Der zweite Entdecker Amerikas - 250 Jahre Alexander von Humboldt Von Esteban Engel, dpa

Naturforscher und Gegner der Sklaverei - Alexander von Humboldt war
seiner Zeit voraus. Zu seinem 250. Geburtstag sind seine Erkenntnisse
aktueller denn je.

Berlin (dpa) - Seinen Namen tragen Berge, Flüsse, Städte und
Nationalparks: Schon zu Lebzeiten galt Alexander von Humboldt
(1769-1859) als berühmtester Wissenschaftler seiner Zeit. Der
Forscher und Universalgelehrte hat das Naturverständnis nachfolgender
Generationen wie kein anderer geprägt. «Alles hängt mit allem
zusammen» - so lautete Humboldts grundlegende Ansicht, dass unsere
Umwelt nur im Zusammenspiel mit den menschlichen Wirken zu betrachten
sei.

Ob Artenvielfalt, Ressourcenschutz oder Klimawandel - zu Humboldts
250. Geburtstag an diesem Samstag (14. September) sind die
Erkenntnisse des genialen Gelehrten aktueller denn je. «Sein
vernetztes Denken passt in unsere Zeit», sagt der Romanist Ottmar
Ette (Universität Potsdam), der auch Herausgeber zahlreicher
Schriften ist. Denn Humboldt sei beides gewesen: Naturforscher und
Kulturforscher und noch heute eine Leitfigur der Wissenschaft - von
der Klimaforschung bis zur Anthropologie.

Neugierde und Begeisterungsfähigkeit waren Humboldts Antrieb, für
seine Erkundungen auf dem amerikanischen Kontinent nahm er
unglaubliche Strapazen auf sich, die heute, in Zeiten von
Abenteuerurlaub und Massentourismus kaum vorstellbar sind. Zu Fuß,
auf Mauleseln oder im Kanu reiste er Tausende Kilometer zwischen der
Karibik und den Anden. Nach Christoph Kolumbus gilt er deswegen als
«zweiter Entdecker Amerikas».

Mit seinem Begleiter, dem französischen Botaniker Aimé Bonpland
(1773-1858), durchkreuzte er den Regenwald. Moskitos und die Angst
vor Malaria gehörten dabei zu den kleineren Problemen. Mehrmals
entkam Humboldt nur knapp dem Tod, etwa durch Curare-Gift oder
Krokodil-Bisse.

Im heutigen Ecuador bestieg er den Vulkan Chimborazo. Bei dünner Luft
und beißender Kälte kamen Humboldt und Bonpland im Juni 1802 auf etwa
5900 Meter, so hoch wie nach damaligem Wissen noch kein Mensch vor
ihnen. Humboldts Naturgemälde des Chimborazo, auf dem er die
Verteilung der Vegetationszonen aufzeichnet, beschäftigt bis heute
die Wissenschaft.

Dabei wächst der Sohn eines preußischen Offiziers in komfortablen
Verhältnissen auf. Auf dem Familienschloss in Berlin-Tegel, wo noch
heute das Humboldt-Anwesen steht, genießt er mit seinem älteren
Bruder Wilhelm (1767-1835) die beste Erziehung, die man in jener Zeit
erhalten kann. Die Mutter gilt als streng, aber sie sorgt dafür, dass
die beiden Brüder exzellente Hauslehrer bekommen.

Wilhelm merkt früh, dass Alexander bei seinen Streifzügen durch den
Tegeler Forst unterschiedliche Beobachtungen miteinander verknüpfen
konnte. «Diese Gabe zur Kombinatorik zeichnet ihn bis zu seinem
Lebensende aus», sagt Ottmar Ette. «Heute nennen wir das Vernetzung».


Während des Studiums der Staatswirtschaftslehre in Frankfurt/Oder und
später an der Freiberger Bergakademie schärft Humboldt seine
Fähigkeiten für die Naturbeobachtung. Er führt Experimente am eigenen

Körper durch, notiert jedes Detail, wenn sich als Folge etwa Ekzeme
auf seiner Haut bilden. Die Wunden entzünden sich, doch Humboldt ist
angesichts seiner Erkenntnisse glücklich, schreibt seine Biografin
Andrea Wulf. Mit 22 Jahren wird er Bergbauassessor. Unter anderem
erfindet er eine Grubenlampe, die auch bei wenig Sauerstoff in großer
Tiefe noch Licht abgibt.

Aber Humboldt treibt es in die weite Welt. Er versucht zunächst in
London und Paris eine Schiffspassage nach Amerika zu bekommen -
vergeblich angesichts der Gefahren durch Seekriege und Piraten.
Schließlich gibt ihm der spanische König die Erlaubnis, nach
Neuandalusien, dem heutigen Venezuela, zu reisen.

