Einheitsgebühren: Schreckgespenst für private und gesetzliche Kassen Von Ruppert Mayr und Basil Wegener, dpa

Nach den Flüchtlingen kommt die nächste große Herausforderung für
Union und SPD: Die Gesundheit. Die SPD setzt dabei auf eine
Angleichung der Arzthonorare. Aber wird so das System gerechter?

Berlin (dpa) - Wenn das mal so einfach wäre: Die SPD sieht in einer
einheitlichen Gebührenordnung ein geeignetes Instrument, um die
«Zwei-Klassen-Medizin», die «Zwei-Klassen-Wartezeiten» oder den
Ärztemangel auf dem Land zu beseitigen. Selten sind sich jedoch
private und gesetzliche Krankenversicherung (PKV und GKV) so einig
wie bei der Angleichung von Arzthonoraren. Die GKV mag sie nicht,
weil sie wohl zu Lasten ihrer Beitragszahler geht. Und die PKV mag
sie nicht, weil sie die verhasste, einheitliche gesetzliche
Bürgerversicherung durch die Hintertür wittert.

Wie ist die Ausgangslage?

70,4 Prozent der Einnahmen der Arztpraxen entfallen auf Kassen-, 26,3
Prozent auf Privatabrechnungen. Zuletzt waren 86,2 Prozent der
Bevölkerung gesetzlich, 10,6 Prozent privat versichert. «Ein Arzt
löst mit vergleichbarer Leistung bei einem Privatversicherten das
zweieinhalb- bis dreifache des Honorars im Vergleich zu einem
gesetzlich Versicherten aus», sagt der Essener Gesundheitsökonom
Jürgen Wasem. Zwar bekommen Privatpatienten leichter Arzttermine. Ob
die Behandlung besser ist, ist aber umstritten.

Was will die SPD beim Arzthonorar genau?

Sie ist wohl von der kompletten Angleichung von privater und
gesetzlicher Krankenversicherung in einer gesetzlichen
Bürgerversicherung abgerückt. Nun setzt sie auf ein neues,
einheitliches Honorarsystem. Das heißt, das gleiche Honorar für den
Arzt bei jedem Patienten, egal ob gesetzlich oder privat versichert.
Für die Ärzte soll es dabei keine Einkommensverluste geben. Damit
würde die Bevorzugung von Privatpatienten in den Praxen aufhören.

Was sagt die gesetzliche Krankenversicherung dazu?

Der Vize-Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Johann-Magnus
von Stackelberg, sagt der dpa: «Die Einführung einer einheitlichen
Honorarordnung würde 90 Prozent der Menschen in diesem Land derzeit
keinerlei Vorteile bringen, aber die Privatversicherten entlasten.»
Und eine bloße Angleichung der Honorare ohne Anpassung der ärztlichen
Leistungen würde vor allem bedeuten, dass die GKV für die gleichen
Leistungen mindestens sechs Milliarden Euro mehr bezahlen müsste.

Was sagt die private Krankenversicherung?

Sie hat zusammen mit der Bundesärztekammer (BÄK) ein Gutachten bei
renommierten Gesundheitsökonomen in Auftrag gegeben. Die haben
erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Denn mit einer solchen
einheitlichen Gebührenordnung würde in die Vertragsfreiheit der
Versicherten eingegriffen ebenso wie in die Berufsfreiheit der Ärzte
sowie der Krankenversicherer, «ohne dass ausreichende
Rechtfertigungsgründe ersichtlich wären, die den Maßstäben des
Bundesverfassungsgerichts genügen würden», heißt es in dem Gutachte
n.

Wie sieht es mit den Beiträgen der gesetzlich Versicherten aus?

Beide, die PKV wie die GKV, gehen von massiven Beitragssteigerungen
für die gesetzlich Versicherten aus, sollte es zu einer
Honorarangleichung kommen, bei der die Ärzte keine Einkommensverluste
haben sollen. Die Gesundheitsökonomen gehen von einer Steigerung der
Beiträge von etwa 0,46 Prozentpunkte auf rund 16 Prozent vom Brutto
aus. Andere Experten rechnen sogar mit einem Anstieg um 0,6 Punkte
auf 16,2 Prozent. Diese Mehrbelastung müssten nach dem jetzigen
Beitragssystem in erster Linie die Arbeitnehmer schultern. Und das
könnte wiederum die Sozialversicherungsbeiträge über die magische
Marke von 40 Prozent treiben.

Würde sich bei den Wartezeiten etwas ändern?

Die GKV geht grundsätzlich nicht davon aus, dass gesetzlich
Versicherte bei gleichen Honoraren tatsächlich schneller an einen
Termin beim Arzt kommen würden. Die von PKV und BÄK beauftragten
Gesundheitsökonomen argumentieren, schon rein rechnerisch sei
fragwürdig, dass eine einheitliche Gebührenordnung die Wartezeiten
verbessern könnte. Denn rund 10 Prozent Privatversicherte können die
Wartezeiten der 90 Prozent gesetzlich Versicherten substanziell
überhaupt nicht verkürzen. Der eigentliche Grund für die
unterschiedlichen Wartezeiten sei die GKV-Budgetierung der ärztlichen
Vergütung insbesondere am Ende des Quartals. Untersuchungen zeigten
nämlich, dass Ärzte immer am Ende eines Quartals weniger Patienten
für einen Routinetermin annehmen.

Verhindern Einheitshonorare tatsächlich eine Zwei-Klassen-Medizin?

Wenn eine einheitliche Gebührenordnung - argumentieren die
Gesundheitsökonomen - eine Mengensteuerung und eine Deckelung der
Ausgaben nach sich zöge, würde sich schnell ein neuer Markt für
«Premiumpatienten» entwickeln. Denn weder der Gesetzgeber noch jemand
anderes könne der PKV oder Ärzten verbieten, neue Zusatzangebote auf
den Markt zu bringen. Ein Teil dieses Zusatzangebotes könnte unter
anderem auch eine kürzere Wartezeit sein. Diese Entwicklung zeige
sich bereits in der Schweiz und in den Niederlanden, nachdem dort der
Gesetzgeber einen einheitlichen Versicherungsmarkt eingeführt habe.

Wo kommt das duale System in der Krankenversicherung eigentlich her?

Bis Ende des 19. Jahrhunderts regulierten in Deutschland allgemeine
Gewerbeordnungen die Vergütungshöhe zwischen Arzt und Patient, wobei
alle Patienten den Status eines Privatpatienten hatten. Auch die
bereits bestehenden Systeme kollektiver Sicherung im Krankheitsfall
hatten einen privatrechtlichen, oft genossenschaftlichen Charakter.
1884 führte dann Otto von Bismarck eine gesetzliche
Krankenversicherung (GKV) ein. Damit wird erstmals für einen
bestimmten Personenkreis (zunächst gewerbliche Arbeiter) eine
verpflichtende, gesetzliche Krankenversicherung geschaffen. Von nun
an wird zwischen «gesetzlich» und «privat» unterschieden.

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