Alzheimer-Gesellschaft fordert Krisendienste für pflegende Angehörige Von Dorothea Hülsmeier, dpa

Die Pflege alter Menschen ist meist Familiensache. Viele Angehörige
sind aber überfordert, vor allem wenn sie Demenzkranke pflegen.
Experten fordern Hilfe - auch um Gewalt in der Pflege zu verhindern.

Düsseldorf (dpa/lnw) - Die Alzheimer-Gesellschaft fordert umfassende
Hilfsangebote für Zehntausende Menschen, die ihre pflegebedürftigen
Angehörigen zu Hause betreuen. Nordrhein-Westfalen brauche dringend
Krisendienste und Hotlines, an die sich Angehörige vor allem von
Demenzkranken in Überforderungssituationen wenden könnten, sagte die
Vorsitzende des Alzheimer-Landesverbandes, Regina Schmidt-Zadel, am
Freitag in Düsseldorf. Sie forderte einen Landesdemenzplan für NRW
nach dem Vorbild Bayerns und Schleswig-Holsteins. Auch Krisendienste
für Angehörige gebe es in Bayern schon seit Jahrzehnten. In NRW leben
nach Schätzungen rund 300 000 Demenz-Kranke. Rund drei Viertel der
Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt.

Die Altenhilfe-Forscherin, Professorin Cornelia Schweppe, forderte
bei einem Symposium im Landtag ein Gewaltschutzkonzept für ältere
pflegebedürftige Menschen. Gewalt in der Pflege sei «kein
persönliches, sondern ein gesellschaftliches Problem». Darauf wiesen
viele Studien hin. «Gewalt fängt nicht erst beim Schlagen an.» Auch
Beschimpfen, Aggression, Einschüchtern sowie Vernachlässigung und das
Einsperren von Demenz-kranken Menschen seien Formen der Gewalt. Grund
seien oft Pflegestress, Überforderung, aber auch nicht verarbeitete
Konflikte etwa zwischen Kindern und pflegebedürftigen Eltern. Hinzu
komme mangelndes Wissen über die Krankheit. «Demenz ist ein
Risikofaktor dafür, dass Menschen in der Pflege Gewalt erfahren»,
sagte Schweppe.

Als Grund für die Überlastung von pflegenden Angehörigen nennt die
Alzheimer-Gesellschaft auch den Mangel an Pflegediensten. Besonders
auf dem Land sei es schwierig, ambulante Dienste zu bekommen.
Pflegedienste müssten Hilfesuchende häufig wegen mangelnder Kapazität

abweisen. Laut einer Umfrage der Wohlfahrtsverbände erhielten 2018
pro Pflegedienst mehr als zehn Menschen im Monat eine Absage. Manche
Pflegedienste gäben aus Mangel an Personal auf. Denn viele
Altenpflegekräfte wechselten in Krankenhäuser, weil sie dort besser
bezahlt würden.

Angehörige seien «der größte Pflegedienst der Nation», sagte
Schmidt-Zadel. «Ohne sie würde der Pflegedienst in diesem Land
zusammenbrechen.» Auch in der Kurzzeitpflege gebe es zu wenig Plätze,
beklagt die Alzheimer-Gesellschaft. Gesundheitsminister Karl-Josef
Laumann (CDU) hatte angekündigt, Kurzzeitpflege künftig auch in
Krankenhäusern zu ermöglichen.

Ursula Sottong, Leiterin Fachstelle Demenz der Malteser Deutschland,
sagte: «Demenz ist nicht allein über Ärzte und Angehörige zu
bewältigen.» Die alternde Gesellschaft müsse sich insgesamt mehr auf

Menschen mit Demenz einstellen. «Busfahrer, Verkäuferin, Bankkauffrau
oder Nachbar: Alle benötigen wir ein Verständnis davon, wie wir mit
dementiell erkrankten Menschen im Alltag umgehen.»

Nicht nur die pflegenden Angehörigen, auch Menschen mit Demenz seien
von Situationen oft überfordert und könnten übergriffig werden.
«Gewalt in der Pflege geht nach beiden Seiten.» In Pflegestationen
könnten schon «Alltagsbegleiter» helfen, Menschen bei der
Orientierung oder beim Essen unterstützten und so für Beruhigung
sorgen. «Ich muss verstehen, was passiert», sagte Sottong. Oft sei
mangelndes Wissen der Grund für Überforderung.

Fast 2,6 Millionen Menschen wurden bundesweit im Jahr 2017 nach
Angaben des Statistischen Bundesamts zu Hause versorgt. Das sind 76
Prozent der Pflegebedürftigen. Der Großteil dieser Menschen wird
allein von Angehörigen ohne Hilfe eines Pflegedienstes betreut. In
NRW werden laut Gesundheitsministerium knapp 600 000 Menschen zuhause
gepflegt. I

Die Versorgung durch Angehörige sei «eine Leistung, die nicht hoch
genug geschätzt werden kann», hatte auch Bundesseniorenministerin
Franziska Giffey (SPD) gesagt. Die bessere Vereinbarkeit von Pflege
und Beruf sei eine wichtige Zukunftsaufgabe. Neben dem bereits
bestehenden Anspruch auf Familienpflegezeit prüfe ihr Ministerium ein
Konzept für ein Familienpflegegeld.