Amal heißt Hoffnung: Ausländische Pflegekräfte gegen den Notstand Von Simon Kremer und Sönke Möhl, dpa

Dem deutschen Gesundheitssystem fehlen schon jetzt mehr als 100 000
Pflegekräfte. Der Bedarf wird nach Ansicht von Experten in den
kommenden Jahren deutlich steigen. Die Lücke sollen auch ausländische
Schwestern füllen. Aber oft ist das nicht leicht.

Tunis/Karlsruhe (dpa) - Auf Fotos sieht Kassel wunderschön aus. «Die

historischen Häuser, die grünen Parks» - und der Job im Klinikum.
Ihren Arbeitsvertrag hat die Tunesierin Hela Ahmadech schon bekommen,
jetzt wartet sie noch auf ihr Visum, damit sie endlich anfangen kann,
auch wenn sie ihren Mann und ihre beiden Kinder erst einmal
zurücklassen muss. Und auch im Klinikum Kassel wartet man schon auf
die 36-jährige Frau, denn in der Pflege fehlen in Hessen Fachkräfte.

«Die Stellenbesetzung wird immer schwieriger», sagt Inga Eisel von
der Gesundheit Nordhessen Holding, dem regionalen Gesundheitskonzern,
der das Klinikum Kassel betreibt. Weil nicht genügend Bewerber auf
dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden, seien ausländische

Fachkräfte eine zusätzliche Option.

Bundesweit gibt es nach Angaben der Arbeitsagentur einen
Fachkräftemangel bei Alten- und Krankenpflegern. Derzeit seien etwa
40 000 Stellen unbesetzt. Der Deutsche Pflegerat geht sogar von
mindestens 100 000 fehlenden Pflegern im System aus. Weil in den
kommenden Jahren die Zahl der Pflegebedürftigen zudem deutlich
steigen wird, rechnen Experten damit, dass in den nächsten 10 Jahren
zwischen 150 000 und 250 000 neue Pfleger gebraucht werden.

«Die Ressourcen in Deutschland scheinen erschöpft», sagt der
Geschäftsführer des Deutschen Pflegeverbandes, Rolf Höfert. Auch weil

immer mehr Kollegen in Teilzeit gingen oder den Beruf aufgrund des
Drucks ganz verließen, kämen ausländische Fachkräfte mit ins Spiel.


Am Dienstag stellte die Bundesregierung die Ergebnisse eines
einjährigen Prozesses vor: Mit der «Konzertierten Aktion Pflege» wi
ll
die Regierung die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern.
«Pflege muss wieder attraktiver werden. Das geht nur mit mehr
Personal», sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Neben
mehr Gehalt und verbesserter Ausbildung bildet die Gewinnung von
Pflegefachkräften aus dem Ausland eine weitere Säule dieses Plans.

«Die Kliniken schreien um Hilfe, aber wir scheitern in der Regel an
der deutschen Bürokratie», sagt Ralf Wittek. Der frühere deutsche
Diplomat hat in Tunesien eine Vermittlungsagentur für medizinische
Fachkräfte aufgebaut. Mehr als 400 potenzielle Kandidaten seien in
der Datenbank, stellenweise würden aber sogar Leute abgelehnt, obwohl
sie bereits Arbeitsverträge hätten. Die Bundesregierung will daher
jetzt eine zentrale Servicestelle für die berufliche Anerkennung
einrichten und ein Gütesiegel für private Vermittlungsagenturen
entwickeln.

Im Krankenhaus in der nordtunesischen Stadt Bizerte wartet die
Krankenschwester Hela Ahmadech seit einigen Wochen auf die Nachricht
aus der Deutschen Botschaft, ob sie gehen darf oder nicht. «Es war
erst nicht mein Traumberuf, in der Pflege zu arbeiten», gibt sie zu.
«Meine Familie wollte es.» Jetzt sei sie 36, habe zwar einen Job,
aber keine Aufstiegschancen. Im Monat verdiene sie etwa 1000 Dinar,
das sind aktuell umgerechnet nicht einmal 300 Euro - trotz ihres
Studienabschlusses. Das nordafrikanische Land kämpft seit dem
sogenannten «Arabischen Frühling» mit einer Wirtschaftskrise.

Als sie einem Patienten den Blutzucker misst, kommt ein Kollege
vorbei. Er weiß von ihren Plänen, auch er hat schon einen Job in
Kassel in Aussicht, wie auch andere Kollegen auf der Station.

Seit mehr als einem Jahr arbeitet Amal Hadj Kacem schon im
baden-württembergischen Gernsbach als Krankenschwester. Amal heißt
Hoffnung auf Arabisch. Auch die 25-Jährige kommt aus Tunesien. Jetzt
betreut sie in einer Rehaklinik im Nordschwarzwald Patienten, sobald
sie die Intensivstation verlassen.

«In Tunesien gibt es viele Probleme im Gesundheitsbereich, wenig
Personal und Geld», sagt sie. Die junge Frau möchte gerne ihren Mann
nachholen und eine Familie gründen. «Es gefällt mir in Deutschland,

ich bin zufrieden mit meiner Arbeit aber ich weiß nicht, was die
Zukunft bringt.» Drei Mal hat sie ihren Mann erst wieder getroffen,
seit sie in Deutschland ist.

«Mein erster Eindruck hier war, dass die Menschen nett und
hilfsbereit sind.» Wer die Sprache spreche, habe kein Problem.
«Aber», fügt sie hinzu: «Der Dialekt ist manchmal schwierig.»

So problemlos wie bei Kacem ist der Berufsstart in Deutschland nicht
immer. Eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung
stellte vor wenigen Wochen fest, dass die Integration in den
Einrichtungen oftmals eine große Herausforderung darstelle. Es gebe
teilweise eine hohe Unzufriedenheit, sowohl bei den ausländischen
Fachkräften als auch bei den etablierten deutschen Arbeitern.

«Die Patienten sind mittlerweile bescheiden geworden», sagt Johanna
Knüppel vom Berufsverband für Pflegeberufe. «Was immer wieder beklagt

wird und die Zusammenarbeit stark behindert, sind die fehlenden
Sprachkenntnisse.» Dennoch stellten ausländische Fachkräfte eine
Bereicherung dar und könnten den Personalbedarf abmildern, meint der
Verband. Dazu brauche es aber auch entsprechende Rahmenbedingungen
der Politik.

Im Bundesgesundheitsministerium sieht man den Einsatz ausländischer
Fachkräfte daher auch nur als einen Baustein für ein umfassenderes
Konzept, die Personalsituation in der Pflegebranche zu verbessern.
Und auch wenn die Zahl der Beschäftigten in den vergangenen Jahren
gestiegen ist, kommen von den mehr als 1,6 Millionen Pflegekräften in
Deutschland nur gut 150 000 aus dem Ausland - viele von den
Philippinen, aus Osteuropa - und noch wenige aus Tunesien.

Krankenschwester Hela Ahmadech weiß, dass es schwierig für sie werden
wird. Aber sie gibt sich selbstbewusst: «Ich will ein Modell sein.»
Darauf hoffen sicher auch viele im deutschen Gesundheitssystem.