Nächstenliebe mit Risiko: Lebend-Organspende nur nach Aufklärung Von Sönke Möhl, dpa

Wer einem Verwandten oder Freund lebend eine Niere spendet, macht das
aus Liebe oder Zuneigung und nimmt dafür auch Risiken in Kauf. Wie
genau müssen Ärzte aufklären? Der BGH fällt eine Entscheidung von
grundsätzlicher Bedeutung.

Karlsruhe (dpa) - Mehrere Hundert Patienten in Deutschland bekommen
jedes Jahr eine Niere von einem nahestehenden Menschen gespendet.
Welches Risiko nimmt ein Spender in Kauf? Wie umfangreich müssen
Ärzte aufklären? Zwei Nierenspender haben vor dem Bundesgerichtshof
(BGH) Schmerzensgeld und Schadenersatz gefordert - und nun recht
bekommen. Denn sie seien über das wahre Risiko nicht informiert
worden und jetzt selbst gesundheitlich eingeschränkt (Az. VI ZR
318/17 u.a.).

Warum und wem haben die zwei Kläger ihre Niere gespendet?

Der heute 54 Jahre alte Ralf Zietz aus Niedersachsen spendete seiner
Frau im Jahr 2010 eine Niere, weil er der auf Dialyse angewiesenen
Patientin ein besseres Leben ermöglichen wollte. Im zweiten Fall
hatte die Klägerin aus Nordrhein-Westfalen ihrem an fortgeschrittener
Nierenschwäche leidenden Vater 2009 ein Organ gespendet, das er aber
einige Jahre später wieder verlor.

Welche Folgen hatten die Operationen für die Spender?

Beide Betroffene leiden unter einer eingeschränkten Nierenfunktion
und chronischer Erschöpfung. Zietz sagt, er habe morgens ein paar
gute Stunden und müsse sich dann mit Kopfschmerzen hinlegen. Wenn es
ihm besser gehe, engagiere er sich für die von ihm gegründete
Interessengemeinschaft Nierenlebendspende. «Mein Leben hat sich im
Prinzip halbiert.» Die Verantwortung für seine beiden Firmen hat der
Unternehmer inzwischen weitgehend abgegeben.

Wie lautet der Vorwurf gegen die Ärzte?

Bei den Aufklärungsgesprächen habe der vorgeschriebene neutrale Arzt
gefehlt. Zietz, der bereits an Vorerkrankungen litt, sagt, ihm seien
wesentliche Informationen verschwiegen worden. «Mir wurde gesagt, es
gibt die üblichen Operationsrisiken, wie bei jedem Eingriff.» Nach
sechs bis acht Wochen sollte man wieder fit sein.

Wie hat das Oberlandesgericht entschieden?

In beiden Fällen sah das Oberlandesgericht Hamm in
Nordrhein-Westfalen zwar Mängel bei der Aufklärung. Es wies die
Klagen aber ab, weil davon auszugehen sei, dass die Kläger auch in
Kenntnis sämtlicher Risiken gespendet hätten. Die Richter gingen von
einer «hypothetischen Einwilligung» aus.

Was sagt nun der BGH?

Das Argument der «hypothetischen Zustimmung» greift nach Überzeugung

der höchsten Richter nicht. So etwas sei im Transplantationsgesetz
nicht vorgesehen. Eine umfassende Aufklärung soll potenzielle
Organspender davor schützen, sich selbst zu schaden. Weil eine Niere
nur für nahestehende Menschen gespendet werden dürfe, befinde sich
der Spender in einer besonderen Konfliktsituation. Bei der
Entscheidung könne jede Risiko-Information relevant sein.

Wie reagieren die Kläger auf das Urteil?

Zietz und andere Betroffene, die nach Karlsruhe gekommen waren,
reagierten erleichtert und mit Freude. Der 54-Jährige hatte schon
zuvor betont, dass es ihm vor allem auf die grundsätzliche Klärung
angekommen sei. Künftig könnten Ärzte kein Risiko mehr verschweigen.

«Der Spender hat ein Recht auf umfassende, schonungslose, auch
kleinste Risiken umfassende Aufklärung.» Er wünsche, dass sich
Menschen nicht mehr rechtfertigen müssten, wenn sie nicht spenden
möchten, sagte Zietz.

Was sagt die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO)?

Eine Lebendspende muss nach Angaben der DSO sorgfältig überdacht
werden, da es sich um einen chirurgischen Eingriff an einem gesunden
Menschen ausschließlich zum Wohle eines anderen handele. «Der
Eingriff stellt für den Spender ein medizinisches Risiko dar.» Zwang,
psychische Abhängigkeit oder finanzielle Anreize dürften keine Rolle
spielen.

Was sagt die Interessengemeinschaft Nierenlebendspende?

Sie fordert unter anderem Aufklärung über die tatsächlichen Risiken
wie Leistungsminderung und frühere Ermüdbarkeit. Spender müssten
versicherungsrechtlich abgesichert werden, etwa mit Lohnersatz bis
zur Genesung und der Übernahme aller Kosten für Folgeerkrankungen.

Wie viele Lebend-Organspenden gibt es, was ist über Komplikationen
bekannt?

Nach Angaben der DSO gab es 2018 in Deutschland 638
Lebend-Nierenspenden und 57 Lebend-Leberspenden. Das Institut für
Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen veröffentlicht
Statistiken über den Gesundheitszustand von Lebend-Organspendern. So
habe es bei 548 Fällen im Jahr 2017 zum Beispiel während oder nach
der Operation in zehn Fällen schwere Komplikationen gegeben.