1524 Nieren, 324 Herzen, 5 Därme: Neuer Anlauf für mehr OrganspendenVon Marco Krefting, dpa

In Deutschland ist die Zahl der Patienten, denen eine Organspende
helfen könnte, deutlich größer als die Zahl der transplantierten
Organe. Die Politik hat bereits ein Gesetz geändert. Nun steht eine
weitere wichtige Entscheidung an.

Berlin/Frankfurt (dpa) - Für mehr als 9000 Menschen in Deutschland
geht es beim Warten um Leben und Tod. Sie sind dringend auf eine
Organspende angewiesen, weil ihr Körper nicht mehr hundertprozentig
funktioniert. Alljährlich verschlechtert sich der Gesundheitszustand
bei über 1000 der Patienten auf den Wartelisten so sehr, dass
entweder keine Transplantation mehr möglich ist - oder sie sterben
sogar. Die großen Skandale um manipulierte Wartelisten sind schon
einige Jahre her, die Einstellung der Deutschen ist laut Umfragen so
positiv wie nie. Nur: Es mangelt an geeigneten Spendern.

Im vergangenen Jahr ging die Zahl der Organspender leicht von 955 auf
932 zurück. «Statistisch gesehen sind das Schwankungen, keine große
Änderung», sagt Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der Deutschen
Stiftung Organtransplantation (DSO). Wichtig sei, dass der deutliche
Anstieg im Jahr 2018 kein Ausreißer gewesen sei. Die Zahl der
gespendeten Organe sank 2019 von 3113 auf 2995. Das waren nach
vorläufigen Angaben von Montag 1524 Nieren, 726 Lebern, 329 Lungen,
324 Herzen, 87 Bauchspeicheldrüsen sowie 5 Dünndärme. Jeder Spender
hat im Schnitt mehr als drei Schwerkranken eine neue Lebenschance
geschenkt.

Die Politik hat die Problematik auf dem Schirm. Im abgelaufenen Jahr
wurde das Gesetz geändert: So bekamen Transplantationsbeauftragte in
den Krankenhäusern einen höheren Stellenwert, ihre Arbeit wird besser
vergütet. Schulungen etwa zum Umgang mit Patientenverfügungen und
eine bessere Analyse der Todesfälle in Kliniken sollen ebenfalls dazu
beitragen, dass die Zahl der Organspenden steigt. Erstmals
aufgenommen wurde darüber hinaus die Betreuung der Angehörigen - eine
Wertschätzung, die aus Rahmels Sicht nicht zu unterschätzen ist.

Dass das alles helfen kann, da sind sich alle Experten einig. Wie
sehr es helfen wird, bleibt ebenso abzuwarten wie das Tempo, in dem
die Verbesserungen eintreten. Die DSO verbuchte in den vergangenen
Monaten zumindest schon mal mehr Anfragen der Krankenhäuser.

Viel versprechen sich die meisten von einer Abstimmung, die an diesem
Donnerstag im Bundestag ansteht: Dann geht es auch um die sogenannte
Widerspruchslösung. Zwei fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe liegen

vor: Eine Abgeordnetengruppe um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU)
schlägt eine «doppelte Widerspruchslösung» vor. Demnach sollen
automatisch alle Bürger als Organspender gelten. Man soll dazu aber
später Nein sagen können, ansonsten wäre auch noch bei Angehörigen

nachzufragen. Dies lehnt eine Gruppe um Grünen-Chefin Annalena
Baerbock ab. Sie schlägt vor, die Bürger mindestens alle zehn Jahre
beim Ausweisabholen auf das Thema anzusprechen.

Rahmel sagt, die Widerspruchslösung würde dazu führen, dass sich
jeder mit dem Thema auseinandersetzen müsse. «Mehr als 40 Prozent der

ablehnenden Entscheidungen werden heute von Angehörigen getroffen,
die gar nicht wissen, was der Verstorbene wollte.» Allerdings warnt
er auch: «Die Widerspruchslösung ist nur ein Baustein. Dadurch werden
sich nicht von einem auf den anderen Tag die Zahlen verdoppeln.»

Bisher sind Organ-Entnahmen nur bei einem ausdrücklichen Ja zulässig.
Philosoph Dieter Birnbacher, Mitglied der Zentralen Ethikkommission
bei der Bundesärztekammer, meint, die Quote an Verweigerungen der
Angehörigen hänge mit den jeweiligen Einstellungen in den Ländern
zusammen. «In Deutschland herrscht in Bezug auf die High-Tech-Medizin
immer noch eine Misstrauenskultur», so Birnbacher. «Es wäre insofern

gut, wenn sich mehr potenzielle Spender zu Lebzeiten äußern würden.
»

Ein zweiter Punkt ist wichtig: Der Tod des Menschen muss durch
Nachweis des unwiderrufbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des
Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms zweifelsfrei feststehen.
Zwei Ärzte prüfen das unabhängig voneinander. Beispielsweise ist in
Spanien die Organspende nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand möglich,
in Deutschland aber nicht erlaubt. «Das ist ein relativ dickes Brett
und hat ganz eigene ethische Herausforderungen», sagt Rahmel dazu.

Ist ein passender Empfänger gefunden, kommt es auf Zeit an: «Einige
Organe lassen sich nur für kurze Zeit konservieren, ein Herz
beispielsweise nur für vier Stunden», heißt es bei der DSO. Bei einer

Niere könnten mehr als 20 Stunden bis zur Transplantation vergehen.

Rund 1300 sogenannte Entnahmekrankenhäuser gibt es in Deutschland.
Birnbacher sieht auch hier ein Problem, weil die große Zahl dazu
führe, dass zu wenige Transplantationen pro Intensivstation anfielen
und zu wenig Expertise bestehe. Eine Konzentration und
Spezialisierung, wie sie etwa in Dänemark verwirklicht worden sei,
sei deshalb wünschenswert. «Dem stehen allerdings lokale Interessen
entgegen», so Birnbacher. «Ich halte die Konzentration allerdings für

unausweichlich, nicht nur im Patienteninteresse, sondern auch wegen
der Probleme der Finanzierbarkeit des bestehenden Systems.»

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) verweist auf eine 2018
veröffentlichte Studie für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Sie

zeige, dass die Entnahmekrankenhäuser nahezu alle potenziellen
Organspender identifizieren. Allerdings stellten die Studienmacher
unter anderem auch fest, dass beispielsweise nicht in allen Fällen
gemäß den Richtlinien der Bundesärztekammer eine Diagnostik zum
Hirnausfall vorgenommen wurde. Die DKG ist aber überzeugt, dass mit
den Änderungen beim Transplantationsgesetz vom Frühjahr 2019 wichtige
Stellschrauben angepasst wurden, um die Organspende in Deutschland
weiter zu stärken.