«Coronaferien» - Sind Schulschließungen eine sinnvolle Maßnahme? Von Thomas Körbel und Sabine Dobel, dpa

Kein Unterricht, manchmal über Wochen. Wegen des neuartigen
Coronavirus bleiben auch in Deutschland immer wieder einzelne Schulen
geschlossen. Wie sinnvoll wäre das als großflächige Maßnahme?

München (dpa) - Früher hitzefrei - heute Coronaferien. Etliche Kinder
werden sich später mal daran erinnern, dass ihr Unterricht im Jahr
2020 wegen eines Virus für Tage oder gar Wochen ausfiel. Im Zuge der
Covid-19-Pandemie bleiben auch in Deutschland Schulen zeitweise
geschlossen - Dutzende sind es derzeit schon bundesweit. Weltweit
verpassen gerade zig Millionen Kinder ihren Unterricht. Dabei sind
sich Experten keineswegs einig, dass großflächige Schulschließungen
zur Eindämmung von Sars-CoV-2 sinnvoll sind.

In Deutschland gilt derzeit meist: Sobald es einen bestätigten Fall
in einer Bildungseinrichtung gibt, wird diese vorübergehend
geschlossen. So hat es etwa das bayerische Gesundheitsministerium
verfügt. Auch wer aus einem Risikogebiet - zum Beispiel Norditalien -
zurückkehrt, soll nach dem Willen der Behörden in München zunächst
14
Tage keine Schule oder Kindertagesstätte besuchen.

Dabei zeigen erste Datenanalysen: Anders als bei der Grippe sind
Kinder bei Covid-19 wahrscheinlich keine bedeutsamen Treiber für die
Ausbreitung des Virus in der Gemeinschaft. Für Sars-CoV-2 sei
abzusehen, dass Kinder nur sehr selten deutliche Symptome entwickeln,
hieß es gerade von der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Anzunehmen
ist demnach auch, dass Kinder sich vor allem bei Erwachsenen
anstecken - Erwachsene aber umgekehrt kaum bei Kindern.

«Schulschließungen können sinnvoll sein, wenn man Hygiene-Maßnahmen

nicht gewährleisten kann», sagt die Virologin Ulrike Protzer von der
Technischen Universität (TUM) und vom Helmholtz Zentrum München.
«Aber man muss die enormen Auswirkungen auf die Wirtschaft und vor
allem auch auf das Gesundheitssystem bedenken, wenn die jungen Eltern
dann nicht mehr zur Arbeit gehen können, sondern sich um ihre Kinder
kümmern müssen.»

Mit Blick auf Maßnahmen wie Quarantäne, Absage von
Großveranstaltungen und Schulschließungen sei generell wichtig zu
verstehen, dass diese nicht auf den Schutz von Einzelpersonen
abzielten, weil das Virus etwa so außerordentlich gefährlich wäre.
«Sondern sie sind wirklich gedacht, um die Ausbreitung zu
verlangsamen», erklärt Protzer.

«Wenn ich ein Virus habe, das auf 100 Prozent empfängliche Personen
trifft, dann breitet sich das sehr schnell aus», erklärt die
Expertin. In der Folge könne etwa das Gesundheitssystem überlastet
und so die Versorgung von Erkrankten gefährdet werden. «Auch wenn man
sagt, man schließt eine Schule, dann ist das nicht, weil man Angst
hat, dass die Kinder krank werden», sagt sie. «Es geht darum, die
weitere Ausbreitung des Virus einzudämmen.»

Der Sprecher des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für
Krankenhaushygiene (DGKH), Peter Walger, hält Schulschließungen
ebenfalls nicht für sinnvoll. Allein die Probleme, die sich aus der
damit nötigen Kinderbetreuung ergäben, stünden nicht im Verhältnis

zum Nutzen, sagte der auf Infektiologie spezialisierte Facharzt. Auch
er verweist darauf, dass Eltern dann ebenfalls zu Hause bleiben
müssten - mit Folgen für deren Arbeitsstellen und das öffentliche
Leben. «Es lohnt nicht, Schulen zu schließen.»

Ganz so sieht es das Bayerische Landesamtes für Gesundheit und
Lebensmittelsicherheit (LGL) nicht: Eine Schließung habe durchaus
Potenzial zur Eindämmung der Epidemie, teilte die Behörde mit. Es
gebe Erkenntnisse, dass sich Kinder offenbar genauso leicht
ansteckten wie Erwachsene. Tatsächlich kommen Forscher in einer
kürzlich präsentierten kleinen Studie zu dem Ergebnis, dass Kinder
sich wohl ähnlich häufig wie Erwachsene infizieren - aber nur sehr
selten krank werden. Warum Kinder eine Sars-CoV-2-Infektion offenbar
besser abzuwehren vermögen, ist bisher unklar.

«Offen ist derzeit die Frage, ob Kinder das Virus genauso effektiv an
andere Personen übertragen können wie Erwachsene», heißt es vom LGL
.
Inwieweit Kinder ohne Symptome ein Übertragungsrisiko darstellten,
könne aktuell nicht seriös beantwortet werden, sagt auch
DGKH-Sprecher Walger.

Ansteckend oder nicht, für immer mehr Kinder heißt es in den
kommenden Tagen wohl vorerst: schulfrei wegen Sars-CoV-2. Der
Deutsche Lehrerverband (DL) schätzt, dass derzeit bundesweit rund 100
Schulen und Kitas von tage- oder wochenweisen Schließungen betroffen
sind. «Das ist aber eine Schätzung, die jederzeit von der
Wirklichkeit überholt werden kann», sagt DL-Präsident Heinz-Peter
Meidinger.

Der Verband sei gegen generelle, flächendeckende Schulschließungen -
«sogenannte Coronaferien» - wie in Italien, sagt er. So etwas könne
nur effektiv sein, wenn es begleitet werde von der Schließung aller
Firmen, Arbeitsstellen und Restaurants, von Ausgangssperren und der
Stilllegung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs.

Und selbst dann bliebe Meidinger zufolge die Frage: «Was ist nach
zwei Wochen Coronaferien, wenn die Neuinfektionen nicht zurückgehen?
Verlängert man dann nochmals und nochmals mit enormen Konsequenzen
für Abschlussprüfungen und Schullaufbahnen?» Daher sei seine
Position: «Zum jetzigen Zeitpunkt und als isolierte Maßnahme hält der

DL von generellen Schulschließungen wenig.»

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