Wenn Bäume auf Häusern wachsen und Städte essbar werden Von Annette Reuther, dpa

Immer mehr Menschen leben in Städten. Dort wird immer mehr gebaut.
Aber vor allem Pflanzen, Bäume und Wiesen in Städten können die
Folgen des Klimawandels mildern. Doch ist das Stadtgrün nur ein
Privileg für die Reichen?

Mailand (dpa) - Diesen Sommer wurde auch in Deutschland greifbar, was
der Klimawandel für jeden einzelnen bedeuten kann: Hitzewellen,
Dürreperioden. Vor allem in Städten ist die Hitze besonders schlimm.
Kaum Grün, dafür aber Autos, Luftverschmutzung und viel Beton.
Stadtplaner, Architekten und Wissenschaftler haben Stadtgrün als die
perfekte Waffe gegen schlechte Luft ausgemacht. Denn Bäume und andere
Pflanzen sollen die Auswirkungen des Klimawandels lindern. Doch mit
der Umsetzung ist es so eine Sache.

Drei Viertel der Bevölkerung in Europa werden nach Angaben der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) bis 2020 in Städten leben.
Natürlich könnten Grünflächen alleine den Klimawandel nicht
aufhalten, sagt Matthias Braubach von der WHO. «Mit Grün in der Stadt
kann man da zwar etwas kompensieren, aber da ist ein Umschwenken in
ganz anderen Bereichen notwendig.» Verkehr und Energiegewinnung zum
Beispiel.

Doch Parks, Wiesen und grüne Balkons können die Auswirkungen des
Klimawandels lindern. «Sie sind Puffer für extreme Hitzebelastungen»,

so Braubach. Pflanzen spenden Schatten und erhitzen weniger als
versiegelte und asphaltierte Flächen. Zwei bis drei Grad Unterschied
können zwischen Grün und bebauter Fläche gemessen werden.

Architekten und Stadtplaner haben das Thema für sich entdeckt und
experimentieren mit grünen Fassaden, Dachgärten und urbanen
Gemüsebeeten. Eine besondere Vision hatte der italienische Architekt
Stefano Boeri: Er lässt Bäume mitsamt der Häuser in den Himmel
wachsen. In Mailand steht sein «Bosco Verticale», ein vertikaler
Wald. Die beiden Hochhaustürme im Bankenviertel der Stadt hat er mit
800 Bäumen und 15 000 anderen Pflanzen verkleidet.

«Die Wälder in die Stadt zu bringen, ist sehr effektiv. Denn das ist,
wie den Feind auf dem eigenen Feld zu bekämpfen», sagt er.
Schließlich würde das meiste schädliche CO2 in Städten produziert -

und dort könnte es durch mehr Grün wieder abgebaut werden. Bei einer
Tagung im italienischen Mantua diskutierten bis Samstag Hunderte
Experten aus aller Welt über «Urban Forests» - Wälder in Städten.


Doch die Anstrengung ist enorm. Ein Kran muss die Bäume auf die
Balkone bringen. Botaniker berechnen monatelang, welche Wurzeln wie
wachsen. Die Pflege ist aufwendig - auch wenn Boeri sagt: «Es stimmt
nicht, dass es so schwer ist.» Mehrere seiner senkrechten Wälder
entstehen derzeit in der Welt, etwa in China oder Holland. 2014
gewann Boeri den Internationalen Hochhauspreis, der in Frankfurt
verliehen wird.

Wissenschaftler weisen darauf hin, wie wichtig Stadtgrün für die
Gesundheit ist. Wegen der klimatischen Entwicklung sei mit mehr
Extremereignissen wie langen Hitze- oder Dürreperioden zu rechnen,
heißt es in einem Papier des Bundesamtes für Naturschutz. Ein
Forscherkonsortium erklärte erst kürzlich, dass der Klimawandel die
Gesundheit von immer mehr Menschen bedroht. Es berichtete im
Fachmagazin «The Lancet», dass unter anderem Menschen in Städten
besonders gefährdet seien.

«Städte mit wenigen Grünanlagen sind schlechter gewappnet gegen
extreme Wetterphänomene. Starkregen fließt schlechter ab, die
Innenstädte heizen schneller auf», erklärt Deliana Bungard vom
Deutschen Städte- und Gemeindebund. Grüne Dächer und Fassaden würde
n
nicht nur Heimat für Insekten und Vögel. Sie nehmen auch einen Teil
der Regenmengen auf und speichern ihn. «Dadurch wird das
Abwassersystem entlastet. Wie eine Isolierschicht verhindern sie,
dass Räume sich zu stark aufheizen. Durch Verdunstung entsteht
zusätzlich kühle Luft.»

Grün trägt auch zum positiven Image einer Stadt bei. In Berlin
stimmten die Bewohner gegen eine Bebauung des Tempelhofer Feldes, im
Ruhrgebiet wurden Industriebrachen in Parks umgewandelt. Andere
Städte wie Andernach, Kassel oder Minden präsentieren sich mit
Gemüsebeeten als «essbare» Städte.

Auch wenn viele Kommunen das Thema erkannt haben. An der Umsetzung
hapert es dennoch oft. «Einen Stadtwald kann man nicht so einfach
hinpflanzen. Das dauert Jahrzehnte. Die Flächen müssen sich
entwickeln, bis sie ihren vollen Wert für die Stadt entfalten», sagt
WHO-Experte Braubach. Ein Parkplatz oder eine Sporthalle sind da
schneller gebaut und haben eine sofortige Wirkung. Außerdem müssen
Parks kontrolliert und gepflegt werden. Wenn bei Unwettern Bäume
umstürzen, ist der Schaden groß. Und eine dunkle, heruntergekommene
Grünanlage, in der Drogen vertickt werden, hat ihren Sinn und Zweck
auch verfehlt.

Außerdem kann Grün in der Stadt die Gentrifizierung fördern: Die
Mieten steigen dort, wo es besonders viel Grün gibt. Das Grün wird
oft zum Privileg der Reichen. Deshalb sollten Kommunen viele kleine
Grünflächen in der ganzen Stadt verteilt anbauen, die für alle
zugänglich sind, sagt Bungard. Denn diese stärken den sozialen
Zusammenhalt und fördern die soziale Integration.

Wer in Mailand im senkrechten Wald wohnt, hat jedenfalls Geld. Hier
residieren angeblich Fußballer der Mailänder Clubs, Modeleute und
Rapper. Am Eingang wird der abgefangen, der nicht dazugehört. Für das
Grün am Balkon müssen die Bewohner keinen Finger krumm machen.
Bewässerung und Pflege werden zentral erledigt. Etwa 1500 Euro
Nebenkosten pro Monat fielen pro Wohnung an, haben Mailänder Medien
errechnet.

Architekt Boeri ist da anderer Meinung. Auch für Sozialbauten seien
grüne Fassaden möglich. In Eindhoven in Holland entsteht unter seiner
Federführung der erste senkrechte Wald für einkommensschwache und
junge Menschen. Ein Baum und 40 Sträucher sind pro Wohnung geplant.