Merkel versucht den Befreiungsschlag Von Jörg Blank, dpa

Jünger und weiblicher will die CDU-Chefin ihr Kabinett und ihre
Partei machen. Intern steht sie unter Druck. Kann die Kanzlerin ihre
Kritiker mit ihrer Kabinettsliste besänftigen?

Berlin (dpa) - Angela Merkel versucht den Befreiungsschlag. Mit Jens
Spahn bindet die CDU-Chefin einen ihrer größten internen Kritiker ins
Kabinett ein. Mit Annegret Kramp-Karrenbauer wird eine erfolgreiche
und in der Partei beliebte Ministerpräsidentin Generalsekretärin. Und
als künftige Bildungsministerin präsentiert die Kanzlerin am Sonntag
die 46 Jahre alte Anja Karliczek. Vor allem jünger und weiblicher
sollten Regierungsmannschaft und Partei werden, hatten die Kritiker
von der Kanzlerin nach dem Desaster bei der Bundestagswahl verlangt.
Merkel hat geliefert.

Als die CDU-Chefin dann am Abend vor dem Hintergrund der Personalie
Spahn darauf angesprochen wird, dass sie einen großen Schritt auf die
Partei zugegangen sei und sich für konservativere Positionen öffne,
antwortet sie trocken. Sie würde sich «den Terminus» nicht zu eigen
machen, dass sie einen Schritt auf die Partei zugegangen sei.

Und auch auf die Frage, ob sie als Plan B bereit sei, eine
Minderheitsregierung anzuführen, falls der SPD-Mitgliederentscheid
über den Koalitionsvertrag scheitere, gibt sich Merkel schmallippig:
«Nein, bin ich nicht.» Sie setze darauf, dass die intensive Werbung
der SPD-Spitze für eine große Koalition erfolgreich sein werde.
Punkt.

Ob Merkels Befreiungsschlag gelingt, dürfte sich schon an diesem
Montag zeigen. 1001 Delegierte sollen dann den Koalitionsvertrag mit
der SPD absegnen. Gradmesser für Merkel werden zwei Prozentzahlen
sein. Bei der Wahl von Kramp-Karrenbauer wird in der CDU-Spitze mit
einem Ergebnis von gut über 90 Prozent gerechnet - die 55 Jahre alte
Saarländerin sollte von den Delegierten mit einem Vertrauensbeweis
ausgestattet werden. Anders könnte es aussehen, wenn die Delegierten
dem Koalitionsvertrag zustimmen sollen.

Die Parteitagsregie hat deshalb zwischen beide Abstimmungen eine Art
Brandmauer gelegt: Über das Papier zur Zusammenarbeit mit der
SPD soll direkt nach der Aussprache über Merkels Rede abgestimmt
werden. Erst im Anschluss wird die neue Generalsekretärin gewählt. Im
Klartext: Fällt die Zustimmung zum Koalitionsvertrag relativ gering
aus - Insider tippen auf 80 bis 90 Prozent - könnte das Ergebnis für
Kramp-Karrenbauer umso besser werden.

Dass Merkel nun ihren größten Kritiker Spahn ins Kabinett einbinden
will, hat sich seit Tagen abgezeichnet. Dass der 37-Jährige, der als
Zukunftshoffnung der Konservativen gilt, Gesundheitsminister wird,
ist inhaltlich konsequent. Bevor Spahn Parlamentarischer
Staatssekretär im Finanzministerium wurde, war er von 2009 bis 2015
gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Ob sich
allerdings Anhänger und Verbündete Spahns wie der
Mittelstandspolitiker Carsten Linnemann oder JU-Chef Paul Ziemiak
durch Merkels Entscheidung zufriedenstellen lassen, ist offen.

Bei ihrer Entscheidung für die weitgehend unbekannte gelernte
Hotelfachfrau und Bundestagsabgeordnete Karliczek als Bildungs- und
Forschungsministerin orientierte sich Merkel wohl vorrangig daran,
eine junge Frau zur Ressortchefin zu machen. Dabei war vor der
Verkündung noch zu hören, es stehe ein großer Wurf an, der die
Entscheidung der Kanzlerin für Spahn aus den Montags-Schlagzeilen
verdrängen werde. Das ist dann doch nicht so gekommen.

Als Merkel am Abend gefragt wird, ob es ein Manko sei, dass sie keine
ausgewiesene Wissenschaftsexpertin für das Bildungsressort habe
präsentieren können, antwortet sie recht entspannt: Als sie als junge
Frau Umweltministerin im damaligen Kabinett Kohl wurde, habe es auch
große Zweifel gegeben. Es gehe aber darum, dass ein Minister
charakterlich geeignet sei und die Fähigkeit habe, Neues aufzunehmen.
So wie ein Verteidigungsminister nicht erst alle soldatischen
Laufbahnen durchlaufen müsse, müsse eben auch «eine
Wissenschaftsministerin ein offenes Herz für die Wissenschaft haben,
aber sie muss nicht selber Wissenschaftlerin gewesen sein».

Die Entscheidung für Karliczek ist vor allem für den bisherigen
Gesundheitsminister Hermann Gröhe bitter. Wohl auch wegen des
Regionalproporzes - beide kommen aus Nordrhein-Westfalen - musste der
Neusser an seinem 57. Geburtstag zur Kenntnis nehmen, dass er im
nächsten Kabinett Merkel nicht mehr vertreten sein wird. Dabei galt
der Ex-CDU-Generalsekretär lange als Vertrauter der Kanzlerin - von
einer schmerzlichen Entscheidung spricht die CDU-Chefin.

Zeichnet sich mit Merkels Entscheidungen für Kramp-Karrenbauer und
Spahn nun ein jahrelanger Machtkampf um ihre Nachfolge ab? Sie gilt
als Kronprinzessin, er für etliche als Reservekanzler. Hört man sich
in der CDU um, gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Manche
glauben, dass es sich der als ungeduldig geltende Spahn kaum
verkneifen werde, immer wieder mal ein profilbildendes Gerangel mit
der neuen Parteimanagerin zu suchen. Andere halten ihn für klug
genug, sich mit Querschüssen zurückzuhalten - schließlich unterliege

er nun der Kabinettsdisziplin.

Die Kanzlerin selbst gibt sich mit Blick auf Spahn gelassen. Beim
Gespräch um dessen Ministerposten habe man außer über die fachliche
Dimension natürlich auch über die Erwartung gesprochen, «was bedeutet

Zusammenarbeit in einem Kabinett», berichtet sie. «Aber das ist mit
jedem so, da brauchte ich keine besondere Gesprächsführung zu
betreiben.» Es sei ja okay, dass es mal kritische Anmerkungen gebe.
Trotzdem gebe es auch den Auftrag, für Deutschland etwas Gutes zu
bewegen, sagt Merkel. «Und das, glaube ich, will er. Genauso wie alle
anderen Kabinettsmitglieder auch.»

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