Zwanghaftes Sexualverhalten und Videospielsucht neue Krankheiten

Gesundheitstrends früh erkennen und Therapien entwickeln - das hilft
Gesundheitsbehörden, Ressourcen zu managen. Dafür ist der WHO-Katalog
der Krankheiten. Die neue Version enthält Störungen, die es vor 30
Jahren so noch nicht gab oder die noch nicht als solche erkannt
worden waren.

Genf (dpa) - Zwanghaftes Sexualverhalten und Video- oder
Online-Spielsucht sind nun international anerkannte
Gesundheitsstörungen. Beide sind in die «Internationale
Klassifikation der Krankheiten (ICD-11)» aufgenommen, die auf der
Jahrestagung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Samstag formell
angenommen wurde. Dieser Katalog umfasst 55 000 Krankheiten, Symptome
und Verletzungsursachen. Er ist erstmals seit fast 30 Jahren neu
gefasst worden und tritt am 1. Januar 2022 in Kraft.

Zu zwanghaftem Sexualverhalten könne unter anderem übermäßiger
Pornokonsum oder Telefonsex zählen, wie Robert Jakob, Gruppenleiter
Klassifikationen (ICD) bei der WHO, sagte. Die Diagnose ist nach
Definition von Fachleuten dann angebracht, wenn Betroffene intensive,
wiederkehrende Sexualimpulse über längere Zeiträume nicht
kontrollieren können und dies ihr Familien- oder Arbeitsleben oder
das Sozialverhalten beeinflusst.

Video- und Onlinespielsucht beginnt für die WHO, wenn ein Mensch über
mehr als zwölf Monate alle anderen Aspekte des Lebens dem Spielen
unterordnet, wenn er seine Freunde verliert oder seine Körperhygiene
vernachlässigt. Die Gaming-Industrie hatte dagegen protestiert, weil
sie fürchtet, dass Menschen, die viel spielen, plötzlich als
therapiebedürftig eingestuft werden.

«ICD-11 ist für das 21. Jahrhundert modernisiert worden und spiegelt
Fortschritte in Wissenschaft und Medizin wider», teilte die WHO mit.
Die neue Version stehe digital zur Verfügung und lasse sich in die
Informationssysteme der Gesundheitsbehörden integrieren.

Jeder Störung ist ein eigener Code zugewiesen. Für krankhaftes Video-
oder Online-Spielen ist es etwa «6C51», für zwanghaftes
Sexualverhalten «6C72». Ärzte in aller Welt registrieren ihre
Diagnosen künftig mit den neuen Codes. Damit können präzise
Statistiken erstellt und Gesundheitstrends dokumentiert werden, sagte
Jakob. «Zu verstehen, was Menschen krank macht und woran sie sterben,
ist Grundvoraussetzung, um Gesundheitsdienste richtig auszurichten,
Ausgaben festzulegen und in Therapien und Vorbeugungsmaßnahmen zu
investieren», so die WHO.

Nach Angaben des deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation
rechnen Krankenkassen nach dem für Deutschland jeweils leicht
modifizierten Katalog auch Behandlungen ab. Auch Statistiken zu
Todesursachen werden nach den Codes geführt.

Die Vollversammlung der mehr als 190 WHO-Mitgliedsländer in Genf geht
am Dienstag (28.5.) zu Ende.