Schwule Männer schlucken immer öfter Pillen zum Schutz vor HIV Von Ulrike von Leszczynski, dpa
Völlig gesund - und trotzdem HIV-Medikamente: Die Zahl der schwulen
Männer, die sich so gegen eine Infektion schützen, ist sprunghaft
gestiegen. Denn die Pillen sind erschwinglicher geworden. Wird nun
die Zahl der Neuansteckungen sinken?
Berlin (dpa) - In Deutschland schützen sich nach einer neuen Studie
immer mehr gesunde Menschen mit Medikamenten vor einer HIV-Infektion.
Aktuell griffen in Deutschland rund 4500 vor allem schwule Männer auf
die HIV-Prophylaxe «PrEP» zurück, sagte Studienleiter Hendrik
Streeck, Direktor des Instituts für HIV-Forschung an der Uniklinik
Essen, am Freitag. Im Oktober 2017 seien es erst rund 1000 gewesen.
«Die PrEP etabliert sich in Deutschland schneller als in vielen
anderen Ländern», berichtet Streeck. Er ist überzeugt, dass die neue
Schutzmethode zahlreiche Menschen vor HIV bewahren kann. Langfristig
könnten die Tabletten dazu beitragen, die Zahl der HIV-Neuinfektionen
bundesweit zu senken. Mit gleichbleibend hohen Ansteckungszahlen hat
Deutschland bisher ein Problem.
Die Abkürzung PrEP steht für «Prä-Expositions-Prophylaxe». Das
bedeutet Vorsorge bei sexuellen Kontakten, die mit Risiken verbunden
sein können. Dabei nehmen Menschen, die nachweislich keine
HIV-Infektion haben, Medikamente gegen das HI-Virus ein. Gedacht ist
die Einnahme als Langzeit-Prophylaxe - eine Pille am Tag.
Auch eine Nutzung für eine begrenzte Zeit wie ein wildes Wochenende
ist theoretisch möglich, wird von Ärzten aber nicht empfohlen. Da die
Tabletten in bestimmten Zeitabständen vor und nach sexuellen
Kontakten genommen werden müssen, können Nutzer Fehler machen - und
sind dann nicht vor HIV geschützt, obwohl sie es glauben.
Deutschland steht beim Thema HIV-Neuansteckungen nicht gut da. Nach
den jüngsten Zahlen für 2016 haben sich rund 3100 Menschen neu mit
dem Immunschwäche-Virus infiziert. Damit blieb die Zahl seit 2006
unverändert, während die Quote in anderen Ländern spürbar sank. In
Frankreich oder Australien sei der Rückgang zeitlich mit der
Zulassung von PrEP zusammengefallen, beobachten HIV-Forscher.
Die Deutsche Aids-Hilfe in Berlin sieht die Prophylaxe als
zuverlässigen Schutz vor HIV. «Für uns ist PrEP neben Kondomen und
einer gut behandelten HIV-Therapie eine gleichwertige Schutzmethode»,
sagt Sprecher Holger Wicht.
Die Kosten für die Medikamente sind seit der deutschen Zulassung 2016
von 820 Euro auf 50 bis 70 Euro im Monat gesunken. Kassen übernehmen
die Kosten nicht. Dazu kommen Arzt- und Laborkosten, die von
PrEP-Nutzern aus eigener Tasche bezahlt werden müssen. Das kann sich
zusätzlich auf mehrere hundert Euro pro Quartal summieren. Auch
deshalb seien PrEP-Nutzer in Deutschland bislang vor allem schwule
Männer um die 40 Jahre mit Abitur und einem überdurchschnittlichem
Einkommen, sagt Streeck. Die Daten seiner Studie basieren auf Angaben
von Pharmaherstellern und Apotheken.
Die Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der
Versorgung HIV-Infizierter will erreichen, dass die Kassen in Zukunft
die Arztkosten übernehmen. «Es geht nicht nur um eine Pille», sagt
Vorstand Knud Schewe. «Ohne begleitende Präventionsberatung beim Arzt
mit Gesundheitschecks läuft die PrEP ins Leere.» Auch rein finanziell
könnte die PrEP für das Gesundheitssystem von Interesse sein: Eine
Studie der Universität Rotterdam hat 2017 ergeben, dass
HIV-Prophylaxe in Deutschland bis zu 9000 HIV-Infektionen verhindern
könnte. Zum Vergleich: Eine Therapie für HIV-positive Menschen kostet
für einen Kassenpatienten bis zu 18 000 Euro im Jahr.
Nach einer australischen Studie, die in dieser Woche im Fachmagazin
«The Lancet HIV Journal» erschien, verzichten mit der HIV-Prophylaxe
in den Städten Sydney und Melbourne mehr Schwule auf Kondome. Auf
lange Sicht sieht Studienautor Martin Holt von der Universität New
South Wales dadurch eine mögliche Gefahr: Die Ansteckungen könnten
wieder zunehmen, wenn Menschen mit häufig wechselnden Sex-Partnern
mehr riskanten Sex ohne Kondom haben.
Für Deutschland teilt die Deutsche Aids-Hilfe Holts Bedenken nicht.
Die PrEP werde bisher überwiegend von einer relativ kleinen Gruppe
schwuler und bisexueller Männer genutzt, die auch früher schon auf
Kondome verzichtet hätten, sagt Sprecher Wicht. Von daher sei der
Schutz vor Ansteckung in dieser Gruppe dank PrEP größer als vorher.
Ohne Kondome, fürchten die australischen Forscher, könnten trotz PrEP
andere Geschlechtskrankheiten wieder häufiger übertragen werden. Für
die britische PrEP-Forscherin Sheena McCormack ist das allein kein
Argument. «Die PrEP schützt sehr wirksam vor HIV - und das ist die
einzige Geschlechtskrankheit ist, die man lebenslang behandeln muss»,
sagte sie der Deutschen Aids-Hilfe. «Wir müssen deshalb die
Gelegenheit nutzen, die PrEP uns bietet.»
HIV-Forscher sehen durch die Verschreibungspflicht bei PrEP durch
einen Arzt die sexuelle Gesundheit verbessert: Alle drei Monate sind
HIV-Tests und Kontrollen unter anderem von Nierenwerten vorgesehen.
Denn falls die Medikamente trotz einer HIV-Infektion genommen werden,
können sie Resistenzen gegen Therapien auslösen.
Regelmäßige HIV-Tests sind in Deutschland ein weiterer wunder Punkt -
es gibt sie bei besonders stark gefährdeten Gruppen noch zu selten.
Dazu zählen neben schwulen Männern auch Drogenkonsumenten, die ihr
Spritzbesteck mit anderen teilen, und generell Menschen mit häufig
wechselnden Sex-Partnern - auch Frauen.
Noch erhielten 2016 in Deutschland 1100 Menschen ihre HIV-Diagnose
erst, nachdem sie bereits schwer erkrankt waren. Und geschätzte 12
700 Menschen mit HIV wissen nach Hochrechnungen nichts von ihrer
Infektion - oder wollen es nicht wissen.
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