«Fernsehen, Essen, Fernsehen»: Angst und Alltag in Zeiten von Corona Von Petra Kaminsky, Alvise Armellini und Annette Reuther, dpa
Ausgangssperren und verwaiste Städte: Die Corona-Pandemie hat Italien
in einer Schärfe gepackt, die Deutschland womöglich noch bevorsteht.
«Es gibt keine Gewissheit und keinen Halt», sagt ein Bürgermeister.
Vier Menschen erzählen, wie der Ausnahmezustand ihr Leben verändert.
Bozen/Mailand/Rom (dpa) - Geschlossene Schulen und abgesagte
Sportevents - solche Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie hat
Italien schon Anfang März ergriffen. Zwei Wochen später ist das Land
in einem viel schärferen Abwehrmodus. Ausgangssperren und verrammelte
Geschäfte werfen den Alltag um. Was die 60 Millionen Menschen von
Bozen bis Bari erleben, könnte vielleicht auch Deutschland
bevorstehen. Es gibt Sorgen und Angst, aber auch positive Energie.
Manche machen sich tiefergehende Gedanken. Vier Menschen, vier
Schicksale aus einem Land im Ausnahmezustand:
Roman, 36, Bauer auf dem Ferienbauernhof «Unterpfaffstall» in
Südtirol:
Roman Goss arbeitet im Stall. Um ihn herum Kühe. Draußen das
Bergpanorama. Das Virus verändert das Leben auch dort, wo Menschen in
der Natur leben. Nicht nur dort, wo viele nebeneinander leben. Goss
hat einen Ferienbauernhof am Ritten unweit der österreichischen
Grenze. 85 Prozent seiner Gäste kommen aus Deutschland - besser
gesagt: kamen. «Für März wurden alle Buchungen storniert. Auch die
zwei Osterferienwochen sind verloren. Das Geschäft für dieses Jahr
ist gelaufen», sagt er am Telefon.
Er hat vier Ferienwohnungen und einen Milchviehbetrieb. Goss klingt
nicht wütend, nicht resigniert. «Ich bin kein Pessimist, aber dass
das irgendwann zu solchen Szenarien kommt, habe ich schon gedacht.
Dass das mit den Ressourcen nicht so weiter geht, ist klar.» Er
meint, über den tieferen Sinn der Krise zu sprechen sei eine
«schwierige Situation». Aber: «Man kann ja nicht sagen, dass am End
e
des Jahres immer ein Plus kommen muss. Irgendwann ist da auch mal ein
Minus.»
Die letzten zwei Gäste sind noch da: aus der Schweiz und Deutschland,
die dürfen ihren Urlaub noch beenden. «Sie fühlen sich hier in der
Natur sicherer als zuhause in der Stadt.» Seine tägliche Arbeit auf
dem Hof mit den Tieren gehe natürlich weiter wie vorher. Seine drei
Kinder im Alter von eins, drei und fünf würden zwar gerne in den
Kindergarten gehen. «Aber hier haben sie auch genug Platz zum
Spielen. Das ist kein Problem. Unsere Familie lebt immer zusammen,
daher fällt uns auch jetzt nicht das Dach auf den Kopf.»
Maria Rita, 66, Virologin und Professorin in Mailand
Maria Rita Gismondo hat den Corona-Ausbruch vom ersten Tag an
miterlebt: «Es war der 20. Februar. Da gab es hier den ersten Alarm
wegen der Untersuchung von Speichelproben», erzählt die Virologin und
Labor-Direktorin des Mailänder Krankenhauses Luigi Sacco. Der erste
entdeckte Virus-Fall kam aus der Region Lombardei, aus Codogno. Die
reiche norditalienische Region ist bis heute die am schlimmsten
getroffene Zone.
«Seitdem habe ich mein Privatleben fast vergessen. Ich verbringe
meine ganze Zeit im Labor und im Büro», sagt die 66-jährige
Biomedizinerin. Sie hat zwei erwachsende Kinder und einen Partner -
wie finden die das? «Ach!», sie lacht am Telefon. Ihre Familie weiß
vermutlich, dass sie für ihre Arbeit brennt. Sie lehrt als
Professorin an der Uni in Mailand. Die Frau mit der ernsten Stimme
ist bei TV-Interviews vor ihrem Schreibtisch zu sehen. Tausende
Proben seien seit Februar von ihrem Team untersucht worden. «Wir
haben hier eine harte Zeit, aber es gibt auch einen tollen
Zusammenhalt und viele schöne Momente.» Die Alltagseinkäufe machten
ihr Partner und eines der Kinder, das noch zu Hause lebt.
