Staatsanwälte decken kriminelles Netzwerk am Klinikum Stuttgart auf

Krumme Geschäfte mit Auslandspatienten am Klinikum haben die Stadt
Stuttgart womöglich Millionen gekostet. Die Staatsanwaltschaft hat
jetzt bei einer Razzia Material sichergestellt. Verdächtige gibt es
in ganz Deutschland.

Stuttgart (dpa/lsw) - Sie sollen bei der Abrechnung von Behandlungen
ausländischer Patienten am Klinikum Stuttgart betrogen, bestochen
oder das zumindest geduldet haben: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart
ermittelt deswegen gegen 20 Männer und Frauen aus ganz Deutschland.
Sie waren oder sind Mitarbeiter des Klinikums oder Vermittler von
Gesundheitsdienstleistungen. Nach weiteren Angaben der Anklagebehörde
vom Mittwoch wurden 24 Wohnungen und Geschäftsräume in mehreren
Bundesländern durchsucht.

15 Staatsanwälte, über 70 Steuerfahnder und rund 90 Polizisten waren
am Dienstag im Südwesten, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und im
Saarland im Einsatz. Sie beschlagnahmten Computer, Handys und
Unterlagen bei 18 Beschuldigten. Bei zwei Verdächtigen aus der Gruppe
der Vermittler waren Durchsuchungen bereits zuvor vorgenommen worden.

Geschädigte sind laut Staatsanwaltschaft das Klinikum Stuttgart und
die Rechnungsempfänger für ausländische Patienten, die vor allem aus

Libyen, Kuwait, Saudi-Arabien, Oman und den Vereinigten Arabischen
Emiraten kamen. Die größte Gruppe stammte aus Libyen. Im Juni 2013
hatte die Auslandsabteilung einen Vertrag mit der libyschen
Übergangsregierung zur Behandlung von Kriegsversehrten unter anderem
im Klinikum Stuttgart geschlossen. Das Klinikum versorgte rund 370
Patienten. Damals hatte beispielsweise eine Kölner Firma für die
Hilfe bei Visaangelegenheiten 119 000 Euro erhalten. Darüber gab es
nach weiteren Angaben des Rechnungsprüfungsamtes der Stadt weder
einen Vertrag oder die Niederschrift einer mündlichen Vereinbarung.
Eine vage formulierte Rechnung der Firma sei von der Abteilung mit
ehemals 13 Mitarbeitern nicht beanstandet worden.

Im Jahr 2016 wurde die Auslandsabteilung als eigenständige Abteilung
aufgelöst und in die regulären Strukturen des Klinikums mit seinen
jährlich rund 90 000 Patienten und 7000 Beschäftigten überführt. Di
e
Staatsanwaltschaft ermittelt seit 2016.

Zur Höhe des Schadens äußerte sich die Behörde nicht. Der
SPD-Fraktionschef im Stuttgarter Gemeinderat, Martin Körner,
bezifferte ihn auf einen zweistelligen Millionenbetrag. Die Vorgänge
schadeten überdies dem Image des Klinikums und der Landeshauptstadt.
Die Stuttgarter Grünen müssen sich aus Sicht Körners zu ihrer
politischen Verantwortung für die «skandalösen» Vorgänge bekennen
und
zur Aufklärung beitragen.

«Immerhin war der Leiter der Internationalen Abteilung, Andreas
Braun, der langjährige Landesvorsitzende der Grünen», sagte der
SPD-Mann. Der bis 2016 als Krankenhausbürgermeister amtierende und
derzeitige Sozialbürgermeister Werner Wölfle (Grüne) hätte aus dem

Skandal schon längst Konsequenzen ziehen und zurücktreten müssen.
Braun war nach Ermittlungen der Steuerfahndung Mitte 2016 von seinen
Aufgaben entbunden worden. Damals meldete das Klinikum der
Versicherung einen Schaden von 9,4 Millionen Euro aus dem
Libyen-Geschäft.

Ein Sprecher der Stadt Stuttgart sagte, die Kommune habe nach
Bekanntwerden der Vorwürfe 2015 sofort gehandelt, um Licht in die
Vorgänge in der Auslandsabteilung zu bringen und die notwendigen
Konsequenzen zu ziehen. «So haben wir unter anderem umgehend die
Staatsanwaltschaft eingeschaltet.» Weder Stadtverwaltung noch
Klinikum seien von den aktuellen Durchsuchungen betroffen gewesen.

Die Rechnungsprüfer bescheinigten der Auslandsabteilung Mängel im
Vertragsmanagement, im Geschäftsmodell und beim internen
Kontrollsystem. Insbesondere monierten sie die alleinige
Zuständigkeit des damaligen Leiters. Er habe die Kontakte zu den
Botschaften und diversen Vermittlungs- und Betreuungsdienstleistern
gehabt. «Das schafft einseitige und mit hohen Risiken verbundene
Abhängigkeiten und Intransparenz wegen mangelhafter Dokumentation der
Vorgänge», kritisierte die Behörde.

Die Staatsanwaltschaft weist zwei Beschuldigtengruppen nach der
aktuellen Razzia aus: Neun stehen im Verdacht, als Vermittler für
Gesundheitsleistungen nicht erbrachte Behandlungen abgerechnet und
sich unzulässige Provision verschafft zu haben. Sie könnten sich der
Untreue und des Betrugs schuldig gemacht haben. Dafür zahlten demnach
fünf von ihnen Bestechungsgelder an einen Mitarbeiter des Klinikums.
Dieser soll auch private zinslose Darlehen erhalten haben.

Eine weitere Beschuldigtengruppe aus der Klinikverwaltung soll
falsche Rechnungen genehmigt haben, «ohne dass hierzu eine
vertragliche Verpflichtung des Klinikums Stuttgart bestand oder
nachprüfbare Leistungsnachweise der Rechnungssteller vorlagen». Warum
diese Mitarbeiter dies taten und eventuell für welche Gegenleistung,
ist Gegenstand der Ermittlungen. Nach Worten eines Sprechers des
Landeskriminalamtes sind keine Haftbefehle erlassen worden.

Nach Darstellung der Deutschen Stiftung Patientenschutz ist der
Markt um wohlhabende ausländische Patienten umkämpft: «Das ist ein
Einfallstor für organisierte Kriminalität.»

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