Psychische Erkrankungen - Grüne und Therapeuten für mehr Prävention

Die Zahl psychisch Erkrankter in Rheinland-Pfalz schockiert auf den
ersten Blick. Zwar steckt längst nicht immer eine schwere Psychose
dahinter, doch sieht die Landespsychotherapeutenkammer
Verbesserungsbedarf. Auch die Grünen-Fraktion widmet sich dem Thema.

Mainz (dpa/lrs) - Angesichts vieler psychischer Erkrankungen in
Rheinland-Pfalz sind nach Ansicht der Psychotherapeutenkammer und der
Grünen-Fraktion mehr Behandlungsangebote und Prävention notwendig.
«In der Prävention könnten wir viel weiter sein, da stagniert es»,

sagte Sabine Maur, Präsidentin der Landespsychotherapeutenkammer, der
Deutschen Presse-Agentur in Mainz. Es dürfe nicht nur darum gehen,
Menschen resilienter, also widerstandsfähiger, zu machen. «Da geht
der Trend hin; aber häufig ist es auch wichtig, belastende Umstände
zu ändern, zum Beispiel unzumutbare Arbeitsbedingungen.»

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Katharina
Binz, sagte, es gebe viele einzelne Präventionsprojekte, aber kaum
flächendeckende und dauerhafte. Die Grünen-Fraktion bringt das Thema
psychische Gesundheit am Donnerstag in den Mainzer Landtag ein.

Nach einer Antwort des Gesundheitsministeriums auf eine Große Anfrage
der Grünen-Fraktion dazu wurde 2018 bei mehr als 1,3 Millionen
Rheinland-Pfälzern eine psychische Störung oder Erkrankung
diagnostiziert - also bei fast einem Drittel der Bevölkerung. Die
häufigsten Leiden waren den in der Antwort verwendeten
Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) zufolge
depressive Episoden (16 Prozent), auf Platz zwei kamen somatoforme
Störungen (12 Prozent) - das sind körperliche Beschwerden, bei denen
psychische Faktoren eine besonders große Rolle spielen.

Der Landesvertretungsleiter der Techniker Krankenkasse (TK), Jörn
Simon, sagte, in den 1,3 Millionen seien verschiedenste psychische
und neurologische Krankheitsbilder in sehr unterschiedlichen
Schweregraden eingeschlossen, wie die Diagnosen Demenzerkrankung,
motorische und sprachliche Entwicklungsstörung bei Kindern sowie
Depression oder Schizophrenie. Letztlich sei für Patienten wichtig,
dass sie die bestmögliche und erforderliche Versorgung erhielten.

Auch Maur betonte, dass die Zahlen stets eingeordnet werden müssten.
«Die Diagnosen nehmen zu, aber die Leute sind nicht kranker.» Es gebe
heutzutage mehr Behandler, ergo auch mehr Diagnosen - und die seien
auch besser und präziser als früher, es gebe heute mehr psychische
Krankheitsbilder. Außerdem würden sich die Menschen heutzutage eher
Hilfe suchen bei psychischen Problemen. Auch Maur verwies darauf,
dass bei Kindern motorische und sprachliche Entwicklungsstörungen im
Kapitel der psychischen Erkrankungen geführt würden, obwohl sie das
im engeren Sinne nicht seien. Auch das treibe die Diagnosezahlen in
die Höhe.

Es müsse bedacht werden, dass es sich bei einer Reihe von Diagnosen
um leichte Anpassungsstörungen und Reaktionen auf Belastungen
handele, sagte Maur. Dazu könne gehören, dass jemand nach einer
Trennung niedergeschlagen sei und ein Hausarzt eine solche leichte
Störung feststelle. Binz ergänzte, das Gros der Diagnosen stellten
Hausärzte. «Nur in absoluter Minderheit sind es Psychiaterinnen und
Psychiater oder Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten.»

