Die Unzufriedenen von Neißeaue und Hirschfeld Von Miriam Schönbach, Christiane Raatz und Anne Pollman, dpa

In der östlichsten Gemeinde Deutschlands holt die AfD bei der
Landtagswahl fast die Hälfte der Stimmen. In Hirschfeld in
Südbrandenburg sind es sogar mehr als 50 Prozent. Was treibt ihre
Wähler um?

Neißeaue/Hirschfeld (dpa) - Linden säumen die Hauptstraße, auf den
Fensterbrettern stehen Geranien. In keiner Gemeinde hat die AfD bei
den Landtagswahlen am Sonntag so gut abgeschnitten wie hier im
brandenburgischen Örtchen Hirschfeld mit seinen 1069
Wahlberechtigten. 50,6 Prozent der Wähler gaben ihre Stimme der
Partei. Der AfD-Direktkandidat Volker Nothing holte hier 47,1 Prozent
der Stimmen.

Mit Journalisten darüber sprechen möchte hier am Tag nach der Wahl
niemand. Nicht in der Gaststätte, nicht in der Apotheke und auch
nicht auf der Baustelle. Mit einer Ausnahme: Ali Uguz, der in seinem
Imbiss neben der Kirche Döner verkauft. Er hat seinen Laden schon
lange im Ort. «Ich habe hier keine Probleme», sagt er.

Die Menschen in der Gemeinde hätten immer schon «eher rechts»
gewählt, erzählt Pfarrer Klaus Tiedemann, der bis zum Sommer in
Hirschfelde gelebt hat. Viele fühlten sich am Rande, unbeachtet «und
suchen manchmal nach einfachen Lösungen».

Im sächsischen Neißeaue sind die Menschen gesprächiger. «Ich bin
erschüttert über dieses Ergebnis. Hier geht es keinem schlecht, ich
kann es nicht nachvollziehen», sagt Jutta Klose aus Groß Krauscha,
das mit sieben anderen Dörfern zur Gemeinde Neißeaue gehört. Hier hat

die AfD bei der Landtagswahl 48,4 Prozent geholt, ein Rekordergebnis
in Sachsen.

Warum machen so viele Menschen ihr Kreuz bei der AfD? Klose stemmt
die Hand in die Hüfte: «Frust», sagt die CDU-Wählerin. Die 61-Jäh
rige
tritt vor die Tür, an ihrem Haus steht «Partyservice Klose». Ihr Mann

Falk erklärt, wo aus seiner Sicht der Schuh drückt: Die Gemeinde ist
klamm, Straßenlaternen werden nachts abgeschaltet, die Straße nach
Kodersdorf müsste dringend saniert werden. Zu wenig Ärzte, viele
Wölfe und die Grenzkriminalität.

Seinem Protest hat Falk Klose bei der Europawahl Ende Mai Luft
gemacht, er wählte die AfD. Die östlichste Gemeinde Deutschlands mit
1700 Einwohnern sorgte damals für Schlagzeilen, weil die AfD hier gut
46 Prozent der Stimmen holte. Klose und seine Frau waren jahrelang
Mitglieder der CDU, acht Jahre saß der Rentner für sie im
Gemeinderat.

Nach einer Tumor-Operation bekommt er seine Rente. «Ich habe 43 Jahre
wie ein Ochse gearbeitet, auch an den Wochenenden. Was bekomme ich
als Rente? 780 Euro», sagt Falk Klose. Der Fondsparvertrag für die
Rente seiner Frau sei «bei der Eurokrise in die Luft gegangen». Die
Mutter kam vor zwei Jahren ins Pflegeheim in Rothenburg. Seitdem sind
die Zuzahlungskosten um über 600 Euro gestiegen.

Dennoch hat Klose nach eigenen Angaben diesmal CDU gewählt. «Es muss
doch mal den kleinen Leuten geholfen werden», sagt er bitter. «Wir
sind hier nicht rechts. Aber die Dörfer wurden im Freistaat über
Jahre vernachlässigt. Die CDU hat jahrelang geschlafen.» Seine
Wahlentscheidung habe viel mit Ministerpräsident Michael Kretschmer -
dem Jungen aus dem benachbarten Görlitz - zu tun und wie dieser
Probleme anpackt. Trotzdem hätten Bekannte der AfD mehr vertraut.

Die parteilose Bürgermeisterin von Neißeaue, Evelin Bergmann, ist
schockiert. «Wenn ich aus Protest nicht die CDU wählen will, warum
suche ich mir dann nicht irgendeine kleine Partei aus. Ich kann mir
den Frust gar nicht erklären», sagt sie. In ihrem Gemeinderat ist die
AfD nicht vertreten. Die 61-Jährige weiß aber, dass die Partei in
ihren Dörfern auf Stimmenfang ging. Fast an jeden Mast hängen
AfD-Plakate, es gab große Informationsveranstaltungen.

«Ja, der ländliche Raum wurde vergessen, aber wenn ich sehe, was der
Ministerpräsident in seiner Amtszeit angeschoben und umgesetzt hat,
mit wie vielen Bürgern er ins Gespräche gekommen ist, dann verstehe
ich das Wahlergebnis nicht», sagt die ehrenamtliche Bürgermeisterin.
Die Turnhalle könne endlich saniert, mit Hilfe des Freistaats könnten
Straßen gebaut, Ausstattungen für Kitas und Feuerwehr gezahlt werden.

Die bekannteste Sehenswürdigkeit in Neißeaue ist die Kulturinsel
Einsiedel - ein Freizeitpark unmittelbar an der polnischen Grenze.
Chef Jürgen Bergmann ist zwar kein AfD-Wähler. «Aber es gibt einen
hohen Unzufriedenheitsgrad unter den Menschen hier», sagt er.

Die Gegend ist überaltert, nach der Wende brach die einst florierende
Textilindustrie zusammen - viele Menschen verloren ihren Job.
Grenzkriminalität ist ein Problem. Auch Bergmann musste jüngst
Nachtwachen einsetzen. «Wenn Kriminelle erwischt werden, passiert
nicht viel.» Viele wendeten sich dann eben an die Partei, die
verspreche, etwas dagegen zu tun - wie eben die AfD.

In Sachsen hat die AfD ihr Ergebnis landesweit auf 27,5 Prozent fast
verdreifacht, in Brandenburg auf 23,5 Prozent nahezu verdoppelt. In
beiden Ländern ist sie jetzt zweitstärkste Kraft.

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