«Mit Emotionen gespielt» - Bluttest-Forscher noch in Amt und Würden Von Julia Giertz, dpa

Eine unglückliche Verquickung von Wissenschaft und Wirtschaft - der
Bluttest-Skandal an der Heidelberger Universitätsfrauenklinik. Der
Hauptverantwortliche klammert sich auch ein Jahr nach Beginn der
Affäre an seinen Posten.

Heidelberg (dpa) - Es hat etwas von einem Krimi: Ein Gynäkologe
preist entgegen ungeschriebener Regeln verfrüht einen Bluttest an.
Hinter der profitversprechenden, angeblichen Innovation steckt ein
undurchsichtiges Firmengeflecht. Nach deutlicher Kritik an der
PR-Kampagne für den Bluttest werden Mitarbeiter in Forschung und
Chefetagen geschasst oder danken ab, die Staatsanwalt ermittelt. Das
Ganze ist passiert an der renommierten Universitätsfrauenklinik
in Heidelberg.

Deren Chef Christof Sohn löste die sogenannte Bluttestaffäre mit
einem PR-Auftritt vor einem Jahr aus. Er kündigte bei einem
Fachkongress in Düsseldorf am 21. Februar 2019 die Marktreife eines
als «Meilenstein» gerühmten Tests zur Erkennung von Brustkrebs noch
im selben Jahr an. Zwölf Monate und etliche Personalwechsel an der
Spitze der Uniklinik später wankt und weicht der umstrittene
Mediziner nicht - ungeachtet herber Kritik von Fachgesellschaften,
Medizinern, Statistikern und dem Aufsichtsrat der Uniklinik.

Sein Beamtenstatus schützt ihn, ein Disziplinarverfahren läuft noch.
Als Staatsdiener äußert er sich auch nicht in den Medien. Laut
Vorlesungsverzeichnis referiert der Ordinarius vor Studenten über den
«Stellenwert der Gynäkologie heute». Zuletzt gab ihm ein Gericht
recht, als er sich gegen die Veröffentlichung des Abschlussberichts
einer externen Aufklärungskommission wandte, von der er nichts als
Beanstandungen seines Vorgehens erwarten konnte.

Doch wer ist dieser Professor Sohn? Seit November 2004 ist der
gebürtige Pforzheimer Geschäftsführender Direktor der
Universitätsfrauenklinik Heidelberg. Schwerpunkte des Facharztes für
Gynäkologie und Geburtshilfe sind Krebsdiagnose, Brustkrebs und
Fötalmedizin. Die externe Kommission attestierte ihm in ihrem
Zwischenbericht Führungsversagen, Eitelkeit und Machtmissbrauch.
Unklar ist bisher, ob die tatsächliche Entdeckerin des Bluttests
nicht eine - ausgebootete - chinesische Wissenschaftlerin ist, die
mit anderen jungen Kollegen für ihre Forschung zu einem «hoch
zuverlässigen und präzisen diagnostischen Test für die Erkennung von

Brustkrebs in einem äußerst frühen Stadium» von
Bundeswirtschaftsministerium und EU gefördert worden war.

Im Lebenslauf des 59-jährigen Sohn sind neben 19 Büchern und über 400

Vorlesungen mehr als 200 Veröffentlichungen vermerkt. Bei diesen
Zahlen verwundert das Vorgehen des Mediziners vor einem Jahr noch
mehr. Denn für die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen gibt es
ungeschriebene Gesetze, die ihm vor diesem Hintergrund bekannt sein
müssten.

Der Kinder- und Jugendarzt Wolfgang Kölfen, der Ärzte in Sachen
Kommunikation schult, erläutert, dass neue wissenschaftliche
Ergebnisse zunächst in Fachzeitschriften publiziert werden. Erst
danach sollte der Wissenschaftler an die Öffentlichkeit treten. Dass
Sohn dies nicht tat, «hat all den seriös und streng wissenschaftlich
arbeitenden und publizierenden Kollegen der Universitätsmedizin
Heidelberg sehr geschadet», sagt eine Gynäkologin, die ihren Namen
nicht nennen will.

Allerdings hat sich der Wirbel um die Universitätsfrauenklinik nicht
in rückläufigen Patientinnenzahlen niedergeschlagen - im Gegenteil.
In der stationären Patientenversorgung stieg die Zahl der Fälle von
7212 im Jahr 2018 auf 7343 im Jahr 2019.

Ein PR-Event wie von Sohn initiiert sei verantwortungslos, so Kölfen.
«Da wird mit Emotionen gespielt in einem höchst sensiblen Bereich.
Man macht Hoffnungen, die man dann nicht einlösen kann, und dies hat
verheerende Folgen», sagt der Arzt aus Mönchengladbach. Brustkrebs
ist die häufigste Tumorerkrankung bei Frauen: In Deutschland erkrankt
jede Neunte im Laufe ihres Lebens daran, insgesamt rund 70 000 Frauen
pro Jahr. Der Bluttest, gedacht als Ergänzung zu bildlichen
Diagnostik-Methoden wie der Mammografie, wies laut der externen
Kommission unter anderem eine «dramatisch hohe» Fehlerquote auf.

Kölfen sieht auch mögliche Interessenskonflikte des Heidelberger
Klinikchefs mit Blick auf die Vermarktung des Bluttests. Sohn soll
Medienberichten aus dem vergangenen Jahr zufolge Anteile von gut vier
Prozent an dem Unternehmen Heiscreen, einer Ausgründung der Uniklinik
zur Vermarktung des Bluttests, halten. Heiscreen hat inzwischen die
weitere Forschung zum Bluttest übernommen. Die Medizinische Fakultät
investiert nicht mehr in sie. Es wird vermutet, dass die
Staatsanwaltschaft Mannheim wegen Insiderhandels ermittelt, offiziell
machen die Ermittler dazu aber keine Angaben. Kölfens Kommentar dazu:
«Als Arzt kann man nicht gleichzeitig in zwei Booten sitzen, ohne in
erheblichen Wellengang zu kommen.»