Drug Checking: Straffrei testen lassen, dann abheben Von Fabian Nitschmann und Andreas Rabenstein, dpa

In zahlreichen Nachbarländern können die Menschen ihre Drogen vor dem
Konsum auf Verunreinigungen testen lassen. Auch in Berlin naht die
Einführung des sogenannten Drug Checkings. Doch was steckt hinter dem
Konzept, das Kritiker als Anreiz für weiteren Drogenkonsum ansehen?

Innsbruck (dpa) - Manuel Hochenegger sitzt in einem Besprechungsraum
nur wenige Meter von der Innsbrucker Partymeile entfernt. Beste Lage
für Feierwütige, die das Leben in vollen Zügen genießen wollen.
Hochenegger kennt sich mit dem Rausch in seinen vielen Facetten gut
aus: Der 33-Jährige ist Drogenberater in Innsbruck und bei der
Drogenarbeit Z6 zuständig für das sogenannte Drug Checking. Bei ihm
können die Konsumenten ihre Rauschmittel kostenlos auf ihre
Inhaltsstoffe prüfen lassen. Ein Konzept, das womöglich bald auch in
Deutschland Verbreitung finden könnte. Die Drogenbeauftragte der
Bundesregierung, Daniela Ludwig, jedenfalls könnte sich solche Tests
auch in der Bundesrepublik inzwischen gut vorstellen. Doch wird damit
nicht sogar zum Konsum von vermeintlich «sauberen» Drogen angeregt?

Die Drogen-Checker im österreichischen Innsbruck bieten ihre
stationäre Sprechstunde immer montags an, zwei Berater stehen dann
für ausführliche Gespräche zur Verfügung. Der Blick auf die
individuelle Situation gehört zum Test immer dazu - und kann beim
Erstbesuch auch mal länger dauern. «Beim Gespräch geht es um die
Substanzen, um Hobbys, Interessen, die aktuelle Lebenssituation. Wir
wollen wissen, welchen Stellenwert der Konsum einnimmt», erklärt
Hochenegger. Die Berater nähmen dabei eine akzeptierende Haltung ein.
«Wir erkennen an, dass der Konsum positive Wirkungen für die Menschen
haben kann.»

Die Probe wird später in die Innsbrucker Gerichtsmedizin gebracht,
wenige Tage danach kann das Ergebnis der Analyse besprochen werden.
«Dass wir nach dem Test vom Konsum abraten, kommt nicht selten vor»,
sagt Hochenegger. Letztlich entscheidet aber der Konsument, was er
mit den Substanzen und dem Testergebnis macht.

Vor einigen Wochen hat sich auch die Drogenbeauftragte Ludwig von den
Innsbruckern über Drug Checking berichten lassen. Ihr Fazit war
damals sehr positiv, seitdem bewirbt sie das Konzept. «Damit können
Konsumenten erreicht werden, die von der klassischen Suchtberatung
nicht angesprochen werden», sagte die CSU-Politikerin Anfang des
Jahres der «Rheinischen Post». Sie sei zu dem Thema bereits mit
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in Kontakt - und das, obwohl die
Union dem Thema eigentlich immer sehr kritisch gegenüberstand. In
zahlreichen Nachbarländern wie Frankreich, der Schweiz und den
Niederlanden sind die Drogentests bereits etabliert.

In Berlin, als eine der Party- und Drogen-Hauptstädte Europas
bekannt, steht das Drug Checking in den Startlöchern. SPD, Linke und
Grüne haben die Einführung der Tests in ihrem Koalitionsvertrag
verankert, das Konzept ist bereits erarbeitet. Für die Jahre 2020 und
2021 wurden jeweils 200 000 Euro im Haushalt vorgesehen, rechtlichen
Unklarheiten wurde mit einem Gutachten aus Köln begegnet. Nur der
Startzeitpunkt wird weiterhin nicht bekannt gegeben. CDU und FDP
kritisierten das Konzept in Berlin stets und sahen das investierte
Geld besser bei der Polizei oder in der Präventionsarbeit aufgehoben.

