«Soforthilfe nach Vergewaltigung» - Dunkelziffer wird etwas kleiner

Oft kommen die Täter aus dem Umfeld der Opfer - nach einer
Vergewaltigung macht das die Hemmschwelle für betroffene Frauen, zu
reden, besonders hoch. Ein Modellprojekt bietet rasche Hilfe. Nach
einem Jahr zeigt sich: Das Angebot ist nötig und wird angenommen.

Mainz (dpa/lrs) - Rund 20 Frauen haben im vergangenen Jahr das
Angebot der «Medizinischen Soforthilfe nach Vergewaltigung» genutzt.
«Wir waren überrascht, wie viele sich bisher gemeldet haben», sagte
die Direktorin der Frauenklinik der Universitätsmedizin Mainz, Prof.
Dr. Annette Hasenburg, am Montag in Mainz bei der Einjahresbilanz des
Modellprojekts. Seit einem Jahr können sich Frauen und Mädchen ab 14
Jahren nach einer Vergewaltigung untersuchen und auf Wunsch Spuren
sichern lassen, ohne die Straftat unbedingt anzeigen zu müssen.
Bisher war das in Mainz und Worms möglich, künftig auch in Koblenz
und Trier.

Studien zufolge zeigen nur acht Prozent der Vergewaltigungsopfer die
Tat an. Viele Frauen würden aber medizinische Hilfe suchen. Hier
setzt das Modellprojekt an: «Wir wollen die Frauen dort abholen, wo
sie in einer solchen Situation am meisten Hilfe benötigen», sagte
Vanessa Kuschel vom Frauennotruf Mainz. Für die meisten seien nach
der Tat die medizinische und psychosoziale Versorgung wichtig. Die
drängendsten Fragen seien zunächst «Bekomme ich Aids? Kann ich
schwanger werden? Ist alles in Ordnung bei mir?», sagte Hasenburg.

Über das Modellprojekt können sich Betroffene vertraulich untersuchen
lassen und werden bei Bedarf an Therapeuten, Anwälte oder Kliniken
vermittelt. «Je früher traumatisierte Menschen darüber sprechen, was

ihnen widerfahren ist, desto schneller kann die Seele heilen», sagte
Anette Diehl vom Mainzer Frauennotruf.

Viele seien nach einer Vergewaltigung in einem Schockzustand und
würden gar nicht an eine Anzeige denken - auch, weil in den meisten
Fällen der Täter aus dem Bekanntenkreis kommt. In knapp jedem zweiten
Fall sei es der jetzige oder der Ex-Partner, sagte Kuschel. Es gebe
eine Hemmschwelle, seinen Partner, Verwandten, Kollegen oder
Vorgesetzten anzuzeigen.

Opfern werde oft nicht geglaubt, Aussagen angezweifelt, sagte Diehl.
Einerseits seien sie mit Aussagen konfrontiert wie «Der? Das kann ich
mir gar nicht vorstellen, der hat doch Frau und Familie.»
Andererseits werde von ihnen erwartet, die Tat zu melden: «Du bist
doch verantwortlich. Es wird sonst wieder Opfer geben.» Es gebe zudem
immer noch den Mythos, die Frau sei an einer Vergewaltigung ein
bisschen selbst schuld, sagte Hasenburg. Das Modellprojekt soll die
Frauen aus diesem gesellschaftlichen Druck bringen.

Zehn der rund 20 Frauen haben im vergangenen Jahr die Möglichkeit
genutzt, Spuren sichern zu lassen. Die werden ein Jahr bei der
Rechtsmedizin aufbewahrt. Die Frauen können sich in der Zeit
überlegen, ob sie Anzeige erstatten wollen. In mindestens einem Fall
habe ein Opfer die Vergewaltigung auch angezeigt, sagte Kuschel.

Das vom rheinland-pfälzischen Frauenministerium finanzierte Projekt
war im Februar 2018 gestartet worden. Entwickelt wurde das Konzept
vom Frauennotruf Hessen in Zusammenarbeit mit Gynäkologinnen und
Rechtsmedizinern. Die Frauennotrufe Mainz und Worms übernahmen es für
Rheinland-Pfalz. Künftig können sich Betroffene auch in Koblenz und
Trier melden.