Jeder Cent zählt: Bei Arznei auf Rezept sind Apotheken-Geschenke tabu Von Anja Semmelroch, dpa

In der Apotheke bekommen Kunden gern eine Kleinigkeit dazu - bis
jetzt. Ein Urteil macht Schluss mit Rabattmarken und Taschentüchern.
Branchenkenner nennen das trotzdem eine gute Nachricht für Patienten.

Karlsruhe (dpa) - Taschentücher und Traubenzucker ade -
Apotheken-Kunden mit Rezept vom Arzt dürfen zum Medikament keine
Kleinigkeiten im Cent-Bereich mehr dazubekommen. Auch Mini-Geschenke
von geringem Wert sind unzulässig, wie der Bundesgerichtshof (BGH) in
Karlsruhe am Donnerstag entschied. Die Interessen von Verbrauchern
und Mitbewerbern würden dadurch spürbar beeinträchtigt, sagte der
Vorsitzende Richter Thomas Koch. (Az. I ZR 206/17 u.a.)

Verschreibungspflichtige Arzneimittel müssen in Deutschland überall
gleich viel kosten. Schnäppchen-Angebote sind also tabu. Apotheker,
die ihren Kunden beim Rezepteinlösen kleine Präsente oder Gutscheine
für den nächsten Einkauf in die Hand drücken, unterlaufen diese
Preisbindung indirekt. Bisher hatte der BGH Geschenke bis einen Euro
trotzdem durchgehen lassen. Damit ist jetzt Schluss.

Die Entscheidung betrifft nur Medikamente, die ein Arzt verschreiben
muss. Für Kunden, die auf eigene Kosten einkaufen, ändert sich
nichts. Zur Allergiker-Sonnencreme oder den Kopfschmerztabletten darf
es also weiter eine kleine Aufmerksamkeit dazugeben. Denn
Arzneimittel, für die es kein Rezept braucht, dürfen die Apotheken
seit 2004 frei bepreisen. Hier ist Wettbewerb erwünscht.

Die Preisbindung für rezeptpflichtige Arznei soll verhindern, dass
sich die Apotheken einen ruinösen Preiskampf liefern und damit die
flächendeckende Versorgung mit Medikamenten gefährden. Auf der
anderen Seite soll niemand, der krank ist, Preise vergleichen müssen
- oder in seiner Not ein Medikament völlig überteuert kaufen.

Dass sich damit auch Kleinigkeiten verbieten, hatte der Gesetzgeber
2013 noch einmal explizit klargestellt. «Der Verbraucher soll in
keinem Fall durch die Aussicht auf Zugaben und Werbegaben unsachlich
beeinflusst werden», hieß es damals zur Begründung. Von dem Verbot
macht das Gesetz nur wenige Ausnahmen. So dürfen kostenlose
Zeitschriften wie die «Apotheken Umschau» weiter ausgelegt werden.

Diese Regelung sei eindeutig, urteilte nun der BGH, der sich zum
ersten Mal mit der verschärften Vorschrift befasste. Nach dem Willen
des Gesetzgebers sei die Preisbindung strikt einzuhalten. Das lässt
auch für die Taschentücher keinen Spielraum mehr: «Ein Abstellen auf

die finanzielle Geringwertigkeit der Werbegabe ist ausgeschlossen.»

Konkret beanstandeten die obersten deutschen Zivilrichter die
Gutscheinaktionen von zwei Apotheken. In Darmstadt hatte es gratis «2
Wasserweck oder 1 Ofenkrusti» beim nahen Bäcker gegeben, im Berliner
Bezirk Spandau einen Euro Nachlass beim nächsten Einkauf.

Beide Fälle hatte die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs
vor Gericht gebracht. «Für uns ist wichtig, dass jetzt für alle
klargestellt ist: Es geht so nicht», sagte ihr Rechtsexperte und
Anwalt Peter Breun-Goerke. Seinem Eindruck nach sei es auch nach 2013
immer wieder vorgekommen, dass Apotheken kleine Aufmerksamkeiten
verteilen - auch weil die neue Vorschrift offensichtlich nicht so
klar gewesen sei, wie der Gesetzgeber sich das gewünscht habe. «Der
eine tut es verbotenerweise, der andere tut es nicht. Und dann gehen
die Leute zu dem, der es verbotenerweise tut», sagte er.

Auch die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (Abda)
begrüßte die Entscheidung. Er gehe davon aus, dass sie einen
positiven Widerhall in der Kollegenschaft finden werde, sagte
Vizepräsident Mathias Arnold. «Uns ist es wichtig, dass man den
einheitlichen Arzneimittel-Abgabepreis erhält.» Das sei für alle
Apotheken vor Ort in Deutschland in wirtschaftlicher Hinsicht
unerlässlich. Wettbewerb solle bei der Qualität stattfinden.

Apotheken, die trotzdem noch an alle Kunden kleine Geschenke
verteilen, müssen mit einer Unterlassungsklage rechnen. Verklagen
können sie Konkurrenten, Verbraucherschützer oder eben die
Wettbewerbszentrale.

Der BGH-Senat äußerte sich auch zu einem Urteil des Europäischen
Gerichtshofs (EuGH) von 2016. Die Luxemburger Richter hatten damals
entschieden, dass die deutsche Arzneimittel-Preisbindung gegen
EU-Recht verstößt. Ausländische Versandhandels-Apotheken müssen
seither darauf keine Rücksicht mehr nehmen - sie dürfen
rezeptpflichtige Medikamente also auch billiger verkaufen.

Für den BGH ist das kein Grund, die deutsche Preisbindung insgesamt
infrage zu stellen. Solange der Konkurrenzdruck aus dem Ausland nicht
unzumutbar werde, sei die Ungleichbehandlung durch das öffentliche
Interesse an einem lückenlosen Apotheken-Netz gerechtfertigt.