Suche nach Kompromissen: Union und SPD vor Koalitionsentscheidung
Bis Mittwoch wollen CDU, CSU und SPD ihren neuen Koalitionsvertrag
vorlegen. Auch wenn das klappt, geht die Zitterpartie weiter. Über
den Vertrag entscheiden nämlich noch rund 464 000 SPD-Mitglieder.
Berlin (dpa) - Über einen neuen Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU
und SPD können 463 723 Sozialdemokraten entscheiden. Die SPD hat seit
Jahresbeginn und vor der mit Spannung erwarteten Abstimmung ihrer
Basis 24 339 Neumitglieder gewonnen, wie SPD-Generalsekretär Lars
Klingbeil am Dienstagabend bei Twitter mitteilte. Die Unterhändler
von Union und SPD rangen am späten Dienstagabend weiter um einen
Kompromiss bei den letzten strittigen Punkten des Vertrages für eine
Neuauflage ihres Bündnisses.
Nach Informationen aus Teilnehmerkreisen gab es beim strittigen Thema
Gesundheitspolitik weitere Annäherungen. Die SPD will weg von der
«Zwei-Klassen-Medizin» von privat und gesetzlich Versicherten und hat
dafür unter anderem eine Annäherung der Ärztehonorare für beide
Versicherungsgruppen oder eine Öffnung der gesetzlichen
Krankenversicherung für Beamte im Auge. Zudem war die
Arbeitsmarktpolitik strittig. Dabei ging es vor allem um eine
deutliche Einschränkung befristeter Arbeitsverhältnisse.
Trotzdem betonten alle Seiten ihren festen Willen, die Gespräche in
der Nacht zu Mittwoch oder spätestens am Mittwochmorgen
abzuschließen. SPD-Chef Martin Schulz sprach vom «Tag der
Entscheidung». CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt betonte:
«Eingraben geht jetzt nicht mehr. Die Stunde der Wahrheit naht.»
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte Kompromissbereitschaft von allen
Seiten an: «Jeder von uns wird schmerzhafte Kompromisse noch machen
müssen.» Es gehe darum, mit einer verlässlichen Regierung die
Voraussetzungen dafür zu schaffen, «dass wir morgen auch noch in
Wohlstand und in Sicherheit im umfassenden Sinne leben können».
Dieses Ziel dürfe man gerade in unsicheren Zeiten nicht aus den Augen
verlieren.
Die Führung der Sozialdemokraten will mit Erfolgen in der
Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik bei ihren Mitgliedern für ein Ja
zum Koalitionsvertrag werben. In der SPD hatten Gegner einer
Neuauflage von Schwarz-Rot mit dem Slogan «Tritt ein, sag nein» um
neue Mitglieder geworben. Das Ergebnis des Mitgliedervotums soll in
drei bis vier Wochen vorliegen - vorausgesetzt, Union und SPD einigen
sich wie geplant auf einen Koalitionsvertrag. Denkbar wäre, dass am
Wochenende 3./4. März ausgezählt und ein Ergebnis bekannt gegeben
wird.
Juso-Chef Kevin Kühnert begrüßte den Andrang auf die SPD: «In all
er
Bescheidenheit: Die Jusos nehmen gerne einen SPD-Toaster für
besondere Verdienste um die Mitgliederentwicklung unserer Partei
entgegen», schrieb er auf Twitter. Vor allem die Jungsozialisten
werben für ein Nein der Basis.
Insbesondere seit dem SPD-Sonderparteitag in Bonn am 21. Januar, auf
dem die Delegierten knapp für den Eintritt in Koalitionsverhandlungen
stimmten, berichteten die SPD-Landesverbände von Tausenden neuen
Mitgliedsanträgen. Teilweise mussten Helfer Sonderschichten einlegen,
um sie zu bearbeiten. Das Bundesverfassungsgericht prüft derzeit noch
die Zulässigkeit des SPD-Mitgliederentscheids.
Als die SPD 2013 schon einmal ihre Basis über den Koalitionsvertrag
mit der Union entscheiden ließ, waren 474 820 Menschen
stimmberechtigt. 78 Prozent Prozent beteiligten sich am
Mitgliedervotum, 76 Prozent davon stimmten für eine große Koalition.
Den Unterhändlern von Union und SPD lag am Nachmittag noch eine Liste
mit gut einem Dutzend Dissenspunkten vor. In der Außenpolitik ging es
um Rüstungsexporte sowie die Ausgaben für die Bundeswehr und die
Entwicklungshilfe. Die Union will sich bei den Verteidigungsausgaben
dem Nato-Ziel von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nähern (derzeit
1,2 Prozent). Für die SPD hat dagegen Priorität, 0,7 Prozent in die
Entwicklungshilfe zu stecken (2016: 0,52 Prozent).
Nach einem der dpa vorliegenden Entwurf für den Koalitionsvertrag
waren auch noch andere Punkte in der Endphase der Verhandlungen
strittig. Dabei ging es unter anderem darum, ob Unternehmen Abstriche
bei den Arbeitszeitregeln erlaubt werden sollen, wenn sie
tarifvertraglichen Bestimmungen unterliegen. Umstritten waren die
Zukunft des Arznei-Versandhandels, Schutzregeln für Beschäftigte im
Nahverkehr bei einem Betreiberwechsel oder die Verankerung eines
Staatsziels Kultur im Grundgesetz.
Die GroKo-Parteien stuften einen reduzierten Steuersatz für
elektrisch betriebene Dienstwagen vom festen Vorhaben zum Prüfauftrag
herunter. «Bei der pauschalen Dienstwagenbesteuerung wollen wir für
Elektrofahrzeuge einen reduzierten Satz von 0,5 Prozent des
inländischen Listenpreises prüfen», heißt es in dem Entwurf, der de
n
Stand am Montag abbildete. In einer früheren Version hatte es noch
geheißen, dass der Steuervorteil kommen solle.
Die Verhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD sollten eigentlich schon
am Sonntag abgeschlossen werden, mussten dann aber zwei Mal
verlängert werden. Schulz verteidigte dieses Vorgehen. «Wir sehen
heute, dass wir gut beraten waren, uns Reservetage einzuräumen»,
sagte er. Auch für die Unionsparteien, die aufs Tempo gedrückt
hatten, sei das ersichtlich geworden, «weil man eine seriöse
Grundlage bilden will für die zukünftige Regierung».
Union und SPD wollten in der Schlussphase auch die Ressortverteilung
in einer neuen Bundesregierung erörtern. Eine Entscheidung über
Personalien ist nach SPD-Angaben aber noch nicht zu erwarten.
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