Pflegepersonal für Versorgung schwerkranker Kinder fehlt

Schwerkranke Kinder müssen zuhause rund um die Uhr versorgt und
überwacht werden. Pflegepersonal für die anspruchsvolle Aufgabe ist
schwer zu bekommen. Ein neues Gesetz verschärfe die Situation, sagen
Betroffene und Krankenkassen.

Kassel (dpa/lhe) - Familien mit unheilbar kranken Kindern müssen die
häusliche Intensivpflege mangels Pflegekräften immer öfter selbst
übernehmen. Die Ursache sei eine im Januar in Kraft getretene
Regelung, sagte Markus Behrendt, Vorsitzender des Vereins «Intensiv
Leben» in Kassel: «Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz gräbt der
häuslichen Kinderintensivpflege das Wasser ab.» Pfleger ziehe es
wegen höherer Gehälter in stationäre Einrichtungen wie Krankenhäuse
r.
Den ambulante Pflegediensten fehle das Personal für die häusliche
Kinder-Intensivpflege.

«Intensiv Leben» ist ein Netzwerk aus Sozialarbeitern, Pflegekräften

und Ärzten sowie betroffenen Familien. Es will schwer kranken Kindern
und Jugendlichen, die beispielsweise beatmet werden müssen, ein Leben
zuhause ermöglichen. Im November erhielt der Verein den Medienpreis
«Bambi». Damals wies «Intensiv Leben» bereits auf den Pflegenotstan
d
hin. Die Lage habe sich seitdem verschlimmert.

In Kassel beispielsweise stellt die Diakoniestation ihre häusliche
Kinder-Intensivpflege gerade nach und nach ein. Seit drei Jahren gebe
es für ausscheidende Mitarbeiter keinen Ersatz mehr, sagt
Geschäftsführer Martin Müller. In diesem Bereich mit spezialisiertem

Pflegepersonal sei der Arbeitsmarkt sowieso ziemlich klein.

Ohne Pflegekräfte müssen Eltern ihr Kind versorgen und seinen Zustand
rund um die Uhr überwachen. «Wir haben Extremfälle, in denen eine
Familie allein sieben Tage die Woche 24 Stunden täglich die
Versorgung des Kindes selber macht», erklärt Behrendt. Bei
schwerkranken Kindern und Jugendlichen ist pro Patient eine
Pflegekraft nötig, weil beispielsweise lebenserhaltende Maschinen
überwacht werden müssen. «Da geht es nicht um Qualitätssicherung,
sondern Existenzsicherung.»

Die Kritik des Vereins richtet sich nicht gegen die Pflegedienste:
«Die sind intensiv bemüht, die Anzahl ihrer Pflegekräfte
aufzustocken», erklärte Behrendt. Er sieht die Verantwortung bei den
Krankenkassen. «Es wäre Aufgabe der Kostenträger, auf Politik und
Gesellschaft hinzuwirken, das ist aber nicht erkennbar.»

Hintergrund ist, dass Kliniken statt einer Fallpauschale nun die
Kosten für Pflegestellen refinanziert bekommen. Das verstärkt laut
dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) das
unterschiedliche Gehaltsgefüge in stationärer und ambulanter Pflege.
«Davor hatten wir schon früh gewarnt», sagte der stellvertretende
Vorstandsvorsitzender Johann-Magnus von Stackelberg. Es sei richtig,
die Pflege im Krankenhaus zu stärken, «die Art und Weise ist jedoch
verkehrt».

Laut Behrendt könnte eine Gesetzesänderung helfen: «Es ist als erstes

dringend erforderlich, dass der Bereich der häuslichen Kinder- und
Jugendintensivpflege mindestens mit den Möglichkeiten zur
Stellenbesetzung in der stationären Pflege gleichgestellt wird.»

Wie viele schwerkranke Kinder in Deutschland zu Hause gepflegt
werden, ist unklar. Der Deutsche Kinderhospizverein geht von
insgesamt etwa 50 000 Kindern mit einer sogenannten
lebensverkürzenden Erkrankung aus. Diese Erkrankungen seien nicht
anzeigepflichtig. Zudem umfasst die Zahl unter anderem auch Kinder in
Hospizen und Krankenhäusern.