Pflegebrücke aus Mexiko - Neue Wege bei der Suche nach Fachkräften Von Michael Donhauser, dpa

In Mexiko, auf den Philippinen oder in Bosnien haben viele Menschen
keine Chance auf einen Job - das will die Bundesagentur für Arbeit
stärker nutzen. Mit speziellen Programmen fischen die Nürnberger nach
Fachkräften in aller Welt. Zum Wohle beider Seiten, wie es heißt.

Nürnberg (dpa) - US-Präsident Donald Trump baut an einer Mauer, mit
der er Eindringlinge aus Mexiko abhalten will. Deutschland baut eine
Brücke. Die Bundesagentur für Arbeit will in einer konzertierten
Aktion Tausende Arbeitnehmer aus Nicht-EU-Ländern nach Deutschland
holen, um die Löcher zu füllen, die der Fachkräftemangel in vielen
Sparten aufreißt. Es geht um Techniker, IT-Fachleute, Handwerker -
vor allem aber um Kräfte für die Pflege von Alten und Kranken. Dort
ist der Notstand am größten und spürbarsten.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) brach am Donnerstag nach Mexiko
auf, um dort um Kranken- und Altenpfleger für deutsche Einrichtungen
zu werben. Die ersten 100 sind hierzulande schon tätig, bald soll die
Zahl auf 300 steigen.

Erste Erfahrungen sind durchweg positiv. In einem Altenheim in Passau
etwa schätzt man die hohe Motivation und die freundliche Art der
Pfleger mit einer Anreise von 10 000 Kilometern. Thomas Hesse,
Personaldirektor des Klinikums Saarbrücken, hat vor kurzem 38
unterschriebene Verträge von einer Rekrutierungsveranstaltung in
Mexiko mit ins Saarland gebracht - schon in sechs Monaten sollen die
neuen Mitarbeiter beginnen. Die Bewerber waren zum Teil zwölf Stunden
mit dem Bus angereist, um eine Chance auf den Job im fernen
Deutschland zu bekommen.

In Halberstadt (Sachsen-Anhalt) wurden am Donnerstag vier Ärzte aus
dem lateinamerikanischen Land auch auf Spanisch willkommen geheißen.
«Die Hilfe, die wir hier bekommen, ist sehr wichtig für uns», sagte
Jorge Rios Fak, Facharzt für Orthopäde. Der 34-Jährige hat nach
eigenen Angaben in Mexiko-Stadt studiert. Eine passende Arbeit dort
zu finden, sei schwierig, er habe wie seine Kollegen unter anderem in
Sprachkurse investiert, um nach Deutschland kommen zu können. Die
Harzregion finde er «wunderschön».

Ein künftiger Chef der Mediziner, der Klinikdirektor des Ameos
Klinikums Halberstadt, Frank Kühl, kündigte an, mit den Ärzten aus
Mexiko in der Freizeit Wandern zu gehen. «Wir wollen noch mehr lernen
und wissen, hier arbeiten, wohnen und helfen», sagte der
Allgemeinmediziner Manuel Paz Montesinos (35).

Schon seit fünf Jahren fahndet die Bundesagentur gezielt nach
ausländischen Arbeitskräfte, die sich sonst nicht ohne weiteres in
Deutschland ansiedeln könnten - auf den Philippinen, in Tunesien oder
auch in Bosnien-Herzegowina. Die EU bietet über die sogenannte Blue
Card sogar schon seit 2012 ausländischen Akademikern ein dauerhaftes
Arbeits- und Bleiberecht an, wenn sie neben einem Hochschulabschluss
auch ein bestimmtes Mindesteinkommen - derzeit rund 53 000 Euro im
Jahr - vorweisen können.

