Mikroben für die Welt Von Christian Brahmann, dpa

Auf der Suche nach Mikroorganismen wenden sich Forscher aus aller
Welt an Braunschweig. Aus der wohl vielfältigsten Sammlung wird
Material in zahlreiche Länder verschickt. Die Mitarbeiter haben
drängende Zukunftsfragen im Blick.

Braunschweig (dpa) - Sie haben Unmengen an Bakterien, Pilzen und
Viren im Haus - und sind auch noch stolz darauf. Die Braunschweiger
Forscher kommen richtig ins Schwärmen, wenn sie über ihre Sammlung
berichten. Auf den ersten Blick unscheinbare Kellerräume im Süden der
Stadt bezeichnen sie als «Schatztruhen für die Wissenschaft». Denn
hinter schweren gesicherten Eisentüren lagern Mikroben mit
Millionenwert. In diesem Jahr feiert das Leibniz-Institut DMSZ
(Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen) sein
50-jähriges Bestehen.

Wissenschaftler aus zahlreichen Ländern der Welt ordern hier
Bakterien, Pflanzenviren und Pilze für Forschungszwecke. Mehr als
43 000 Bestellungen für Mikroben und Zellkulturen gingen nach Angaben
der Forschungseinrichtung im vergangenen Jahr aus 81 Ländern ein. Ein
wichtiger Auftrag des Leibniz-Instituts mit seinen rund 200
Mitarbeitern ist es, Mikroorganismen zu erhalten und Wissenschaftlern
zur Verfügung zu stellen. Mehr als 350 000 Ampullen lagern dafür bei
kühlen zehn Grad.

«Es gibt wohl eine Milliarde Bakterien, von denen bisher aber nur
0,01 Prozent entdeckt sind», sagt die Mikrobiologin Yvonne Mast. Die
38-jährige Professorin ist gerade von der Uni Tübingen nach
Braunschweig gewechselt, auch weil etwa 80 Prozent der bekannten
Bakterien hier für die Forschung zur Verfügung stehen. Für sie steckt

darin ein Riesenpotenzial, um etwa neue Wirkstoffe zu finden. Zudem
will sie mit dem negativen Image der Bakterien aufräumen. «Nur etwas
mehr als 500 lösen Krankheiten aus. Das Gros ist unschädlich oder
sogar gesundheitsförderlich», sagt Mast.

Von der «weltweit vielfältigsten Bioressourcensammlung» spricht der
wissenschaftliche Direktor Jörg Overmann, der die Einrichtung seit
fast zehn Jahren leitet. 2018 lag der Etat bei rund 18 Millionen
Euro. Er setzt sich zusammen aus Zuschüssen vom Bund und dem Land
Niedersachsen, aus sogenannten Drittmitteln sowie den Einnahmen aus
dem Verkauf von Mikroben und Zellkulturen.

In eigenen Forschungsprojekten wollen die Wissenschaftler zur Lösung
drängender Probleme wie der Vermüllung mit Plastik beitragen. Basak
Öztürk versucht Bakterien zu züchten, die Schadstoffe in der Natur
abbauen. «Im Idealfall sollen sie Plastik abbauen oder Öl unschädlich

machen», erläutert die Leiterin einer Nachwuchsforschergruppe. Das
könnte auch der Abwasserreinigung dienen.

Die Krebsforschung, vor allem die Leukämie-Forschung, hat Wilhelm
Dirks im Blick. Dafür nutzt er menschliche Zelllinien, die bei minus
180 Grad in Tanks mit flüssigem Stickstoff lagern. «Die Zelllinien
ermöglichen reproduzierbare Forschungsergebnisse und können sogar
einen Teil der Tierversuche ersetzen», erläutert Dirks.

Auf die sogenannten Krankenhauskeime legt Christine Rohde ihr
Augenmerk. Sie will dafür Bakteriophagen nutzen. «Diese sind in der
Lage, Bakterien zu zerstören» erläutert die Mikrobiologin. Bei
multiresistenten Keimen, gegen die Antibiotika versagen, könnten sie
effektiv eingesetzt werden. Zugelassen ist die Phagentherapie in
Deutschland noch nicht. Dafür seien erfolgreiche klinische Studien
nötig. «Es wird noch Jahre dauern, aber wir werden zeigen, dass
Phagen sicher und effizient sind», ist Rohde überzeugt.

Für den Wissenschaftsstandort Niedersachsen habe die Sammlung große
Bedeutung, heißt es aus dem zuständigen Ministerium in Hannover.
Viele Forschungsvorhaben seien ohne diese Einrichtung nicht möglich,
sagt Sprecherin Anna Anding. Das 50-jährige Bestehen feiern die
Braunschweiger das komplette Jahr 2019 mit verschiedenen
Veranstaltungen - auch um den Bekanntheitsgrad zu steigern. Zum
Festakt im November wird Bundesforschungsministerin Anja Karliczek
(CDU) erwartet.