Insolvenzantrag für Marburger Partikeltherapie - Vier Millionen nötig
Jahrelang gibt es Streit um die Kosten für die innovative Anlage zur
Krebsbehandlung. Mit Verspätung geht sie in Betrieb. Nach drei Jahren
kämpft sie jetzt um ihre Existenz. Grund genug für die Opposition,
die Regierung anzugreifen.
Marburg/Heidelberg (dpa/lhe) - Fast drei Jahre nach dem offiziellen
Start des Marburger Ionenstrahl-Therapiezentrums (MIT) zur Behandlung
von Tumoren hat die Betreibergesellschaft Insolvenz angemeldet. «Am
Mittwoch wurde Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung gestellt»,
sagte der Geschäftsführer der Betreibergesellschaft, Markus Jones, am
Freitag. «Wir haben es nicht geschafft, die Patientenzahl so
hochzufahren, dass die Anlage in ein wirtschaftlich stabiles
Fahrwasser kommt.» Für den kostendeckenden Betrieb fehlten vier
Millionen Euro im Jahr. Nun sei man auf der Suche nach «frischem
Kapital». Patienten sollen vorerst weiterbehandelt werden.
Um die innovative Therapieanlage hatte es jahrelang Streit wegen der
Kosten gegeben. Das mehr als 100 Millionen Euro teure Zentrum ging im
Oktober 2015 in Betrieb - eigentlich war der Start schon für das Jahr
2012 geplant gewesen. Bei der Partikeltherapie, die Ionenstrahlen
nutzt, können Tumore punktgenau beschossen werden.
Die Anlage steht auf dem Gelände der Marburger Universitätsklinik,
wird aber federführend vom Heidelberger Uni-Klinikum betreut, das
bereits eine ähnliche Einrichtung betreibt. Die Heidelberger halten
am MIT rund 75 Prozent der Anteile, die Rhön-Klinikum AG knapp 25
Prozent. Rhön gehört das privatisierte Uniklinikum Gießen-Marburg.
Das Unternehmen zeigte sich am Freitag überrascht von dem
Insolvenzantrag. Vor dem Hintergrund der bis dahin anderslautenden
Informationen zur Situation am MIT «können wir als
Minderheitsgesellschafter den Eintritt der Insolvenz nicht
nachvollziehen», teilte Rhön mit. Noch im Juli habe es geheißen, es
gebe genügend Patienten. Das Unternehmen dränge nun darauf, dass die
Patienten weiter behandelt und eine Lösung gefunden werden könne,
sagte Rhön-Sprecherin Elke Pfeifer. Der Minderheitsgesellschafter sei
informiert gewesen, sagte dagegen MIT-Geschäftsführer Jones.
Das hessische Wissenschaftsministerium reagierte mit Bedauern auf die
«überraschende Entscheidung», Insolvenz anzumelden. Das Land habe
darauf keinen Einfluss, man führe jedoch Gespräche mit dem
Uni-Klinikum Heidelberg und Rhön. «Für das Land Hessen hat die
Patientenversorgung höchste Priorität», sagte Wissenschaftsminister
Boris Rhein (CDU). Das Anliegen sei, dass der klinische Betrieb
aufrechterhalten beziehungsweise fortgeführt werden könne.
Die Betreibergesellschaft war beim Start des Marburger
Therapiezentrums davon ausgegangen, dort künftig mehr als 700
Patienten im Jahr zu bestrahlen. Bislang seien es insgesamt aber nur
rund 640 gewesen. Für 2018 gehe man von etwa 220 Patienten aus, sagte
Geschäftsführer Jones. Für einen wirtschaftlich stabilen Betrieb
seien jedoch jährlich 320 Patienten nötig.
Jones räumte ein, dass sich die Anlage von Anfang an in einem
wirtschaftlich schwierigen Umfeld bewegt habe. Man sei aber davon
ausgegangen, die anvisierten Patientenzahlen und die damit
verbundenen Einnahmen erreichen zu können. Jetzt stelle sich unter
anderem die Frage, ob das Zuweisung-Netzwerk für Patienten
ausreichend erschlossen worden sei. Die Anlage befinde sich in einer
bundesweiten Konkurrenzsituation.
Die Opposition im hessischen Landtag reagierte auf die Nachricht der
Insolvenz mit Regierungskritik: «Angesichts der Tatsache, dass die
Einrichtung eines Ionenstrahlzentrums Teil der Verkaufsvereinbarung
zwischen dem Land und der Klinikbetreiberin war, führt die
Insolvenzanmeldung zu einer weiteren bitteren Bestätigung, dass die
Privatisierung und der Verkauf des Universitätsklinikums Gießen und
Marburg nach wie vor ein großes Desaster darstellt», sagte der
SPD-Landtagsabgeordnete Handan Özgüven. Die CDU geführte
Landesregierung habe als Verkäufer die Verantwortung gehabt, sich und
die Öffentlichkeit über die finanzielle Situation zu informieren.
Auch die Linke im hessischen Landtag nannte die Privatisierung des
Universitätsklinikums eine «Pleiten-Pech-und-Pannen-Geschichte zum
Leidwesen der Patientinnen und Patienten und der Beschäftigten».
Schwarz-Grün dürfe die Probleme am privatisierten Klinikum nicht
weiter ignorieren und sei gefordert, Maßnahmen zu ergreifen. Die
Privatisierung des Universitätsklinikums sei Ausdruck für eine
Unterwerfung der Gesundheitsversorgung unter die Profitinteressen
großer Kapitalgesellschaften.
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