«Affäre Jeanne Calment» - Neue Zweifel am Altersweltrekord Von Christian Böhmer, dpa

Beruht der Rekord für Langlebigkeit auf einem Betrug? Eine neue
Studie aus Russland zur Französin Jeanne Calment sorgt für Unruhe und
Fragen. Weitere Untersuchungen sollen mehr Klarheit bringen.

Paris (dpa) - Sie war 14 Jahre alt, als der Pariser Eiffelturm
fertiggestellt wurde, und überlebte zwei Weltkriege. «Gott muss mich
vergessen haben», sagte Jeanne Calment aus dem südfranzösischen Arles

einmal. Sie wurde 122 Jahre und 164 Tage alt - laut Guinness-Buch der
Rekorde ist kein Fall eines noch älteren Menschen komplett
dokumentiert.

Frankreichs «Doyenne», wie sie oft stolz genannt wurde, ist seit gut
21 Jahren tot. Doch ihre Langlebigkeit lässt Forscher nicht ruhen.
Nun gibt es eine handfeste Kontroverse: Der russische Mathematiker
Nikolai Sak veröffentlichte im vergangenen Monat eine Studie, wonach
der Rekord auf einem Identitätsbetrug beruhen könnte. Nicht Jeanne
Calment sei 1997 gestorben, sondern ihre Tochter Yvonne - im Alter
von «nur» 99 Jahren.

Das Motiv: Yvonne habe beim Tod ihrer vermögenden Mutter 1934 die
damals sehr hohe Erbschaftssteuer umgehen wollen - und deshalb die
Identität von Jeanne angenommen. Sak wurde nach eigenen Angaben von
dem Moskauer Gerontologen Waleri Nowossjolow unterstützt.

In Jeanne Calments Heimatstadt sorgt der Vorstoß für Wirbel - Worte
wie «foutaise» («dummes Zeug») waren laut Medien zu hören. Inzwis
chen
wächst auch unter Spezialisten der Widerstand gegen die Vorwürfe aus
Russland. Es fehle jeglicher Beweis für einen Betrug, sagte die
Expertin beim französischen Institut für demografische Studien,
France Meslé, der Deutschen Presse-Agentur in Paris.

Gleichzeitig kündigte die Expertin für äußerst betagte Menschen abe
r
an, es solle neue Nachforschungen geben. Es habe in der vergangenen
Woche ein Treffen von Experten gegeben, um über den Fall zu beraten.
«Zusätzliche Nachforschungen können sinnvoll sein, beispielsweise im

Archiv von Arles», sagte sie.

Falls weitere Zweifel auftauchen sollten, könnte man auch über die
Exhumierung der Leiche Calments nachdenken, um eine DNA-Probe zu
machen, sagte Meslé. Bei diesem Schritt sei man aber bisher nicht
angelangt. Andere Experten weisen darauf hin, dass eine Exhumierung
rechtlich keine einfache Lösung sei - so müsse sich beispielsweise
die Justiz einschalten.

Beim Pariser Demografie-Institut wird auf die jüngste Recherche der
Wochenzeitschrift «Paris Match» verwiesen, deren Reporter sich auf
den Weg nach Arles machten. «In den 1930er Jahren kannte jeder Yvonne
(Jeannes Tochter) und war Zeuge ihrer langen Krankheit», resümiert
das Blatt. Der Tod der damals 36-Jährigen sei 1934 nicht versteckt
worden. Mit diesen und anderen Argumenten weist die Zeitschrift die
russische These als falsch zurück.

Ein einziger Mensch hatte sich der Langlebigkeit von Jeanne Calment
nie so recht erfreuen können: Der Notar, der ihre Wohnung auf
Leibrente gekauft hatte und nach 30 Jahren und der Zahlung von fast
einer Million Franc Leibrente 1995 vor ihr gestorben war. Experten
wollen sich nun auch genauer die Vermögensverhältnisse der aus einer
angesehenen bürgerlichen Familie stammenden Calment anschauen. 144
Jahre nach ihrer Geburt birgt der Fall möglicherweise weitere
Geheimnisse.