Wachsende Kritik an Spahns Reformplänen zur Intensivpflege

Es geht um eine sensible Operation, mit der Minister Spahn eine
bessere Versorgung für tausende Patienten absichern will. Doch der
Gegenwind wird stärker - auch aus ganz grundlegenden Befürchtungen.

Berlin (dpa) - Die Reformpläne von Gesundheitsminister Jens Spahn
(CDU) für die Pflege schwerkranker Menschen mit künstlicher Beatmung
stoßen auf immer mehr Kritik. Die Bundesärztekammer mahnte am
Dienstag weitere Ausnahmen an, um die Selbstbestimmung aller
Patienten zu erhalten. Es sei grundsätzlich zu befürworten, dass
außerklinische Intensivpflege in der Regel in Pflegeeinrichtungen
oder speziellen «Pflege-WGs» erbracht werden solle. Es sollten aber
Ausnahmen für Erwachsene in heimischem Umfeld möglich sein. Die
Deutsche Stiftung Patientenschutz untermauerte ihren Protest. Alle
Versorgungsformen müssten gleichberechtigt nebeneinander stehen.

Die Bundesärztekammer warnte, die jetzigen Pläne würden bestimmte
Patientengruppen durch den «rigiden Ausschluss einer häuslichen
Versorgung» in der Möglichkeit einer selbstbestimmten und frei
gewählten Lebensführung einschränken. Die geeignete Wohnform und die

nötige Versorgungsform sollten aber gemeinsam mit den Patienten
ermittelt werden, auch vor dem Hintergrund der Teilhabe am Leben in
der Gesellschaft. «Dies darf nicht auf bestimmte Altersgruppen
beschränkt werden», heißt es in einer Stellungnahme für eine Anhö
rung
zum ersten Entwurf des Ministeriums an diesem Mittwoch.

Geplant ist demnach eine bessere Betreuung für Menschen, die etwa
nach einem Unfall künstlich beatmet werden müssen. Um höhere
Qualitätsstandards zu verankern, soll eine Intensivpflege in der
eigenen Wohnung dafür künftig die Ausnahme sein. Weiterhin Anspruch
auf Intensivpflege zu Hause haben sollen aber minderjährige Kinder.
Ausnahmen sollen zudem möglich sein, wenn die Unterbringung in einer
Einrichtung nicht möglich oder zumutbar ist. Spahn hatte die Pläne
verteidigt. Das Ministerium betonte zugleich, dass man Kritik von
Betroffenen ernst nehme und in den Beratungen mit aufgreifen wolle.

Die Stiftung Patientenschutz betonte, es brauche eine hohe Qualität
in der ambulanten Intensivpflege von mehr als 30 000 Patienten. Mit
dem Gesetzentwurf greife Spahn aber tief in die Freiheitsrechte der
schwerst kranken Menschen ein, wenn damit die Intensivpflege in den
eigenen vier Wänden praktisch verhindert werde. «Dies ist für die
Patienten und ihre Angehörigen untragbar», sagte Vorstand Eugen
Brysch der Deutschen Presse-Agentur. Teilhabe am sozialen Leben würde
so extrem eingeschränkt. Betroffene würden zudem im Verlauf der
Erkrankung vor die Entscheidung gestellt, «ob sie lieber jetzt zu
Hause sterben oder für eine Beatmung in eine Einrichtung ziehen».

Brysch forderte, nur der Betroffene dürfe frei entscheiden, ob er zu
Hause, in einer Wohneinheit oder einem Pflegeheim leben möchte. «Der
Mensch darf nicht zum Spielball der Interessen von Krankenkassen
werden.» Qualitätsanforderungen an Anbieter für Intensivpflege
sollten erhöht und Kontrollen verschärft werden. Wichtig sei zudem,
Kriminellen in der lukrativen Branche das Handwerk zu legen.

Hintergrund der Gesetzespläne sind auch Fälle von Geschäftemacherei
und Zweifel an der Betreuungsqualität bei der Versorgung zu Hause.
Gegensteuern will Spahn auch mit finanziellen Anreizen. So sollen die
Eigenanteile für die Intensivpflege in Heimen von derzeit bis zu 3000
Euro im Monat erheblich gesenkt werden. Krankenkassen sollen anbieten
können, auch Kosten für Unterkunft und Verpflegung zu übernehmen.
Dies soll den «Fehlanreiz» aufheben, dass sich manche Patienten wegen
geringerer Zuzahlungen für eine Intensivpflege zu Hause entscheiden.

Unterstützung für die Reform hatte unter anderem der Bundesverband
Schädel-Hirnpatienten in Not signalisiert. Derzeit könnten sich viele
eine stationäre «Bestversorgung» nicht leisten und seien nur deshalb

in «pseudoambulanten Intensivwohngruppen». Dies solle richtigerweise
geändert werden. Auch mehrere Krankenkassen hatten die Pläne begrüß
t.