Kampf ums Merkel-Erbe: Droht der CDU noch tiefere Spaltung? Von Jörg Blank und Ruppert Mayr, dpa

Will der CDU-Parteitag einen Bruch mit der Ära Merkel, wie ihn Merz
bringen könnte - oder reicht eine Erneuerung à la AKK? Nach 18 Jahren
als CDU-Chefin wirkt Merkel gelöst. Die Kandidaten sind hochnervös.

Hamburg (dpa) - Angela Merkel lächelt und scherzt, als sie die
Kulisse für den Kampf um ihr Erbe begutachtet. Wenn es der Kanzlerin
an diesem Donnerstagnachmittag etwas mulmig zu Mute sein sollte, kann
sie es gut verbergen. Routiniert absolviert die 64-Jährige den
Rundgang durch jene Hamburger Messehalle, in der sie am Freitagmittag
nach 18 Jahren an der Parteispitze ihre Abschiedsrede halten wird.
Und wo sich anschließend die Kandidaten für ihre Nachfolge den 1001
Delegierten des Parteitags in der Hansestadt präsentieren wollen.

Nach allem, was aus der Partei zu hören ist, wird es ein
Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Generalsekretärin Annegret
Kramp-Karrenbauer und Ex-Unions-Fraktionschef Friedrich Merz -
Stichwahl wahrscheinlich. Der dritte prominente Kandidat,
Gesundheitsminister Jens Spahn, gilt als chancenlos. Ihm wird
höchstens ein Achtungserfolg vorhergesagt, 10 bis 15 Prozent der
Delegiertenstimmen könnten drin sein, hoffen für ihn Wohlgesinnte.

Direkt vor dem Parteitag hat sich die Auseinandersetzung zwischen
Merz und Kramp-Karrenbauer spürbar verschärft. Nachdem auch noch der
eigentlich als CDU-Grandseigneur geschätzte Wolfgang Schäuble eine
direkte Wahlempfehlung für Merz abgegeben hat, sind Dämme gebrochen,
wie Peter Altmaier es formuliert. Der als Merkel-Unterstützer
bekannte Wirtschaftsminister outet sich am Donnerstag als AKK-Fan.

Selbst im Merz-Lager hört man neben Lob für die öffentliche
Festlegung Schäubles, die auch von vielen in der CDU als späte Rache
an Merkel gewertet wird, heftige Kritik. Als Bundestagspräsident
unterliege er doch eigentlich einer Mäßigungspflicht, meinen manche -
und von einem 76-Jährigen wolle man sich dann doch nicht die Rezepte
für die CDU von morgen diktieren lassen. Eigentlich hätte sich
Schäuble die Kritik ersparen können: Dass seine Unterstützung seinem

Freund Merz gilt, war ohnehin jedem klar.

Wer sich in beiden Lagern umhört, kann ähnliche Einschätzungen höre
n:
Ganz knapp werde es, Ausgang offen. Vor allem die Tagesform der
Kontrahenten werde wohl entscheiden. Zwar sei Merz ein brillianter
Redner - aber auch Kramp-Karrenbauer habe bewiesen, dass sie
Parteitage rocken könne. Ganz wichtig werde sein, welchem Kandidaten
es gelinge, die Delegierten zu überzeugen, dass er besser die Gräben
zwischen Gewinner und Verlierer nach dem Parteitag zuschütten kann.
Denn CDU-Wähler lieben bekanntermaßen keinen Streit der Parteispitze.

Realisten unter den Delegierten halten eine Vertiefung des Risses
dennoch fast für unausweichlich - zwischen jenen, die sich einen
kompletten Neustart mit Merz wünschen und anderen, die sich von AKK
zwar Erneuerung und Offenheit für Debatten, aber keine völlige Abkehr
von der Ära Merkel wünschen. Es werde darauf ankommen, ob es
AKK gelinge, Brücken zu bauen - selbst wenn ein Teil der
Merz-Anhänger nicht darüber gehen wolle, sagen ihre Unterstützer.