Eine Untersuchung der Bundestherapeutenkammer widmete sich im
vergangenen Jahr den Wartezeiten für eine psychotherapeutische
Behandlung. In Rheinland-Pfalz kam die Kammer auf etwa 19 Wochen, die
Patienten auf einen Therapieplatz warten müssen - das war in etwa der
bundesweite Schnitt. Auf einen ersten Sprechstundentermin, der noch
nicht Auftakt einer Therapie ist, musste hierzulande fast sieben
Wochen gewartet werden, der Bundesdurchschnitt lag bei 5,7 Wochen.

Alles in allem sei zwar «Alarmismus» nicht angebracht, sagt Maur.
Nichtsdestotrotz gebe es Verbesserungsbedarf, insbesondere auf dem
Land. Dort seien die Wartezeiten noch länger als in der Stadt. Es
mangele oft auch an der Steuerung, wer nun tatsächlich dringend Hilfe
brauche und welche am besten für denjenigen sei.

Dass Bedarf besteht, zeigen auch Zahlen der KV Rheinland-Pfalz. Ihr
zufolge vermittelten die Terminservicestellen zwischen Januar und
August dieses Jahres 3027 Termine erfolgreich. Die größten Engpässe
habe es bei Psychotherapeuten gegeben, sie machten 40 Prozent der
Vermittlungen aus. In 45 Fällen seien auch von der Servicestelle
keine verfügbaren niedergelassenen Therapeuten in zumutbarer
Entfernung gefunden worden, es folgte die Vermittlung in eine Klinik.

Maur sagte, die Mitarbeiter der Terminservicestellen seien teilweise
mit heftigen Fällen konfrontiert, es komme auch zur Androhung eines
Suizids. Das bestätigte auch der Sprecher der KV Rheinland-Pfalz,
Rainer Saurwein. Es sei zumindest Besserung in Sicht. Saurwein
verwies auf den vom Gemeinsamen Bundesausschuss überarbeiteten
Bedarfsplan zur haus- und fachärztlichen Versorgung. Die genauen
neuen Sollzahlen für Rheinland-Pfalz lege der Landesausschuss der
Ärzte und Krankenkassen fest, der Ende September zusammenkomme.

Die Landespsychotherapeutenkammer erhofft sich für Rheinland-Pfalz
rund 50 Sitze mehr an psychologischen Psychotherapeuten und
Kinderpsychotherapeuten, wie die Präsidentin Maur sagte. Die würden
vor allem auf dem Land dringend gebraucht. Anders als in vielen
medizinischen Disziplinen fehle es nicht an Fachkräften.

Potenzial für die Zukunft sieht Maur auch in der Telemedizin.
Online-Gespräche könnten Hemmschwellen senken und Wege und Zeit
sparen. «Das ist in einem Flächenland wie Rheinland-Pfalz sehr
spannend.» Allerdings seien viele Regelungen zur Abrechnung solcher
Behandlungen noch nicht getroffen, und es brauche dafür schnelles
Internet. «Was damit nicht gelöst wird, ist die Kapazitätsfrage»,
sagte die Psychotherapeutin. Ein Kollege, der online therapiere,
könne nicht parallel eine direkte Behandlung übernehmen.

TK-Vertreter Simon sagte: «Grundsätzlich begrüßen wir die zunehmend
e
Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen.» Allerdings löse nicht
jede psychische Diagnose einen Behandlungsbedarf aus. Auch die
Grünen-Politikerin Binz sagte, das Thema psychische Gesundheit sei in
den vergangenen Jahren gesellschaftsfähiger geworden. Aber auf
individueller Ebene sei es immer noch schwierig, viele fürchteten
nach wie vor eine Stigmatisierung.

Maur zufolge tun sich insbesondere Männer nach wie vor schwer damit,
sich in psychotherapeutische Behandlung zu begeben. Binz sagte, bei
der Großen Anfrage sei es auch darum gegangen, das Thema mal wieder
in die Öffentlichkeit zu rücken. «Es betrifft nicht nur Junge, Alte
oder Berufsgruppen mit hohem Arbeitspensum, es betrifft alle
Bevölkerungsgruppen.»