Leprapatienten - Brasiliens vergessene Kranke Von Isaac Risco und Antje Müller, dpa

Mit Lepra verbinden viele abfallende Haut und das Mittelalter. Auch
wenn die Krankheit heute heilbar ist, werden Betroffene weiterhin
stigmatisiert. In Brasilien wurden eigene Kolonien für Leprakranke
abgeschafft - eigentlich.

Jacarepaguá/Rio de Janeiro (dpa) - «Die Wunden kamen in den 90ern»,
sagt Adalberto Coelho und zeigt seine verbundenen Beine. «Jetzt wird
es immer schlimmer.» Der 66-Jährige lebt seit 1974 in Curupaiti,
einer ehemaligen Kolonie für Leprakranke. Sie liegt in Jacarepaguá,
einem Vorort der brasilianischen Millionenstadt Rio de Janeiro. Und
gleichzeitig in einer anderen Welt.

Wer zwischen den Gebäuden und kleinen Häusern umherspaziert, der
spürt deutlich: Das Leben hier ist sehr hart. Die Mehrheit der
Einrichtungen befindet sich in einem schlechten Zustand, einige
Gebäude sind verlassen. Curupaiti wurde 1928 gegründet. Wie viele
Menschen hier in den niedrigen Häusern am Hang des Berges leben, weiß
niemand so genau.

27 000 Menschen haben sich im vergangenen Jahr mit Lepra angesteckt -
allein in Brasilien. Das südamerikanische Land liegt damit auf Platz
zwei weltweit, hinter Indien mit 126 000 Fällen. Laut der
Weltgesundheitsorganisation WHO ist die Zahl der Fälle in Brasilien
in den vergangenen zehn Jahren zwar langsam gesunken. Trotzdem sind
es immer noch viele.

Lepra wird durch das Bakterium «Mycobacterium leprae» verursacht. Es
handelt sich um eine chronische Infektion der Haut, der
peripheren Nerven und seltener auch anderer Organe. Laut der
Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe DAHW konnten die
Übertragungswege bis heute nicht eindeutig geklärt werden. Ein enger
und lange andauernder Kontakt mit einem Infizierten sowie eine hohe
Erregerdichte gelten als drei Faktoren für die Übertragung.

Die meisten Leprakolonien entstanden in Brasilien zu Beginn des
20. Jahrhunderts. «Die Idee war zu jener Zeit, den Patienten zu
isolieren und so die Kette von Ansteckungen zu unterbrechen», erklärt
der Arzt und Präsident des brasilianischen Verbandes für Leprakranke,
Claudio Salgado, der Deutschen Presse-Agentur. Dabei habe man in
Europa schon zum Ende des 19. Jahrhunderts gemerkt, dass es nicht
nötig sei, sie zu isolieren.

Marquinhos sitzt in seinem Rollstuhl. Der 59-Jährige hat keine Beine
mehr, sie mussten auf Höhe der Knie amputiert werden. Außer Lepra
leidet er unter Diabetes, und seine Sicht ist eingeschränkt. «Auf dem
linken Auge sehe ich gar nichts mehr.» Marquinhos bekommt eine
Invalidenrente des Staates, derzeit 1190 Reales, nicht ganz 250 Euro.
Davon muss er die Lebensmittel bezahlen, die er von der Station
bekommt. Jede Mahlzeit kostet neun Reales (knapp 1,90 Euro).

Im fortgeschrittenen Stadium kann Lepra schwere Wunden zur Folge
haben, die Haut kann sich ablösen. Die Inkubationszeit kann bis zu 20
Jahre betragen. Bei frühzeitiger Behandlung kann Lepra aber geheilt
werden. Die Behandlung dauert bis zu einem Jahr - und viele Patienten
brauchen längerfristige Begleitung.

Seit fast zwei Jahrzehnten lebt Marquinhos in der ehemaligen Kolonie.
Um die medizinische Versorgung der ehemaligen Kolonie kümmert sich
ein benachbartes medizinisches Zentrum, allerdings sei die Versorgung
sporadisch und ungenügend, beschweren sich die Patienten. «Oft gibt
es keinen Verbandsmull und keine Salben für die Behandlung», sagt
Marquinhos. «Und ich brauche viele Medikamente.»

Auch wenn die Leprakolonien wie Curupaiti offiziell abgeschafft sind,
existieren sie weiter. Mehr als 20 gibt es in Brasilien. «Einige
wurden in Krankenstationen umgebaut», erklärt der Arzt Salgado.
«Mancher Orte nahm sich eine Nichtregierungsorganisation an, dort
leben die Leute etwas besser. Aber da, wo der Staat in der
Verantwortung steht, sind die Menschen sich selbst überlassen. Und
das Stigma gibt es immer noch.»

Wie viele andere Patienten ist auch Coelho schon lange in Curupaiti.
Obwohl sein Körper lange Zeit nach der Diagnose keine
Folgeerscheinungen zeigte, wurde der heute 66-Jährige in die Kolonie
gebracht, gegen seinen Willen. Auch wenn diese offiziell nicht mehr
existiert, ist er noch immer hier. Seit 1974.