Zur Finanzierung seiner Reise greift er auf das von der Mutter
hinterlassene Erbe zurück. An Bord der Fregatte «Pizarro» landet er
beladen mit Messinstrumenten - Sextant, Fernrohr, Teleskop,
Längenuhr, Barometer und Thermometer - 1799 in Cumaná an der
Karibikküste. Er ist sofort von der Landschaft hingerissen. «Wie die
Narren laufen wir bis jetzt umher», berichtet er seinem Bruder.

Doch auch ein anderes Erlebnis hinterlässt tiefe Spuren: Der
Sklavenmarkt von Cumaná, wo Menschen «wie auf dem Pferdemarkt»
gehandelt wurden. «Zweifelsohne ist die Sklaverei das größte aller
Übel, welche jemals die Menschheit betroffen», schreibt er später in

einem Essay über Kuba.

Fünf Jahre lang reisen Humboldt und Bonpland zwischen Karibik und den
Anden. «Ich fühle, dass diese Eindrücke mich auch künftig oft
erheitern werden», berichtet er an einen Freund. Diese Mischung aus
Garten Eden und Eldorado, diese Fülle der Natur, habe den
Wissenschaftler geradezu berauscht, so Humboldt-Forscher Ette.

Wie im Rausch ist er auch unterwegs. Auf einer Piroge, einem
einfachen Boot, entdecken Humboldt, Bonpland und seine örtlichen
Helfer die Verbindung zwischen den Strömen Orinoco und Amazonas. Sie
kartieren die Landschaft, registrieren Pflanzen und Tiere. Er reist
nach Kuba und nach Mexiko und erforscht den kalten Strom an der
Westküste Nordamerikas, der heute seinen Namen trägt.

Kistenweise lässt er seine Funde nach Europa verschiffen:
Steinproben, Pflanzen, Tiere und Kulturobjekte. Bei seiner Rückkehr
nach Europa wird er wie ein Star empfangen. In Berlin sind seine
Vorträge Stadtgespräch. In mehr als 30 Bänden veröffentlicht er die

Erkenntnisse der Amerikareise. Sein Buch «Kosmos» wird ein
Bestseller. Angebote des Königs, Minister oder Botschafter zu werden,
schlägt er aus. Als Liberaler ist Humboldt jede Verbindung zum
königlichen Hof suspekt.

Aber er bleibt rastlos und schmiedet Pläne für eine Expedition nach
Indien und dem Himalaya. Die Reise kann er jedoch nicht realisieren.
Einen Kritiker des Kolonialismus wollten die Briten und Portugiesen
nicht in ihre Territorien lassen.

Einen Ersatz für seine Orientpläne erhofft sich Humboldt von der
Russland-Expedition. Der russische Finanzminister Georg von Cancrin
lädt Humboldt zu einer Forschungsreise ein. Das Zarenhaus erhofft
sich Erkenntnisse über Bodenschätze jenseits des Ural. Mit 59 Jahren
reist Humboldt 1829 durch Russland und Sibirien bis an die Grenze
nach China.

Eine Bedingung, die ihm Cancrin auferlegt: Der Forscher darf nicht
über die Unterdrückung der Bauern und die feudale Gesellschaft auf
dem Land berichten. Doch Humboldt hält sich nicht an die Auflage und
an die vorgeschriebene Route und unternimmt einen 1500 Kilometer
langen Abstecher in das Altai-Gebirge. Er findet heraus, wie sich die
Abholzung und Verfeuerung von Wäldern auswirken und wie eine
ineffiziente Energiegewinnung mit Großgrundbesitz, Staatsmonopol und
Leibeigenschaft zusammenhängen.

In Berlin wird er 1848 Zeuge der revolutionären Bewegungen in ganz
Europa. Er sehnt sich nach einem vereinigten Deutschland, bleibt aber
ein Kosmopolit. Als sich im Frühjahr 1849 das Scheitern einer
konstitutionellen Monarchie in Deutschland abzeichnet, versinkt
Humboldt in Pessimismus.

Er hatte erlebt wie sich die Französische Revolution dem Autokraten
Napoleon zuwandte. Aus der Nähe hatte er auch beobachtet, wie der
lateinamerikanische Freiheitsheld Simón Bolivar (1783-1830) nach dem
Kampf gegen die spanischen Kolonialherren selber zum Diktator wurde.
Der Wunsch der Menschen nach Reformen werde aber nicht erlischen,
schreibt er mit 80 Jahren.

Politisch lässt sich Humboldt aber schwer vereinnahmen, sagte Ottmar
Ette. Zwar wurde er von der DDR ideologisch gerne in Anspruch
genommen. Als Vordenker einer globalisierten Welt sei er aber
glücklicherweise nie vom nationalistischen Diskurs vereinnahmt
worden.

Zu Humboldts Tod im Jahr 1859 würdigt Preußenkönig Friedrich Wilhelm

IV. den Republikaner Humboldt als «größten Mann seit der Sintflut».

Zehn Jahre nach seinem Tod, zu Humboldts 100. Geburtstag, erinnerten
bereits Menschen in aller Welt an «den größten Forschungsreisenden,
der jemals gelebt hat» (Charles Darwin).