Konzeptionell wird das Drug Checking in Berlin dem in Innsbruck wohl
sehr ähneln. «An bis zu drei Standorten der Drogenberatung soll das
Drug Checking angeboten werden. Beim ersten Gespräch mit einem
Mitarbeiter der Einrichtung wird die Probe genommen und ein
Beratungsgespräch angeboten», teilte die Senatsverwaltung für
Gesundheit, Pflege und Gleichstellung der dpa mit. Das Ergebnis soll
dann online, telefonisch oder in einem weiteren persönlichen Gespräch
abgefragt werden können.

«Die Mitarbeitenden beraten zieloffen und motivierend», erklärte die

Senatsverwaltung. Zu den Hauptzielen gehöre neben der Information für
die Konsumenten auch neue, wissenschaftlich basierte Erkenntnisse
über das Konsumverhalten und den Drogenmarkt in Berlin.

Doch ist Drug Checking wirklich sinnvoll? Wiegt es Konsumenten nicht
letztlich in falscher Sicherheit? «Es gibt keinen sicheren Konsum -
auch wenn man weiß, was in den Substanzen enthalten ist», sagt Felix
Betzler, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité
in Berlin. Und dennoch sei Drug Checking aus medizinischer Sicht zu
befürworten. Das entscheidende Stichwort: harm reduction - also
Schadensminderung. «Wir wissen ja, dass der Konsum stattfindet. Dann
ist es entsprechend sinnvoll, wenn er mit größtmöglichen
Informationen aufseiten des Konsumenten stattfindet.» 2018 starben in
Deutschland fast 1300 Menschen durch Drogenkonsum.

Betzler hat in den vergangenen Jahren mehrfach zu Partydrogen
geforscht, zuletzt auch zu der Frage, ob die Berliner das Angebot zum
Drogencheck überhaupt annehmen würden. Die noch nicht
veröffentlichten Studienergebnisse seien eindeutig, erzählt er. «Mehr

als 90 Prozent der rund 700 Befragten würden Drug Checking in
Anspruch nehmen. Und eine große Mehrheit würde die Dosis reduzieren,
wenn die Probe einen hohen Wirkstoffgehalt aufweist, beziehungsweise
sogar auf den Konsum verzichten, wenn das Testergebnis auf
Verunreinigungen hinweist.»

Auch in Innsbruck ist das Interesse am Drug Checking groß. Nach dem
Start im März 2014 dauerte es gut ein Jahr, bis die Testphase mit 100
Proben abgeschlossen war. 2019 wurden nun schon etwas mehr als 500
Proben von 150 bis 160 Konsumenten analysiert. Die Drogenberater
wissen dadurch zudem sehr gut, welche Substanzen derzeit auf dem
Markt sind - und das Drogen zuletzt immer weniger gestreckt wurden.
Ein Befund, den Charité-Experte Betzler bestätigen kann: «Früher wa
r
eine Ecstasy-Tablette eine Konsumeinheit. Inzwischen führt eine ganze
Tablette bei unerfahrenen Nutzern aber mit hoher Wahrscheinlichkeit
zu einer Überdosierung.»

Finanziert werden die Innsbrucker Tests vom Land Tirol, im
vergangenen Jahr wurden 35 000 Euro dafür ausgegeben. «Am Anfang
gehörte es zu unseren Hauptaufgaben, auf Partys über die Checks
aufzuklären und Vertrauen zu gewinnen», berichtet Hochenegger. Klar
habe es auch Gerüchte von Kameras in Blumentöpfen und Kooperationen
mit der Polizei gegeben. Der Wahrheit entspreche das aber nicht. «Es
gibt gute Abmachungen mit der Polizei - zum Beispiel, dass sie eben
nicht zu unseren Öffnungszeiten hier vor der Tür stehen.»