Keine Angst vor Schnecke Turbo - Therapie-Tiere hinter Stacheldraht Von Claudia Bonati, dpa
Eine forensische Klinik in Münster geht einen ungewöhnlich Weg, um
Straftäter zu therapieren: Mini-Schweine oder Katzen sollen den
Zugang zu den Patienten erleichtern. Sogar eine Schnecke gibt es.
Münster (dpa) - Sascha schmeißt seine für die Jahreszeit viel zu
warme Jacke in die Ecke und krempelt sich die Ärmel hoch. Dann
kriecht Schnecke Turbo über seinen Arm. Sie ist Saschas Liebling.
«Viele haben Angst vor der Schnecke, aber ich mag sie», erzählt der
32-Jährige. Er wird ganz ruhig, während er die Achatschnecke
beobachtet. Sascha ist einer von 54 straffällig gewordenen,
intelligenzgeminderten Patienten, die in der Christophorus Klinik in
Münster behandelt werden. Dort soll eine spezielle Tiertherapie den
emotionalen Zugang zu den Patienten erleichtern.
Zwei Hühner kuscheln sich zwischen Kater Burschi und Kaninchen Blume.
Mini-Schwein Fritz grunzt dazwischen und Labrador-Mix Judy sitzt
artig am Rand. Seit 2012 kommt Tier-Therapeutin Bianca Terhürne
zweimal im Monat hierher. «Zuerst hatte ich Zweifel, ob ich das kann.
Vorher hatte ich nur Kontakt zu den Opfern, nie zu den Tätern», fasst
die 44-Jährige aus Hamm, die sonst Kinder-Kliniken und Seniorenheime
besucht, die erste Zeit zusammen. «Man muss sich vor Augen halten,
dass man mit Tätern arbeitet.» Trotzdem oder gerade deswegen seien
die Tiere so wichtig, findet Terhürne.
Sexualdelikte, Körperverletzungen - das Strafregister der Menschen in
der Klinik ist lang. Für sie hat ein Gericht eine Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet: Die Verurteilten sitzen
im Maßregelvollzug stets auf unbestimmte Zeit. Sie sind keine
Insassen, sondern Patienten. Die Leute, die mit ihnen arbeiten, sind
Pfleger, keine Wärter. Nicht zu übersehen ist allerdings der
Stacheldrahtzaun rund um das Gelände.
Die Tiere treten den Patienten vorbehaltlos und freundlich gegenüber
- und bringen Abwechselung in das Leben hinter Gittern, das über die
Jahre eintönig wird. «Hier wird niemand in den Arm genommen. Kann
kuscheln oder Nähe genießen. Aber genau das geht mit den Tieren»,
sagt Terhürne. Sie erlebe immer wieder, dass die Tiere unglaublich
beschützt werden. So sei es den Patienten auch immer wichtig, dass
alle Tiere belohnt werden. «Es geht hier außergewöhnlich gerecht
zu.»
Auch bei dem 46-jährigen Mirco, der «draußen» in der Landwirtsc
haft
gearbeitet hat: Immer wieder streichelt er Judy und Pudel Flocke.
«Ich liebe Tiere», erzählt er und erkundigt sich nach Preisen für
Anschaffung und Haltung. «Es kann auch ein Ziel sein, später in
Freiheit ein eigenes Tier zu haben«, sagt Terhürne.
«Die Tier-Therapie ist ein Baustein unserer Arbeit», erklärt der
Ärztliche Direktor der Christophorus Klinik Dieter Seifert. «Die
meisten Patienten sprechen auf diese Therapie gut an.» Viele von
ihnen seien in Elternhäusern aufgewachsen, die von Alkohol und Gewalt
geprägt gewesen seien. Der emotionale Zugang zu ihnen werde durch die
Tiere deutlich erleichtert. «Viele Patienten wollen nicht über ihre
Delikte sprechen», sagt Seifert. Für die Therapeuten sei es daher
erst einmal wichtig, dass die Patienten Vertrauen fassten, eine
Beziehung aufbauten. Das gelinge mithilfe der Tiere sehr gut.
«Wir reden hier über alles Mögliche. Wichtig ist es, Entspannung in
den Alltag zu bringen», sagt Terhürne zu den Therapie-Zielen. Aber
auch das Selbstwertgefühl dürfte steigen, wenn beispielsweise Tricks
mit den Tieren gelingen. Einer der Patienten geht mit Judy und Flocke
im Slalom um drei Stühle und ist von sich und den Tieren sichtlich
begeistert. Verbal ausdrücken kann er das nicht, aber er streichelt
die Tiere immer wieder. Der Besuch der Tiere bleibt hinter dem
Stacheldraht noch lange Thema. «Wenn wir abends zusammensitzen, reden
wir oft darüber«, erzählt Sascha. «Ich sag den anderen immer, dass
sie keine Angst vor Turbo haben müssen.»
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