Arztbesuch im Internet: Klinikkonzerne treiben Telemedizin voran Von Alexander Sturm, dpa, und Tanja Vedder, dpa-AFX

Langwierige Terminsuche, Warten beim Arzt, dann oft der Gang in die
nächste Praxis: Die Beratung per Video oder Telefon soll Patienten
das Leben leichter machen, versprechen Krankenhausbetreiber. Doch die
Hürden für Telemedizin sind noch hoch.

Bad Homburg (dpa) - Große private Krankenhausbetreiber in Deutschland
tüfteln am digitalen Arztbesuch. Seitdem die gesetzlichen Hürden für

Telemedizin gefallen sind, drängen Klinikkonzerne in den Markt und
treiben Diagnosen per Video, App oder Telefon voran. Fresenius, Rhön
und Asklepios wetteifern um digitale Plattformen, die manchen Besuch
in der Arztpraxis überflüssig machen und Patienten viel Zeit sparen
dürften. Das könnte gegen den Ärztemangel auf dem Land helfen - und

den Firmen neue Umsatzquellen bringen.

So kündigte Deutschlands größter Krankenhausbetreiber Fresenius eine

neue Telemedizin-Plattform an. Der Dax-Konzern habe angefangen,
hierzulande einen Beratungsdienst über die Gemeinschaftsfirma Helios
Dialogue einzuführen, sagte Fresenius-Vorstand Francesco De Meo der
Deutschen Presse-Agentur. Patienten könnten sich künftig über eine
digitale Plattform einwählen und auch per Video Kontakt mit einem
Arzthelfer aufnehmen, der zunächst gesundheitliche Beschwerden
abfrage. Anschließend werde ihnen eine Video-Sprechstunde, der Gang
in die Notfallambulanz oder zu einem nahen Facharzt empfohlen.

«Es funktioniert wie ein digitales Wartezimmer, aus dem wir nach
einem international anerkannten Verfahren den weiteren medizinischen
Weg weisen», sagte De Meo. Bis Anfang 2020 soll der Service für
Patienten freigeschaltet sein. Therapien über die Plattform seien
nicht vorgesehen - anders als etwa bei Schlaganfällen, wo Fresenius
seit Jahren Video-Schalten bei Behandlungen einsetzt.

Fresenius erhofft sich von Helios Dialogue, das mit dem kanadischen
Start-up Dialogue entwickelt wird, effizientere Prozesse, mehr
Service und gezieltere Patientenströme. Das soll auch die eigenen 86
Kliniken und 126 medizinischen Versorgungszentren in Deutschland
besser auslasten. «Wenn die Leute zum Arzt kommen, hat er schon die
Einschätzung aus der vorherigen Abfrage», sagte De Meo, der bei
Fresenius das Klinik-Geschäft leitet. «Und Patienten mit Beschwerden
müssen nicht lange beim Facharzt im Wartezimmer sitzen, bis sie eine
Diagnose bekommen oder womöglich zum nächsten Arzt geschickt werden.»


Der Deutsche Ärztetag hatte 2018 den Weg für Telemedizin geebnet,
indem er das Fernbehandlungsverbot lockerte. Zuvor durften Ärzte
ihnen unbekannte Patienten nur persönlich beraten. Experten erhoffen
sich viel von Telemedizin - gerade wegen des Ärztemangels auf dem
Land. Beratung aus der Ferne könnte Berufstätigen mit wenig Zeit
entgegenkommen und alten Menschen helfen, die schwer zum Arzt kommen.

Bei vielen Verbrauchern stößt die Idee auf Zustimmung: 87 Prozent
unterstützen Online-Diagnosen zumindest in leichten Krankheitsfällen,
heißt es in einer aktuellen Umfrage der Beratungsgesellschaft BCG
unter 1000 Versicherten. Nach Einschätzung von Medizinern lässt sich
demnach jeder fünfte Arztbesuch durch digitale Beratung ersetzten.

Die größte Hürde bei der Einführung seien nicht skeptische Patiente
n,
sondern analoge Prozesse, sagte De Meo. «Zum bedarfsgerechten
Weiterleiten von Patienten und für eine sofortige Terminvergabe
brauchen wir Zugriff auf die digitalen Kalender von Ärzten.» Viele
Mediziner führten aber Papierkalender oder öffneten diese bislang nur
fürs eigene Personal. Fresenius will die Plattform auch bei der
spanischen Kliniktochter Quirónsalud einführen und niedergelassenen
Ärzten anbieten. So will der Konzern neue Patienten gewinnen.

Fresenius ist mit seinem Vorstoß nicht allein. Rhön-Klinikum will in
der zweiten Jahreshälfte eine Gemeinschaftsfirma mit dem Schweizer
Anbieter Medgate an den Start bringen und Marktführer in Deutschland
werden. Rhön hält sich Kooperationen mit dritten Ärzten offen. Firmen

könnten ferner für den Dienst bezahlen, um Mitarbeitern
betriebsärztliche Dienste zu bieten. In Kanada ist das verbreitet.

In Deutschland indes steht Telemedizin noch am Anfang, auch wegen der
Vergütungsregeln für Ärzte: Bislang können sie eine Fernbehandlung

ohne direkten Kontakt nur bei Privatpatienten problemlos abrechnen.
Kassenpatienten sind weitgehend außen vor. Gesundheitsminister Jens
Spahn (CDU) will die Honorarregeln angleichen. Anbieter erhoffen sich
ein lukratives Geschäft: In Deutschland lasse sich ein zweistelliger
Milliarden-Umsatz digital bewegen, heißt es in der Branche.

«Die Bereitschaft von Patienten für Ferndiagnosen steigt», sagt Thilo

Kaltenbach, Gesundheitsexperte bei der Beratungsgesellschaft Roland
Berger. «Die Technik für virtuelle Diagnosen in Praxen und Kliniken
entwickelt sich schnell.» Versicherungen und spezialisierte
Telemedizin-Firmen drängten ebenfalls in den umkämpften Markt.

Auch Deutschlands zweitgrößter Klinikbetreiber Asklepios hat große
Pläne. Noch dieses Jahr will er Telemedizin-Angebote für
niedergelassene und klinische Ärzten einführen. Diese und andere
digitale Prozesse könnten die Effizienz steigern, sagte Vorstandschef
Kai Hankeln. «Pflegekräfte und Ärzte verbringen in Deutschland mehr
als ein Drittel ihrer Arbeitszeit mit Dokumentation.»

Anders als kleine Krankenhäuser haben Fresenius oder Asklepios mit
Milliarden-Umsätzen die Finanzkraft, um Softwarelösungen im großen
Stil einzuführen. Die Vorstöße der Klinik-Riesen könnten in
einen Wettlauf um die dominierende digitale Plattform münden. «Am
Ende werden sich voraussichtlich wenige Portale durchsetzen», sagt De
Meo. «Wer besser und schneller ist, wird die Nase vorne haben.»