Patient allein zu Haus: Was der drohende Landärztemangel bedeutet Von Jonas-Erik Schmidt, dpa

Der Weltgesundheitstag 2018 steht unter dem Motto «Flächendeckende
Gesundheitsversorgung». In Deutschland wächst vor allem auf dem Land
die Sorge, dass ein Mangel an Ärzten irgendwann zu einem ernsten
Problem werden könnte. Es sind kreative Ideen gefragt.

Neuenrade (dpa) - Wenn man Michael Beringhoff fragt, was einen
Landarzt zum Landarzt macht, hat er eine einfache Antwort: «Du musst
zwei Bauern kennen und einen Trecker haben.» Beides treffe ganz klar
auf ihn zu, versichert Beringhoff. Er geht daher offensiv mit dem
Thema um. An seiner Praxis im Ort Neuenrade im Sauerland hat er das
Schild «Landarztpraxis» angebracht. Die passende Definition mit dem
Trecker - halb ernst gemeint - ist ihm vor mehr als zehn Jahren
eingefallen. Damals sei das ja noch nicht so ein riesiges Thema
gewesen, das Landarzt-Dasein, sagt er. Da musste man es noch
erklären. Anders als heute. Heute ist es das große Thema. Vor allem
in Orten wie Neuenrade, umgeben von Wäldern und Wiesen.

Landärztemangel ist in den vergangenen Jahren zu einem geflügelten
Wort geworden, wenn es um das deutsche Gesundheitssystem geht. In
einigen ländlichen Gegenden liegen schon beachtliche Wege zwischen
Patient und Arzt. Andere Orte fürchten sich vor der drohenden
Entwicklung, weil ihre Ärzte immer älter werden, sie aber keinen
Nachfolger finden, der in dünner besiedelte Landstriche ziehen will.

Ein Anlass, die Entwicklung zu beleuchten, ist der von der
Weltgesundheitsorganisation WHO ausgerufene Weltgesundheitstag am
7. April. Er steht 2018 unter dem Motto «Flächendeckende
Gesundheitsversorgung». Gemeint ist das Ziel, dass jeder Mensch
Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch nehmen können sollte -
unabhängig von Ort und Zeit. Und ohne in finanzielle Nöte zu geraten.

Im globalen WHO-Zusammenhängen betrachtet muss man sich um
Deutschland in dem Punkt keine großen Sorgen machen. Zum Vergleich:
Weltweit hatten laut WHO 2017 mindestens 400 Millionen Menschen
keinen Zugang zu einem Arzt. Die deutschen Probleme spielen sich
verglichen damit einige Stufen weiter oben ab. Dennoch treibt die
Frage nach drohenden Lücken im System mittlerweile auch hierzulande
viele Leute um: Patienten, Wissenschaftler, Ärzte, Politiker.

Zurück nach Neuenrade im Sauerland. Etwa 12 000 Einwohner, kurze
Wege. Die Handynummer von Bürgermeister Antonius Wiesemann steht im
Internet. Die Kleinstadt hat sich jüngst für eine recht radikale
Variante entschieden, um Ärzte anzulocken: Geld. Wer Neuenrade
erfolgreich einen neuen Arzt vermittelt, bekommt 10 000 Euro.

Bürgermeister Wiesemann sieht es als Investition in die Zukunft. Noch
gebe es im Ort sechs Allgemeinmediziner. «Aber unser Problem ist,
dass wir einen sehr hohen Altersdurchschnitt haben», sagt er. Der
älteste Arzt sei 77 Jahre alt. Neuenrade hat Flyer gedruckt, hat sich
auf Messen gezeigt, um Mediziner zu locken. Die Resonanz: keine. «Es
ist ein Problem der Köpfe», sagt der Bürgermeister. Jahrelang seien
ländliche Gegenden negativ dargestellt worden. Die Kassenärztlichen
Vereinigungen hätten da schon vor Jahren stärker eingreifen müssen.

Kreative Ideen wie die Neuenrader Prämie hat es - neben politischen
Ideen - in den vergangenen Jahren viele gegeben. Etwa Patientenbusse,
die auf dem Land Menschen einsammeln und in die Stadt fahren. Oder
rollende Praxen. Zudem wird mit Telemedizin experimentiert, zum
Beispiel mit der Video-Sprechstunde.

Das Paradoxe: Es gibt heute eigentlich mehr berufstätige Ärzte als
noch vor einigen Jahren. «Zugleich haben wir aber auch
gesellschaftlicher Veränderungen», erklärt Roland Stahl, Sprecher der

Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Die Menschen zieht es in die
Städte. Und auf den Dörfern seien auch andere Strukturen verloren
gegangen. «Der Supermarkt macht zu und die Post zieht weg. Dort kann
man ehrlicherweise nicht erwarten, dass ein Arzt trotz allem bleibt.»

Natürlich müsse man die Versorgung sicherstellen. Aber dazu gehöre,
sich Konzepte zu überlegen, all das aufzufangen. «Wir müssen uns von

dem Bild des Landarztes aus dem Fernsehen, der im Sonnenschein mit
dem Jeep herumfährt und sieben Tage die Woche und 24 Stunden am Tag
Probleme löst, verabschieden.»

Der Gesundheitsforscher Gerd Glaeske sieht die Kassenärztlichen
Vereinigungen dennoch in der Pflicht. «Sie müssten das lösen - mit
finanziellen Anreizen», sagt er. «Es geht nicht nur um die
Umverteilung der Köpfe, auch um die Umverteilung der Honorare.»

Um die Notfall- und Akutversorgung müsse sich niemand in Deutschland
sorgen, sagt der Forscher. Die sei beispielhaft gut. Aber die
Gesellschaft werde älter und damit gebe es absehbar mehr chronisch
Kranke, die betreut werden müssten. «Deshalb ist es wichtig, dass die
betreuenden Ärztegruppen, die dauerhaft Patienten begleiten, von
ihrer Erreichbarkeit her vernünftig positioniert sind.»

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