Aus dem Merz-Lager war indes eine eindeutige Ansage zu hören: «Wir
brauchen keine Mediation, sondern jemanden, der klar führt. Die
Menschen wollen jemanden haben, der klar weiß, wo es hingeht.» Gehe
Merz als Verlierer aus dem Parteitag hervor, werde es viele wohl
nicht mehr in der CDU halten.

Zurück zu Merkels Hallenrundgang: Als sie hinter dem Rednerpult eine
Tonprobe macht, freut sie sich über den Schokoladen-Nikolaus, der
dort liegt. Ob die Vorsitzende da kurz daran gedacht hat, was die
Delegierten im Gepäck haben, wenn es am Freitag in die Aussprache
über ihre Amtszeit geht? Werden es nach 18 Jahren Parteivorsitz und
gut 13 Jahren als Kanzlerin nur lobende Worte sein? Wohl kaum.

Sehr dankbar sei sie für diese Jahre. «Das ist eine lange, lange
Zeit», sagt Merkel auf die Frage, was in ihr vor ihrem letzten
Parteitag als Vorsitzende vorgehe. Natürlich habe die Partei in
dieser Zeit Höhen und Tiefen erlebt. Schnell schiebt sie hinterher,
die CDU habe Wahlen «viermal so gestalten können, dass wir die
Bundeskanzlerin stellen». Unter ihrer Führung, soll das wohl heißen.


Wer möchte, kann in diesen Worten eine versteckte Botschaft auch an
die Delegierten hören: Den Appell, dass es trotz allen Ärgers über
ihren Kurs nicht nötig sei, radikal mit den vergangenen Jahren zu
brechen. Wenn man so will, könnte das auch eine versteckte
Unterstützung für Kramp-Karrenbauer sein. Es ist ein offenes
Geheimnis, dass Merkel sich ihre Generalsekretärin als Nachfolgerin
wünscht - und nicht Merz.

Noch zwei weitere Botschaften versteckt Merkel in ihren nichtmal drei
Minuten langem Statement. Die Partei habe sich intensiv vorbereitet
auf den Wahlparteitag, sagt die CDU-Chefin und meint die acht
Regionalkonferenzen, bei denen sich die Kandidaten vorgestellt haben.
Auf die Delegierten komme nun mit der Wahl die «wichtige Aufgabe zu,
damit auch die Weichen für die zukünftige Führungsmannschaft zu
stellen». Es sei jetzt der Zeitpunkt gekommen, wo «für die
Bundestagswahl auch die Vorbereitungen getroffen werden müssen in
Zeiten, die sich sehr stark ändern».

Für die Bundestagswahl? Wäre ja eigentlich erst 2021. Und bis dahin
ist noch mehr als genügend Zeit, sogar für mehrere Wahlparteitage. Ob
Merkel eine vorgezogene Wahl vielleicht schon im kommenden Jahr im
Sinn hat? Nicht wenige in der Union wollen nicht ausschließen, dass
es dazu kommt. Entweder, weil die SPD angesichts eines möglicherweise
desaströsen Resultats bei der Europawahl Ende Mai doch noch rasch aus
der ohnehin von Anfang an schlingernden großen Koalition aussteigen
will. Oder weil Merz bei einem Wahlerfolg möglicherweise versuchen
könnte, Merkel vorzeitig aus dem Amt zu drängen. Eines wird im Lager
der Kanzlerin ausgeschlossen: Dass sie in der Zusammenarbeit mit
einem CDU-Vorsitzenden Merz entnervt hinschmeißen könnte.

Auf die Frage, ob die Vorsitzendenentscheidung das Potenzial zu einer
noch tieferen Spaltung zwischen Merkel-Anhängern und dem sehr
konservativen Lager um Merz, Schäuble und auch Spahn habe, antwortet
die Kanzlerin auf die ihr eigene Art: «Das ist Demokratie pur, wenn
Auswahl besteht. Und den Rest werden die Delegierten entscheiden.»
Als Merkel dies sagt, ist im Hintergrund auf dem fast hallenbreiten
LED-Monitor das Motto des CDU-Parteitags zu lesen: «Zusammenführen.
Und zusammen führen.» Die zwei Sätze klingen wie eine dramatische
Mahnung an Merz und Kramp-Karrenbauer.