Erster Smog-Alarm Deutschlands - Verkehr lief «so normal wie immer» Von Helge Toben, dpa

Vor 40 Jahren gab es in Deutschland den ersten Smog-Alarm - im
Ruhrgebiet, damals wie heute größter industrieller Ballungsraum des
Landes. Die Luftqualität hat sich seitdem stark verbessert. Trotzdem
drohen Diesel-Fahrverbote.

Essen (dpa) - Dicke Luft im Ruhrgebiet: Gegen 9.45 Uhr unterbricht
der Radiosender WDR 2 am 17. Januar 1979 sein Programm. Die
Bevölkerung wird aufgefordert, wegen der hohen Luftverschmutzung auf
das Auto zu verzichten. Menschen mit Atemwegserkrankungen oder
Herzproblemen sollen möglichst in den Wohnungen bleiben.
Krankenhäuser sollen schwierige Operationen verschieben. Zum ersten
Mal in der Geschichte der Bundesrepublik haben die Behörden einen
Smog-Alarm ausgerufen. Er gilt für Teile des Kreises Wesel, Krefeld
sowie das westliche Ruhrgebiet.

Die Region ist schon länger schwer betroffen. Hochöfen, Kraftwerke,
Kokereien und andere Industrieanlagen sorgen für eine hohe
Luftverschmutzung. 1962 werden in einigen Gebieten des Ruhrgebiets
Schwefeldioxidwerte von 5000 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gemessen
und ein Anstieg der Sterblichkeitsrate nachgewiesen. Bereits 1961
hatte Willy Brandt im Bundestagswahlkampf gefordert: «Der Himmel über
dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden.»

Vor 40 Jahren war der Himmel im «Revier» jedoch alles andere. Schon
seit Tagen hatte sich in der Region eine warme Luftschicht wie eine
Decke über bodennahe kalte Luft gelegt und den Luftaustausch zum
Erliegen gebracht. Die Folge: Schadstoffe blieben am Boden. «Ursache
für die damalige Belastung war ein Mix aus Industrie- und
Verkehrsabgasen mit all dem, was aus den heimischen Schornsteinen
qualmte, denn damals wurde noch hauptsächlich Kohle verbrannt, um
Wohn- und Geschäftsgebäude zu beheizen», berichtet Birgit Kaiser de
Garcia vom Landesumweltamt Nordrhein-Westfalen.

Am 17. Januar, einem Mittwoch, schlagen die Messstationen Alarm: Der
Grenzwert für Schwefeldioxid, 800 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, ist
überschritten. Die stärkste Verschmutzung wird in Duisburg
gemessen: Am Morgen verzeichnen dort Instrumente 1400 Mikrogramm
Schwefeldioxid pro Kubikmeter Luft. Zum Vergleich: 2017 lag der
höchste Stundenwert an einer Duisburger Messstation in der Nähe eines
Stahlwerks laut NRW-Landesumweltamt bei 207 Mikrogramm und damit
unter dem gültigen Grenzwert von 350 Mikrogramm. Im Jahresmittel
verzeichnete diese Station 9 Mikrogramm Schwefeldioxid.

Obwohl bei dem Alarm nur eine sogenannte «Vorwarnstufe» ausgerufen
wird, kommen vor 40 Jahren zum ersten Mal vorbereitete Alarmpläne zum
Einsatz. Tiefbauämter stellen in besonders gefährdeten Gebieten
Straßensperren bereit, um bei einer höheren Alarmstufe den
Autoverkehr stoppen zu können. Messwagen der Landesanstalt für
Immissionsschutz kontrollieren pausenlos. Industriebetriebe bereiten
den Einsatz besonders schwefelarmer Brennstoffe vor.

«Offenbar ohne Wirkung blieb dagegen der Appell an die Autofahrer,
ihre luftverschmutzenden Wagen stehen zu lassen. Wie die Polizei
mehrerer gefährdeter Städte berichtete, war der Verkehr trotz der
Warnungen «so normal wie immer»», berichtete damals die Deutsche
Presse-Agentur dpa. «Es war nur eine Empfehlung, auf schwefelhaltige
Brennstoffe zu verzichten und das Auto stehen zu lassen, keine
einschneidenden Zwangsmaßnahmen», erinnert sich der damalige
nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Friedhelm Farthmann (SPD,
88). Der Smog-Alarm habe auch nicht zu tiefgreifenden
Verhaltensänderungen geführt. «Vielleicht hat der ein oder andere
sein Auto stehen gelassen und ist mit der Bahn gefahren», vermutet
er.

Am Abend hob Farthmanns Ministerium den Alarm wieder auf. Der
Grenzwert von 800 Mikrogramm war zuvor sechs Stunden lang nicht mehr
überschritten worden. Die Feuerwehren berichteten am Folgetag, dass
sie nicht mehr Patienten als sonst in Kliniken gefahren hätten. Auch
habe man keine Häufung smog-typischer Symptome wie Herzanfälle oder
Atemnot feststellen können.

Sechs Jahre später, am 18. Januar 1985, gab es in der Region dann
wieder Smog-Alarm - diesmal der höchsten Stufe, weil die gemessenen
Schadstoffwerte deutlich höher lagen. In großen Teilen des
Ruhrgebiets durfte zeitweise kein Auto fahren, Industriebetriebe
schränkten ihre Produktion ein, der Schulunterricht fiel aus. Als
nach der Jahrtausendwende etwa infolge von Rauchgasentschwefelung
keine Gefahr mehr durch den klassischen Smog bestand, wurde die
NRW-Smogverordnung zum 1. Januar 2001 aufgehoben.

Und heute? Bundesweit wird die Luft kontinuierlich an rund 400
Stationen überprüft. «Die Belastung der Luft mit Schadstoffen nahm in

den vergangenen 25 Jahren deutlich ab», berichtet das Umweltbundesamt
im vergangenen November. In Deutschland gebe es keine
Überschreitungen der europaweit geltenden Grenzwerte für
Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid, Benzol und Blei mehr. Bei Feinstaub
und Stickstoffdioxid sei die Entwicklung zwar rückläufig, «jedoch
werden noch immer geltende Grenzwerte überschritten».

Zum Beispiel in Stuttgart. Dort gilt seit Jahresbeginn das bundesweit
erste großflächige Diesel-Fahrverbot zur Luftreinhaltung. Auch für
andere Städte haben Gerichte Fahrverbote für ältere Diesel
angeordnet, etwa für Berlin, Köln, Essen oder Frankfurt. Viele
Urteile sind aber noch nicht rechtskräftig.