«Große Geschichte»: Deutschlands erster Satellit hob vor 50 Jahren ab Von Marco Krefting, dpa

1969 war das Jahr der Mondlandung. Nur wenige Monate später schrieb
auch die deutsche Raumfahrt Geschichte. Eine mit Zufällen und Hochs
und Tiefs, wie sie heute wohl kaum noch vorstellbar wäre.

Weßling/Köln (dpa) - Einen richtigen Plan hatte Hubertus Wanke nicht.
«Wir wussten nicht, was wir zu tun hatten», erinnert er sich an die
Gruppe, die vor 50 Jahren den ersten deutschen Satelliten ins All
bringen sollte. Wankes Aufgabe war die Datenkontrolle im eigens
errichteten Deutschen Raumfahrtkontrollzentrum in Weßling bei
München. Der Zufall hatte ihn zu dem Job gebracht, so wie der Zufall
entscheidende Momente der Mission «Azur» bestimmte.

Wanke war 25, hatte gerade sein Physik-Studium abgeschlossen und saß
beim Zahnarzt, erzählt er. Der fragte ihn, was er denn nun beruflich
machen wolle - und empfahl, mal nach Oberpfaffenhofen zu fahren,
einem Ortsteil von Weßling. Da mache sein Schwager «irgendwas mit
Satelliten». Gesagt, getan. Wanke bekam den Job und einen Crashkurs
bei der US-Raumfahrtbehörde Nasa. «Nichts davon hatte ich im Studium
gelernt.»

Es war die Zeit des Kalten Krieges und immensen technologischen
Fortschritts. Die Sowjetunion, die USA, Großbritannien, Italien,
Frankreich, Kanada, Japan und Australien hatten schon Satelliten im
Weltraum. Nun wollte auch Deutschland mittun.

Rund 70 Kilogramm war der Forschungssatellit schwer und gut einen
Meter hoch, wie es beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt
(DLR) heißt. «Weil die Solarpanele so schön bläulich schimmerten,
bekam er den Namen «Azur»», sagt Wanke. Die kosmische Strahlung
sollte damit erforscht werden, ihre Wechselwirkung mit der
Magnetosphäre, Polarlichter und Sonnenwinde. 

Los gehen sollte es in der Nacht zum 7. November 1969 mit einer
Rakete vom kalifornischen Vandenberg aus. Ein Kabelbrand durchkreuzte
die Pläne. Der 8. November wurde der Tag für die Geschichtsbücher:
Die Trägerrakete mit «Azur» an Bord startete. «Die Basis für
Raumfahrt «Made in Germany»», wie Walther Pelzer, DLR-Vorstand für

das Raumfahrtmanagement, heute sagt. Vom ««Gesellenstück» der
deutschen Weltraumforschung» ist beim DLR die Rede.

Doch wieder lief nicht alles nach Plan. Eigentlich sollte eine
Nasa-Bodenstation in Alaska den ersten Kontakt zu «Azur» aufnehmen.
Doch das scheiterte. Auch bei der nächsten Station in England. So
rückte Bayern in den Fokus: Die Zentralstation in Weilheim übernahm
die Kontaktaufnahme mit «Azur», die empfangenen Daten wurden nach
Oberpfaffenhofen übertragen. «Das hatte in der Testphase nie so gut
geklappt», erinnert sich Wanke. «Aber da hat sich der Bildschirm
schlagartig mit grünen Daten gefüllt. Das war unglaublich.»

Laut DLR war eigentlich nicht vorgesehen, dass Rohdaten von Bayern
aus an die Nasa gehen. Die Ingenieure fanden eine Lösung: Sie zogen
den Lochstreifen aus dem Zentralrechner vom Rechnerraum über den Gang
zum Kontrollzentrum, um die Daten per Fernschreiber an die Nasa zu
übertragen.

«Azur» kreiste nun um die Erde, hatte allerdings einen Hang zum
Eigenleben: Er reagierte auf Störsignale. Das konnten die Techniker
zwar beheben. Während des 379. Umlaufs aber, fünf Wochen nach dem
Start, fiel das Magnetband-Speichergerät aus. Von diesem Moment an
konnten Messwerte und Kontrolldaten nur noch in Echtzeit empfangen
werden. Am 29. Juni 1970 brach die Verbindung dann aus ungeklärten
Gründen ganz ab.

173 Satellitenmissionen mit deutscher Beteiligung folgten seither
laut Bundeswirtschaftsministerium. «Jeden Tag profitieren die
Menschen in Deutschland davon - häufig ohne es zu merken», sagt der
Luft- und Raumfahrtkoordinator der Bundesregierung, Thomas Jarzombek.
«Ohne Satelliten hätten wir keine funktionierenden Navigationssysteme
mehr, keine Fernsehübertragungen, Telefon- und Datennetze wären
überlastet, die Energieversorgung massiv gestört und nicht zuletzt
wären die Wetterprognosen miserabel, auf dem Niveau von
Bauernregeln.»

«Azur» schwirrt noch immer inaktiv durchs All. Er ist inzwischen bei
weit mehr als 36 000 Erdumrundungen.