Maria Rita Gismondo ist krisenerfahren, sie war wegen Ebola in
Afrika. Wenn man sie nach Ängsten in der Corona-Pandemie fragt, kommt
ihr als erstes das Wort «Panik» in den Sinn. Sollte sich die
Situation länger zuspitzen, könnten die Menschen panisch werden: «Und
Panik wäre ein Problem, dann könnte es noch schlimmer werden.» Auch
der Blick in die fernere Zukunft, nach dem Ende der Welle, sei nicht
ohne: «In Zeiten der Globalisierung müssen wir mit weiteren neuen
Viren rechnen. Diese Krise heute ist nicht die letzte ihrer Art.»
Mirko, 37, Wohnungsvermieter in Rom
Um Mirko Cipriani mit seinem coolen Lächeln aus dem Tritt zu bringen,
braucht es eine ganze Menge. Die Corona-Krise hat es fast geschafft.
Aber nur fast. «Ich habe keine Angst um mich», sagt der 37-Jährige,
der sein Geld mit dem Vermieten von Ferienwohnungen in Rom verdient.
«Ich habe Angst um meine Großeltern. Sie gehören zu der Gruppe, die
besonders in Gefahr ist. Es sterben doch hauptsächlich die Älteren.»
Das Treffen mit Mirko findet bei frühlingshaften Temperaturen in
Touristenviertel Trastevere statt. Draußen an einem Brunnen. Ohne
sich die Hand zu geben. «Bis vor wenigen Tagen habe ich die Appelle
der Regierung, wenig auszugehen, nicht ernst genommen», erzählt der
Lederjacken-Träger. Seit dieser Woche sei alles anders. «Mit meinen
Freunden treffe ich mich gar nicht mehr, das habe ich sonst immer
gemacht.» Ins Sportstudio könne er nicht mehr. Friseure sind dicht,
Buchläden, Bars. «Mein Tag besteht aus Fernsehen, Essen, wieder
Fernsehen, wieder Essen», sagt er.
Früher hat er im Baubetrieb seines Vaters gearbeitet. Das gab Stress.
Seit einiger Zeit mietet er Apartments an und vermietet sie teurer an
Urlauber weiter. Per Internet, an Gäste aus aller Welt. «Das klappte
gut, doch jetzt ist alles leer.» Für die nächsten Monate häuften si
ch
Stornierungen. «Dabei laufen alle meine Kosten weiter, besonders die
Mieten.» Und wie lange kann er ohne Einnahmen durchhalten? «Zwei
Monate, vielleicht drei.» Daran mag er noch nicht denken. Er setzt
seine Sonnenbrille auf und geht. Ohne Handschlag.
Marco, 44, Bürgermeister in Kampanien
Diesen Anblick kennt Marco Marandino so nicht: Die Piazza in
Sant'Angelo dei Lombardi östlich von Neapel ist menschenleer. «Die
Plätze sind verwaist, wir erleben eine unwirkliche Situation», sagt
er. In dem Ort mit 4500 Einwohnern gebe es bisher keinen erkannten
Infizierten. Aber auch da, wo das Virus noch nicht aufgespürt ist,
sind Angst und Unsicherheit zum Greifen nah. Für den ärmeren Süden
Italiens mit seinen schlechteren Krankenhäusern wäre ein Ausbruch,
wie ihn der reiche Norden erlebt, fatal.
«In meiner Gemeinde hat sich das tägliche Leben komplett auf den Kopf
gestellt.» Er hat gelesen, dass nach den ersten Sperren im Norden
viele nach Süden «geflüchtet» seien. «Wir haben hier eine kleine
Zahl, vielleicht etwa 20», sagt er. Jetzt ist auch Sant'Angelo
Sperrzone, wie ganz Italien. Er selbst geht zum Arbeiten noch ins
Büro, erzählt der Vater zweier Kinder. Bei Sitzungen würden sie den
Schutzabstand von einem Meter einhalten, versichert er.
Der Ort hat schon Schlimmes erlebt. «Unsere Gemeinschaft kennt
entsetzliche Tragödien, wie das Erdbeben von 1980. Wir sind an
Verzicht und Opfer gewöhnt.» Damals kamen in Süditalien fast 3000
Menschen um. Jetzt sind es mehr als 1000 Tote im ganzen Land. Ihn
beunruhigt eher die Unsicherheit über die Dauer der Krise. «Selbst
wenn die Auswirkungen im Moment begrenzt sind, könnten die
wirtschaftlichen, sozialen und psychologischen Folgen für das Leben
der Menschen verheerend sein. Es gibt keine Gewissheit und keinen
Halt.»
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