Kanzler Merz? Noch zu früh für «Aktion Abendsonne» Von Jörg Blank, Andreas Hoenig und Sven Gösmann, dpa

Merz, Laschet und Spahn: Alle drei möglichen Kandidaten für die
Nachfolge von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer treten in Berlin
auf. Der Sauerländer Merz bekommt große öffentliche Aufmerksamkeit -

doch entschieden ist nichts.

Berlin (dpa) - Friedrich Merz windet sich, aber vor allem kokettiert
er an diesem Abend. Ob er denn nun tatsächlich als CDU-Chef antreten
werde, will der Moderator auf der kleinen Bühne im rustikalen
Berliner «Ballhaus» am Donnerstagabend von dem Ex-Unionsfraktionschef
wissen. Am Ende lässt sich der 64-Jährige dann gleich mehrfach den
Satz abringen, er sei dazu bereit, seinen Beitrag zu leisten. Es geht
da um eine gestärkte CDU oder das Ausschöpfen des Wählerpotenzials -

er sieht es bei 35 plus X. Aber er betont auch: Entscheiden werde ein
nun wohl bis zum Sommer notwendiger Sonderparteitag.

Am Mittwochabend war Merz vorgeprescht. Er sei nach dem angekündigten
Rückzug von Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer entschlossen, für
den CDU-Vorsitz zu kandidieren, ließ der ehrgeizige Vizepräsident des
Wirtschaftsrats der CDU sein engstes Umfeld verlauten. Er wisse die
Parteibasis hinter sich und fühle sich durch die Umfragen ermutigt.

Nun möchte das Publikum - viele junge Männer vom Unionsnachwuchs sind
da, die Frauen sind in der Minderheit - unbedingt wissen, ob Merz
tatsächlich kandidieren werde. Die Leute halten Schilder hoch, auf
denen «Ein Herz für Merz» oder «Kanzler Merz» steht.

Doch ein ganz eindeutiges «Ja» zur Kandidatur geht Merz trotz aller
jubelnden Zustimmung nicht über die Lippen. Aber jeder im Saal
versteht: Merz will. Und er will auch Kanzler. Keiner kann es
beispielsweise missverstehen, wenn der Sauerländer sagt,
Kramp-Karrenbauer habe Recht - als sie in ihrer Begründung für den
angekündigten Rückzug gesagt habe, Parteivorsitz und Kanzleramt
gehörten in eine Hand.

In seiner Rede streift Merz alle wichtigen Themen, die auch für einen
künftigen Kanzler wichtig sein werden. Innenpolitik, Soziales,
Steuern, Außenpolitik und natürlich auch das Klimathema. Vieles von
dem, was er sagt, würde seine alte Rivalin, Kanzlerin Angela Merkel,
auch nicht anders sagen. Große Neuigkeiten sind nicht dabei, aber das
hat wohl auch niemand im Publikum wirklich erwartet.

Erst nach über einer halben Stunde kommt Merz zum Punkt, der die
Zuhörer am meisten interessiert: den Parteivorsitz. Es gehe bei der
wahrscheinlich bis zum Sommer anstehenden Wahl nicht nur um eine
Personalentscheidung - «das ist eine Richtungsentscheidung», die auch
mit Sachthemen verbunden sein müsse. Sie müsse für die Union
«Aufbruch nach vorne» bedeuten.

Spannend wird es im erst im Anschluss, in der Fragerunde. Er habe das
Gefühl, einen Beitrag leisten zu können, dass es in Deutschland gut
bleibe - und vielleicht ein wenig besser werde, sagt Merz da in
seinem gewohnt nüchternen Ton. Eigentlich könne er sich in seinem
Alter ja auch der «Aktion Abendsonne» hingeben, sagt der 64-Jährige.


Doch dazu habe er keine Lust, macht Merz im selben Atemzug klar. Vor
allem treibe ihn das Erstarken rechter Parteien um, sagt Merz und
meint auch die AfD. «Wenn ich dazu etwas beitragen kann, dass dieses
Gesindel wieder verschwindet, dann leiste ich diesen Beitrag», wütet
er. Später bedauert er den Kraftausdruck.

Interessant sind noch ein paar andere Einlassungen von Merz. So sagt
der Mann, der bei einem lange zurückliegenden CDU-Parteitag mit dem
Vorschlag einer Steuererklärung, die auf einen Bierdeckel passe, nun:
«Der Bierdeckel ist tot. Vergessen Sie den Bierdeckel.» Er blicke
nicht zurück, sondern nach vorne. So ganz stimmt das nicht, etwa wenn
er über die Politik von Merkel zürnt, sie habe mit ihrer großen
Koalition die Streitkultur der politischen Mitte erheblich
beschädigt. Aber er findet auch versöhnliche Töne: Insgesamt habe
Merkel ihre Sache glänzend gemacht, er habe großen Respekt vor ihrer
Nervenstärke, ihre Uneitelkeit und Professionalität.

Doch nicht nur Merz hat an diesem besonderen Donnerstag in Berlin
seinen Auftritt - auch seine möglichen Konkurrenten um Parteivorsitz
und Kanzleramt sind in Berlin, Armin Laschet und Jens Spahn.

Laschet kommt extra aus Düsseldorf nach Berlin zu einer lang
geplanten Rede vor dem CDU-Wirtschaftrat, dessen Vizepräsident Merz
ist. Hinter verschlossenen Türen hält der NRW-Ministerpräsident in
Anwesenheit von Merz ein Referat zum Thema «Neue Dynamik für
Deutschland und Europa». Er habe seine Vorstellungen präsentiert, wie
sich die Union nun neu aufstellen solle, ist von Teilnehmern zu
hören. Über eine künftige Industrie- und Wirtschaftspolitik redet er,

von der Union fordert er in der schwierigen Lage Zusammenhalt.

Selbst wenn man sein Thema als Vision für eine Kanzlerschaft
verstehen will - offiziell hat auch Laschet seine Kandidatur für den
Parteivorsitz noch nicht erklärt.

Auch Gesundheitsminister Spahn redet an diesem Abend in Berlin
darüber, dass er Verantwortung übernehmen wolle bei der Suche nach
einer neuen Parteiführung. Wie CDU-Vorsitz und Kanzlerkandidatur der
Union vergeben würde, darüber müsse «in den nächsten Tagen und
Wochen» eine Entscheidung fallen. Wie Merz lehnt er ein klares
Bekenntnis zu einer eigenen Kandidatur erneut ab, trotz mehrfacher
Nachfragen. Spahn kann an diesem Abend gut zurückhaltend sein: Er
nimmt einen von einem Fachmagazin verliehenen Preis entgegen. Spahn
wird als «Politiker des Jahres» geehrt - das ist keine schlechte
Grundlage für künftige Ambitionen des ehrgeizigen Münsterländers.