Studie: Schmutzige Luft fordert mehr Todesopfer als Rauchen

Wie viele vorzeitige Todesfälle gehen auf Luftverschmutzung zurück?
Mainzer Forscher legen dazu eine neue Analyse vor. Demnach kosten
Luftschadstoffe Europäer im Mittel rund zwei Jahre Lebenszeit.

Mainz (dpa) - Luftschadstoffe führen zu mehr vorzeitigen Todesfällen
als das Rauchen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie Mainzer
Wissenschaftler. Weltweit verursache vor allem mit Feinstaub
belastete Luft 8,8 Millionen Sterbefälle pro Jahr, berichtet das Team
um den Atmosphärenforscher Jos Lelieveld und den Kardiologen Thomas
Münzel im «European Heart Journal». Etwa 120 Menschen pro 100 000
Einwohner sterben demnach weltweit jährlich vorzeitig an den Folgen
verschmutzter Luft, in Europa etwa 133. In Deutschland sind es den
vorgestellten Daten zufolge sogar 154 je 100 000 Einwohner jährlich -
mehr als etwa in Polen, Italien oder Frankreich.

Im Vergleich dazu werde die Zahl der auf das Rauchen zurückgehenden
Todesfälle - inklusive des Passivrauchens - von der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf global 7,2 Millionen jährlich
geschätzt, erläutern die Forscher. Ein Mensch könne sich allerdings
entscheiden, nicht zu rauchen - der Luftverschmutzung aber könne er
nicht ausweichen.

Allein in Europa kommen den Berechnungen zufolge jährlich knapp 800
000 Menschen wegen der Folgen von Luftverschmutzung vorzeitig ums
Leben - deutlich mehr als früheren Untersuchungen zufolge. Die
Todesfälle gehen demnach vor allem auf Herzkreislauf- sowie
Atemwegserkrankungen zurück. Die Forscher geben allerdings selbst zu
bedenken, dass ihre Hochrechnung mit statistischen Unsicherheiten
verbunden ist, der tatsächliche Effekt der Luftverschmutzung könne
daher sowohl unter als auch über den errechneten Werten liegen.

Berechnungen wie die nun vorgestellte wurden vor allem in der Debatte
um Stickoxide und Fahrverbote in Städten zuletzt immer wieder
kritisiert. Letztlich handele es sich bei solchen epidemiologischen
Studien um eine statistische Abschätzung, hatte das Umweltbundesamt
klargestellt. «Die so ermittelten Zahlen sind als Indikatoren für den
Gesundheitszustand der Gesamtbevölkerung zu sehen», hieß es. Es
handele sich dabei nicht um klinisch identifizierbare Todesfälle, die
auf einen bestimmten Luftschadstoff zurückgeführt werden können. Als

exakter als die Zahl der vorzeitigen Todesfälle gilt in der Forschung
die Zahl der verlorenen Lebensjahre durch einen Risikofaktor.

Schlechte Luft gehört jedenfalls zu den bedeutendsten
Gesundheitsrisiken neben Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht und
Rauchen, wie das Team um Lelieveld, Direktor am Max-Planck-Institut
für Chemie in Mainz, und Münzel, Direktor des Zentrums für
Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz, erläutert. Durch die
Luftverschmutzung werde die durchschnittliche Lebenserwartung von
Europäern um rund zwei Jahre verringert.

Als Hauptursache für Atemwegs- und Herzkreislauf-Erkrankungen machen
die Forscher kleinste Feinstaubteilchen mit einem Durchmesser von
weniger als 2,5 Mikrometer (PM 2,5) aus. In Deutschland trage die
Landwirtschaft zu bis zu 45 Prozent zum Ausstoß solcher Partikel bei,
so Lelieveld. Angesichts der Studienergebnisse sei der europäische
PM-2,5-Grenzwert für Feinstaub mit einem Jahresdurchschnitt von 25
Mikrogramm pro Kubikmeter Luft viel zu hoch, betonte Münzel.
Feinstaub entsteht durch den Verkehr, die Landwirtschaft, durch
Kraftwerke, Fabriken und Heizungen. Bei Feinstaub aus dem Verkehr
spielen neben dem Verbrennungsprozess in Motoren auch der
Reifenabrieb und aufgewirbelter Staub eine Rolle.

Die Mainzer Wissenschaftler hatten frühere eigene Berechnungen sowie
die der weltweiten Gesundheitsstudie «Global Burden of Disease» von
2015 neu analysiert. Dank des Projekts «Global Exposure Mortality
Model» (GEMM) habe eine umfangreichere Datengrundlage aus 16 Ländern,

darunter China, vorgelegen, hieß es. Die Forscher ermittelten
zunächst die regionale Belastung mit Schadstoffen wie Feinstaub und
Ozon mit Hilfe eines Atmosphärenchemiemodells. Diese Werte
verknüpften sie mit krankheitsspezifischen Gefährdungsraten sowie der
Bevölkerungsdichte und den Todesursachen in einzelnen Ländern.

Umweltschützer fordern schon lange schärfere EU-Grenzwerte für
Feinstaub der Größe PM 2,5. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt
10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel, in der EU gelten
25. Die EU-Umweltbehörde EEA kommt für 2014 auf 66 000 vorzeitige
Todesfälle durch Feinstaub, das Umweltbundesamt für 2015 auf 41 000.