Kontrollverlust und Milliardengewinne: Das Geschäft Glücksspiel Von Linda Vogt und Sebastian Gollnow , dpa

Glücksspiel ist für die Anbieter ein Milliardengeschäft - und ein
beträchtlicher Teil des Umsatzes wird im nicht-regulierten Bereich
gemacht. Das Risiko von Sucht und Verschuldung tragen die Spieler.

Stuttgart (dpa) - Nach 23 Jahren als Spieler stand Volker Brümmer an
den Gleisen, die Abschiedsbriefe waren geschrieben. «Ich habe nicht
nur Geld verspielt, sondern alle sozialen Kontakte - am Ende fast
mein Leben.» Am Tiefpunkt seiner Spielerbiografie, mit 300 000 Euro
Schulden, besann sich der Fliesenleger doch anders. Heute ist der
50-Jährige trocken, wie er es nennt. Und redet offen über seine
Vergangenheit.

Brümmer ist noch ein Kind, als er das erste Mal spielt. An einer
Raststätte wirft er das Taschengeld von Oma in einen Automaten. Die
zwei Mark kamen nicht mehr heraus. «Das war das erste Mal, dass ich
meine Eltern wegen des Spielens angelogen habe.» Jahre später wird er
Bankmitarbeitern erfundene Geschichten erzählen - und auch das
Sparbuch seiner Tochter leer räumen.

Wegen des Spielens zu lügen, ist laut Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ein Kennzeichen für
Glücksspielsüchtige - das Spiel mit immer höheren Einsätzen und
kriminelle Geldbeschaffung ein weiteres. In Deutschland gebe es
Schätzungen zufolge 200 000 pathologische, also krankhafte
Glücksspieler, sagt Tilman Becker, Leiter der Forschungsstelle
Glücksspiel an der Universität Hohenheim. Dazu kämen rund 300 000
problematische Spieler.

Der Großteil zockt an Automaten. Bei knapp 77 Prozent der Spieler,
die sich an ambulante Beratungs- oder Behandlungsstellen begeben, ist
das die Hauptglücksspielform. Das geht aus der Suchthilfestatistik
2017 des Instituts für Therapieforschung hervor.

«Einmal im Monat, damit fing es an», erzählt Brümmer. «Zum Schlus
s
habe ich in Spielhallen an 20 Automaten gleichzeitig gespielt. Der
Kontrollverlust ist grenzenlos.» Die letzten drei Jahre der Sucht
spielt Brümmer von zu Hause, im Internet. «365 Tage im Jahr 24
Stunden geöffnet - das Paradies für jeden Spieler.»

Online-Casinos und Online-Poker gehören zum nicht-regulierten
Glücksspielmarkt - sie sind nach deutschem Recht illegal. Zu diesem
Schwarzmarkt zählen Glücksspielangebote, die nicht über eine deutsche

Konzession, wohl aber über eine aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat
verfügen. Ein Großteil davon wird faktisch geduldet.

Von den rund 14,2 Milliarden Euro Umsatz der Glücksspielanbieter 2017
in Deutschland wurden 22 Prozent im nicht-regulierten Bereich
gemacht, in den auch Sportwetten im Internet fallen. Die Zahlen
stammen aus dem Jahresreport der Glücksspiel-Aufsichtsbehörden der
Länder. Während der regulierte Markt im Vergleich zum Vorjahr nur um
1 Prozent wuchs (157 Mio Euro), legte der nicht-regulierte Markt um
24 Prozent zu (626 Mio Euro).

Derzeit debattieren die Bundesländer über eine Reform des
Glücksspiel-Staatsvertrags. Vorgesehen ist eine Öffnung des
Sportwettenmarktes. Das Online-Glücksspiel soll nach jetzigem Stand
aber weiter verboten bleiben.

Glücksspielforscher Becker fordert stärkere Kontrolle und Regulierung
durch eine länderübergreifende Behörde. Vor allem der Spielerschutz
müsse weiter vorangetrieben werden: «Experten sind sich einig, dass
eine Sperrdatei eine ganz wichtige Präventionsmaßnahme bei
Glücksspielsucht ist.»

Bisher gibt es ein Sperrsystem für alle Spielhallen nur in Hessen.
Die Sperre können die Spieler selbst, Angehörige oder auch die
Betreiber beantragen.

Georg Stecker, Vorstandssprecher der Deutschen Automatenwirtschaft
(DAW), spricht sich für ein bundesweites biometrisches Zugangssystem
aus. «Wir wollen mit Süchtigen kein Geld verdienen.» Der Verband
verweist auf geschultes Personal in den Spielhallen - nur im legalen
Rahmen könnten Spieler geschützt spielen. Bundesweit sind nach
Angaben des Verbands rund 278 000 bargeldbetätigte Spielgeräte
aufgestellt - 82 000 davon stehen nicht in Spielhallen, sondern in
gastronomischen Betrieben.

Wie viel Umsatz auf Spielsüchtige zurückgeht, dazu gibt es laut
Glücksspielforscher Becker keine Erhebung. Brümmer verzockte manchmal
Tausende Euro in einer Nacht. 18 Monate Therapie benötigte er. Elf
Jahre hat er bislang ohne Rückfall bewältigt. Das ist nicht
selbstverständlich, wie er aus vielen Erzählungen weiß. Der
50-Jährige leitet mittlerweile eine Selbsthilfegruppe für Spieler.