Auch wenn im vergangenen Jahr 60 000 Menschen aus Nicht-EU-Ländern
aus beruflichen Gründen nach Deutschland kamen - für Angehörige
nicht-akademischer Ausbildungsberufe blieb die Tür jedoch allzu oft
zu, obwohl ihre Fähigkeiten dringend gebraucht würden. Allein in der
Pflege fehlen in Deutschland derzeit 40 000 Kräfte.

Die Nürnberger Behörde geht jetzt koordiniert vor. Mit den Vertretern
potenzieller Arbeitgeber im Schlepptau reisen die Arbeitsvermittler
in die Zielländer und suchen in enger Absprache mit der örtlichen
Arbeitsverwaltung nach geeigneten Leuten. Die Arbeitsverträge werden
oft an Ort und Stelle unterschrieben. Sie bilden die Grundlage für
das dann folgende Prozedere: Die Kandidaten lernen in ihrem
Heimatland Deutsch.

Die Bundesagentur koordiniert wie eine Art «Makler» den Papierkram,
kümmert sich unterstützend etwa um Visum und Arbeitserlaubnis und um
die Anerkennung der im Ausland erworbenen Abschlüsse. Schluss soll
sein mit den Berichten Betroffener, die etwa in der philippinischen
Hauptstadt Manila auf gepackten Koffern saßen, aber ein halbes Jahr
auf einen Termin bei der Deutschen Botschaft warteten, um einen
Visumsantrag zu stellen.

«Triple Win» heißt das Projekt, über das Pflegekräfte von den
Philippinen, Tunesien und vom Balkan nach Deutschland kommen sollen.
«3500 solcher Verträge sind bereits geschlossen», sagt Daniel
Terzenbach, Vorstand bei der Bundesagentur in Nürnberg. Davon
arbeiten bereits 2100 Menschen in Deutschland.

Künftig soll auch Mexiko ein Eckpfeiler der Auslands-Aquise werden.
Ein einfaches Unterfangen ist das nicht. «Das Anwerben von
Arbeitskräften aus Drittstaaten ist harte Arbeit», sagt Terzenbach.
Vor allem die Anerkennung über Kammern oder bei den Bundesländern sei
ein enormer Aufwand. Die Bundesagentur versuche auch, «einen fairen
Mobilitätsprozess» zu organisieren. Keinesfalls sollen die Menschen
in Deutschland an die falschen Leute geraten und abgezockt werden, um
dann vielleicht schon mit Schulden beladen Arbeit aufzunehmen.

Terzenbach setzt auch deshalb nicht auf schnelle Erfolge. In fünf
Jahren eine fünfstellige Zahl von Verträgen zu erreichen - das sei
ein sehr ehrgeiziges Ziel. «Es muss nachhaltig sein», sagt er. «Es
hilft nichts, schnell mal 50 Leute zu holen. Sonst würden auch die
Behörden in den Zielländern nicht mehr bereit sein, zu kooperieren.»


Die Jagd der reichen Deutschen auf Arbeitskräfte aus dem Ausland
stößt nicht nur auf Zustimmung. Kritiker bemängeln, deutsche
Arbeitgeber ließen sich die Ausbildung der Spezialisten von Ländern
bezahlen, die weit weniger wohlhabend seien als hierzulande.

«Vor dem Hintergrund einer guten internationalen Zusammenarbeit
stellen sich Fragen, wenn wir diese Leute den Arbeitsmärkten dieser
Länder entziehen», sagt etwa Anton Scharl, Präsident der Deutschen
Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. «Ein reiches Land wie

Deutschland sollte auch die Finanzmittel für die Ausbildung des bei
uns notwendigen Fachpersonals aufbringen.»

Die Bundesagentur kennt das Problem und will diesem begegnen. «Wir
sind die Guten», sagt Terzenbach. Es gehe bei den Nürnberger
Werbungsversuchen ausschließlich um Fachkräfte, die auf den
Heimatmärkten zu viel sind und keine Chance auf einen Job haben.
«Beide Länder müssen etwas davon haben», sagt Terzenbach.