Mehr als 1000 Tote durch Coronavirus - China ändert Fall-Statistik

Gut 40 000 Menschen sind laut Chinas offizieller Statistik bisher mit
dem neuartigen Coronavirus infiziert worden. Doch das wahre Bild gibt
diese Zahl wohl schon länger nicht wieder, wenn überhaupt je. Der
erwartete Höhepunkt der Epidemie verschiebt sich immer wieder neu.

Peking (dpa) - Das neuartige Coronavirus hat in China inzwischen mehr
als 1000 Menschen das Leben gekostet. Der Höhepunkt der Epidemie wird
jetzt noch später erwartet. Der Chef des Expertengremiums der
Regierung, Zhong Nanshan, rechnet nun in zehn Tagen bis zwei Wochen
mit dem Höchststand. Er korrigierte damit zum zweiten Mal in Folge
seine Vorhersage um eine weitere Woche. 108 neue Todesfälle wurden
erfasst - so viele wie nie zuvor binnen eines Tages. Die Gesamtzahl
liegt nach der offiziellen Statistik in China nun bei 1016.

Nachweislich infiziert haben sich demnach bisher gut 42 600 Menschen
- knapp 2500 mehr als noch am Vortag. Allerdings zählt die
Gesundheitskommission Menschen, bei denen das Virus mit einem Test
nachgewiesen wurde, die aber keine Symptome der Lungenkrankheit
zeigen, schon seit einigen Tagen nicht mehr mit - ein Vorgehen, dass
klar der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO)
widerspricht. Die WHO betrachtet jemanden als nachweislich infiziert,
wenn eine 2019-nCoV-Infektion durch ein Labor bestätigt wurde -
«ungeachtet klinischer Zeichen oder Symptome», wie es heißt. Ein
Grund, warum die Statistik geändert wurde, nannte die chinesische
Kommission nicht.

In welchem Ausmaß Infektionen gar nicht erst erfasst werden, ist
vollkommen unklar. Mit dem Coronavirus infizierte Menschen können in
der Inkubationszeit schon selbst ansteckend sein - auch wenn sie
keine Symptome zeigen. Experten gehen in der Regel von bis zu 14
Tagen aus. Die WHO hatte zuletzt betont, dass rund 80 Prozent der
Infektionen einen milden Verlauf nähmen.

Generell dürfte die Dunkelziffer nicht erfasster Fälle in China
immens sein. «Wir sehen nicht den echten täglichen Anstieg, sondern
die tägliche Obergrenze in der Fähigkeit, neue Fälle zu
identifizieren», erklärte der Coronavirus-Experte Christian Drosten
von der Berliner Charité. Es könne sein, dass das Hindernis im
Meldesystem die Testung ist, es könne aber auch etwas anderes sein.
«Ich gebe inzwischen nichts mehr auf diese Zahlen.»

Vor dem Hintergrund von Vorwürfen über eine zu langsame Reaktion der
Behörden auf den Ausbruch, der im Dezember in Zentralchina begann,
gibt es inzwischen personelle Konsequenzen: Wie Chinas
Staatsfernsehen am Dienstag berichtete, wurden die Chefs der
Gesundheitskommission in der besonders schwer betroffenen Provinz
Hubei entlassen. Zhang Jin, Parteisekretär der Gesundheitskommission
von Hubei, und Liu Yingzi, der Direktor der Behörde, wurden von Wang
Hesheng, dem Vizedirektor der nationalen Gesundheitskommission in
Peking, abgelöst. 

Zuletzt war in China immer mehr Kritik an Untätigkeit und Vertuschung
der Behörden laut geworden. Für landesweite Bestürzung und große
Anteilnahme sorgte vergangene Woche der Tod des Arztes Li Wenliang,
der frühzeitig vor dem Ausbruch des Coronavirus gewarnt hatte, aber
gezwungen worden war, diese «Gerüchte» nicht weiter zu verbreiten.

Der 34-Jährige starb, weil er sich mit dem Virus angesteckt hatte.

Von neuer Offenheit im Umgang mit der Epidemie lässt sich auch nach
den Entlassungen nicht reden. So setzte die Polizei zwei chinesische
«Bürgerjournalisten» fest, die im Internet über die überfüllten

Krankenhäuser in Wuhan, der schwer heimgesuchten Provinzhauptstadt
von Hubei, berichtet hatten. Wie die Menschenrechtsorganisation Human
Rights Watch (HRW) unter Verweis auf Familie und Freunde berichtete,
hätten Polizisten den Anwalt Chen Qiushi und den Blogger Fang Bin
«unter dem Vorwand der Quarantäne abgeholt». Seither seien beide
nicht mehr über ihr Handy erreichbar, was in Isolation möglich sein
müsste.

Keiner von beiden habe Symptome einer Infektion gehabt. «Beide haben
die Zustände in Wuhan untersucht und unverblümt darüber gesprochen»
,
sagte Wang Yaqiu von HRW. Die Videos von Fang Bin, der auch
Leichensäcke gefilmt hatte, waren um die Welt gegangen. Chen Qiushi
schilderte in einem Video: «Es gibt nicht genug Gesichtsmasken, nicht
genug Schutzanzüge, nicht genug Material und was noch wichtiger ist,
nicht genug Tests.»

Der renommierte Chef der Expertenkommission, Zhong Nanshan, räumte in
einem Interview der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua «viele
Probleme und Herausforderungen» beim Kampf gegen die neuartige
Lungenkrankheit ein. Wie viele medizinische Fachkräfte sich bereits
angesteckt haben, wird weiter verschwiegen. Zhong Nanshan ging auch
nicht darauf ein, warum er seine Vorhersage über den erwarteten
Höhepunkt der Epidemie schon wieder verschieben musste. Er betonte,
dass die Vorbeugung und Kontrolle «weiter verstärkt werden muss».
«Wir dürfen in unserer Wachsamkeit nicht nachlassen.»

Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO) rief die Welt zu
Solidarität auf. «Es geht jetzt nicht um Publikationen, Patente und
Profite», sagte Tedros Adhanom Ghebreyesus zum Auftakt eines
Expertengipfels in Genf. «Jetzt geht es darum, den Ausbruch zu
stoppen und Leben zu retten. Mit Ihrer Unterstützung können wir das
hinbekommen.» In Genf tagen bis Mittwoch Experten aus aller Welt, um
die Erforschung des Virus voranzubringen und möglichst die Grundlage
zur Entwicklung eines Impfstoffs zu legen.