Aufruhr im Buchmarkt: Zwischenhändler-Insolvenz als Menetekel Von Thomas Maier, dpa

Die Zahlungsunfähigkeit eines Großhändlers hat die Buchbranche
schockiert. Der Insolvenzverwalter verbreitet jetzt Zuversicht. Doch
der geplante Verkauf des Unternehmens dürfte den Strukturwandel
weiter beschleunigen.

Frankfurt/Leipzig (dpa) - Auf der Leipziger Buchmesse wird kommende
Woche in Halle 3 auch das Unternehmen KNV mit einem Stand vertreten
sein. Dafür hätten sich vor kurzem wohl nur Insider interessiert.
Doch seit der Buch-Großhändler Mitte Februar Insolvenz angemeldet
hat, ist KNV plötzlich bundesweit ein Begriff. Die
Zahlungsunfähigkeit hat die Branche in helle Aufregung versetzt.
Fachblätter sprachen von einem «Beben», da ein «systemrelevanter»

Dominostein umzukippen drohte.

In der komplizierten Logistik der Buchbranche ist der
traditionsreiche Stuttgarter Grossist KNV (Koch, Neff & Volckmar) mit
seinen rund 1800 Beschäftigten der wichtigste Mittler zwischen
Verlagen und Buchhandlungen. In den Depots - mit dem hochmodernen
neuen Zentrallager in Erfurt an der Spitze - hat der Zwischenhändler
nach eigenen Angaben fast 600 000 Titel ständig vorrätig. Sie können

über Nacht an rund 5600 Buchläden in Deutschland sowie Österreich und

der Schweiz - die sogenannten Sortimenter - ausgeliefert werden.

Der Auftritt auf der Buchmesse soll nun «ein klares Signal
in Richtung Zukunft» setzen, sagt der vorläufige Insolvenzverwalter
Tobias Wahl. KNV will in Leipzig auch eine neue Kooperation mit dem
Buchhandel vorstellen.

Vier Wochen nach dem Branchen-Schock verbreitet der Anwalt und
ausgewiesene Sanierungsexperte Zuversicht. Der Betrieb des bereits
Mitte des 19. Jahrhunderts gegründeten Grossisten habe sich wieder
stabilisiert. «Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind hoch
motiviert, engagiert und ziehen an einem Strang.»

KNV und zwei weitere Grossisten machen es möglich, dass ein Buch am
nächsten Werktag in den Laden zugestellt wird. Diese tragende Säule
im deutschen Buchgeschäft hilft den Buchhändlern auch im immer härter

werdenden Kampf mit dem Online-Konzern Amazon. Der kann sogar noch am
selben Tag zustellen.

Nach der Insolvenz von KNV wurden im Handel erhebliche
Lieferschwierigkeiten befürchtet. Außerdem war die weitere
Kooperation der Verlage unklar. Diese befürchten ohnehin erhebliche
Verluste, da die an KNV im Weihnachtsgeschäft überlassenen Bücher
noch nicht bezahlt wurden.

Wie hoch diese Forderungen sind, ist unklar. Der Insolvenzverwalter
hat jedoch - mit Erfolg - um Vertrauen geworben. Die Verlage haben
die Sicherheit erhalten, dass neue Forderungen
(Massenverbindlichkeiten) an KNV zuerst bedient werden, bevor die
alten Insolvenz-Forderungen bezahlt werden.

Das hat die Abläufe wiederhergestellt. «Die Buchhandlungen melden uns
weitgehend Normalbetrieb», bestätigt Alexander Skipis,
Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels
in Frankfurt. «Vom Insolvenzverwalter erwarten wir nun, dass er und
die Beteiligten alles in ihrer Macht Stehende tun, um den Betrieb und
Bestand dieses für den Buchmarkt wichtigen Unternehmens zu sichern.»

Wahl will nun in den nächsten Monaten in einem «streng vertraulichen»

Prozess einen Investor für die KNV-Gruppe suchen. Angaben über die
Zahl der Interessenten will der Insolvenzverwalter nicht machen.

Wie immer es ausgeht: Der Fall ist ein Menetekel für die Branche. Der
Verkauf von KNV dürfte den Strukturwandel im kriselnden Buchmarkt,
der in den vergangenen Jahren Millionen von Käufern verloren hat,
weiter vorantreiben. Der Frankfurter Verleger Klaus Schöffling hält
den Zwischenhändler zwar auch für unverzichtbar, stellt jedoch
zugleich eine «heilige Kuh» in Frage. «Wir müssen darüber reden,
ob
ein Buch tatsächlich am nächsten Tag zugestellt werden muss.»
Ein Buchladen sei schließlich «keine Apotheke».

Das könnte die Kosten für die teure Logistik im Sortiments-Buchhandel

drücken und auch den Verlagen zu Gute kommen. Profitieren könnten
davon allerdings wiederum große (Internet-)Händler, die ihre eigene
Logistik aufgebaut haben. Amazon ist für viele Verlage inzwischen zum
größten Abnehmer und Kunden geworden. Das gilt auch für einen
renommierten kleinen Literaturverlag wie Schöffling - auch wenn der
Verleger nach eigenen Worten am liebsten seine Bücher an den
«Buchladen um die Ecke» liefert.