quarantäne
gemusst. Janssens: «Dann hätten wir die Notfallversorgung abschalten
müssen.» Überhaupt seien im Gangelter Raum fast alle Mitarbeiter in
den Kliniken kontaminiert. In Eschweiler lässt sich das betroffene
Personal darum regelmäßig testen.

Hier zeige sich ein weiteres Nadelöhr, sagt Janssens. Die
Finanzierung der regelmäßigen Wiedertestungen sei weitgehend
ungeklärt. 150 Tests stünden der Klinik am Tag zur Verfügung - wenn
überhaupt. Bereits jetzt seien die Labore überlastet. Die
Zusammenarbeit mit den Gesundheitsämtern funktioniere im Einzelfall.
Dennoch gebe es immer wieder differierende Angaben, «die zum Teil
dann auch von den Empfehlungen des RKI abweichen». Das schaffe viele
Unsicherheiten.

Irgendwann werde der Punkt erreicht, an dem das Gesundheitssystem
seine Ressourcen konzentrieren müsse, sagte Minister Spahn kürzlich.
Zusatzkapazitäten sollen dadurch entstehen, dass - soweit medizinisch
vertretbar - alle planbaren stationären Behandlungen und Operationen
auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Darauf hatten sich Bund und
Länder am Donnerstag geeinigt. Die dadurch entstehenden
wirtschaftlichen Folgen für die Krankenhäuser werden seitens der
gesetzlichen Krankenkassen ausgeglichen. Zudem gibt es einen Bonus
für jedes Intensivbett, das zusätzlich vorgehalten wird.

Um glimpflich durch die Epidemie zu kommen, müsse die Bevölkerung
mitdenken, sagt Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und
Tropenmedizin in München. Er hat dort die ersten deutschen
Covid-19-Patienten behandelt. Die stationären Kapazitäten seien
prinzipiell in Deutschland verfügbar. «Wir müssen nur die Ressourcen

sehr vernünftig nutzen und uns nicht gegenseitig blockieren.»

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