Berufskrankheit Hautkrebs: Braucht Deutschland eine Siesta? Von Christina Sticht, dpa

Der Sommer 2019 war einer der sonnenintensivsten der vergangenen
Jahrzehnte. Mit der UV-Strahlung steigt die Hautkrebs-Gefahr. Ärzte
plädieren im Zuge des Klimawandels für mehr Prävention vor allem fü
r
besonders gefährdete Berufsgruppen.

Hannover (dpa) - Angesichts der rapide gestiegenen Zahl von
Hautkrebspatienten haben Mediziner mehr Sonnenschutz für im Freien
arbeitende Menschen gefordert. «Das Sonnenlicht wird unterschätzt.
UV-Strahlung ist ein krebsauslösender Stoff wie zum Beispiel
Lösungsmittel oder Pestizide», sagte Christoph Skudlik, Professor am
Institut für interdisziplinäre Dermatologische Prävention und
Rehabilitation an der Universität Osnabrück. Die tolerable Dosis
werde regelmäßig bei im Freien tätigen Menschen überschritten.

Hautkrebs durch UV-Strahlung ist seit 2015 als Berufskrankheit
anerkannt. Wie die Gesetzliche Unfallversicherung (GUV) am Mittwoch
mitteilte, wurden im vergangenen Jahr 4255 Fälle bestätigt. Hinzu
kommen laut der zuständigen Sozialversicherung SVLFG 1465 anerkannte
Hautkrebs-Fälle bei Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft
sowie im Gartenbau.

Allein der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau) wurden
2018 knapp 2944 neue Verdachtsfälle gemeldet, im ersten Halbjahr 2019
waren es bereits etwa 1400 Meldungen. Damit habe Hautkrebs
Lärmschwerhörigkeit als am häufigsten angezeigte Berufskrankheit
abgelöst, sagte BG-Bau-Sprecherin Christiane Witek. Die
Genossenschaft berät Unternehmer, informiert Azubis und bietet
Vorsorgeuntersuchungen an - etwa eine halbe Million Beschäftigte
nehmen sie jährlich in Anspruch.

Vielen Experten geht das nicht weit genug. Skudlik plädiert dafür,
dass Hautkrebs-Screenings bei den sogenannten Outdoor-Workers zur
Pflicht werden. Zudem sollten Arbeitgeber für Schatten sorgen sowie
UV-Schutzkleidung ausgeben. «Wir müssen die Arbeitszeiten verändern
und über eine Siesta nachdenken», sagte Ralph von Kiedrowski,
Vorstandsmitglied des Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen
(BVDD). Maurer in den Mittelmeer-Ländern bekommen laut einer Studie
nicht wesentlich mehr UV-Strahlung ab als in Deutschland, vermutlich
weil sie zwischen 11 und 16 Uhr eine lange Mittagspause machen.

Zurzeit gibt es in Deutschland etwa 300 000 Neudiagnosen von
Hautkrebs jährlich, davon betreffen laut BVDD etwa 23 000 Fälle
schwarzen Hautkrebs. Nach einer Auswertung der Kaufmännischen
Krankenkasse (KKH) ist die Zahl ihrer Versicherten, die zwischen 2006
und 2016 wegen Hautkrebs in ärztlicher Behandlung waren, stark
gestiegen: beim schwarzen Hautkrebs bundesweit um 108 Prozent, beim
weißen Hautkrebs sogar um 160 Prozent. Auch die Techniker
Krankenkasse berichtet von einem Anstieg.

Hintergrund ist wahrscheinlich auch, dass weit mehr Patienten zur
Vorsorge gehen. Seit 2008 haben gesetzlich Versicherte ab 35 Jahren
alle zwei Jahre Anspruch auf ein Hautkrebs-Screening, das bei dafür
qualifizierten Haus- und Hautärzten erfolgt. Allerdings nutzten viel
zu wenige Patienten dieses Angebot, kritisierte von Kiedrowski. Der
Berufsverband der Deutschen Dermatologen berät Kindergärten bei der
Prävention. Das Interesse sei riesig, allein in diesem Jahr wurden
dem Verband zufolge schon 300 Kitas erreicht. Es gebe auch viele
Anfragen von Grundschulen.

Beim schwarzen Hautkrebs werden rund 3000 Todesfälle pro Jahr in
Deutschland registriert. Mehr als 70 Prozent aller Fälle werden laut
BDD aber früh erkannt, die Aussichten auf Heilung liegen dann
zwischen 86 und 100 Prozent. Auch beim weißen Hautkrebs liegen die
Heilungschancen bei 95 Prozent. Er tritt meist im höheren Alter ab
etwa 50 Jahren auf, häufig am Kopf oder Hals.

«Die Haut vergisst nicht», betont von Kiedrowski. Die Lichtbelastung
von Jahrzehnten addiere sich. Er glaubt nicht, dass die
Hautkrebs-Diagnosen in den nächsten Jahrzehnten wieder sinken werden,
weil sich Menschen besser schützen. «Nach einem sehr schönen Sommer
ist das Sonnenkontingent eigentlich schon aufgebraucht», meint der
Mediziner. Doch dann folgten bei vielen noch im Herbst und Winter
Flugreisen in den Süden oder der Skiurlaub in den Bergen. Im Schnee
kann durch Streuung und Reflexion der Strahlen eine um über 80
Prozent höhere UV-Strahlung erreicht werden.