Attraktivität und Wahlen: Schöne Politiker haben mehr Chancen Von Dorothea Hülsmeier, dpa

Celine Erlenhofer und Jan Nolte waren die attraktivsten
Bundestagskandidaten 2017. Das hat der Düsseldorfer Soziologe Ulrich
Rosar ermittelt. Und er hat festgestellt: Schönheit kann den
Wahlerfolg beeinflussen.

Düsseldorf (dpa) - Wer gut aussieht, bekommt bessere Jobs. Gut
aussehende Verkäufer erzielen höhere Umsätze. Und auch in der Politik

gilt offenbar: Wer attraktiv ist, gewinnt. Zumindest die Wahlkampagne
von FDP-Chef Christian Lindner zielte wohl auf diesen Effekt.

Dass Attraktivität das Wahlergebnis beeinflussen kann, belegt der
Düsseldorfer Soziologe und Attraktivitätsforscher, Professor Ulrich
Rosar, in einer Untersuchung der 1786 weiblichen und männlichen
Direkt- und Spitzenkandidaten bei der Bundestagswahl 2017. Das
Ergebnis: Im Vergleich zu den Wahlen 2002 bis 2013 hatte die
Attraktivität den bislang größten Einfluss. Im Extremfall könne ein

Kandidat mit hoher Attraktivität fünf Prozentpunkte mehr bei den
Erststimmen gewinnen, bei den Zweitstimmen bis zu drei Prozentpunkte,
sagt Rosar. Auch die Wahlbeteiligung in einem Wahlkreis erhöhe sich,
je attraktiver die Kandidaten im Durchschnitt sind.

Am Anfang der Studie stand eine Art Schönheitswettbewerb: Zwölf
Frauen und zwölf Männer begutachteten als Testpersonen komplett
anonymisierte Fotos aller Kandidaten. Von zehn prominenten
Spitzenkandidaten landete Sahra Wagenknecht (Linke) als attraktivste
Politikerin auf Platz eins. Sie kam auf der von 0 (sehr unattraktiv)
bis 6 (sehr attraktiv) reichenden Skala auf einen Wert von etwa 4.
Zweiter wurde Lindner mit 3,4 und Dritte Alice Weidel (AfD) mit 3,25
- beide also eher mittelschön.

Schlusslicht ist Alexander Gauland (AfD) mit nur 0,54 Punkten.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kommt auf Rang neun mit einem Wert von
etwa 1 und SPD-Chef Martin Schulz auf Platz acht mit 1,67 - also
eher unattraktiv.

Wagenknecht und Lindner sind aber nicht die attraktivsten Politiker
bundesweit. Der schönste Mann unter den Kandidaten war laut der
Studie Jan Ralf Nolte (AfD) aus dem hessischen Waldeck. Die schönste
Kandidatin war Celine Erlenhofer, die für die Linke im Wahlkreis
Dortmund II antrat. Das bedeutet natürlich nicht, dass nur die
Schönsten Wahlen gewinnen. Erlenhofer zum Beispiel holte nur 8,6
Prozent der Erststimmen, während die SPD-Kandidatin Sabine Poschmann
den Wahlkreis mit fast 40 Prozent gewann. Und auch Nolte verlor gegen
die SPD-Kandidatin in Waldeck.

Attraktivität ist laut Rosars Studie nur die zweitwichtigste
Personeneigenschaft bei der Wahlentscheidung - nach dem
Bekanntheitsgrad. Am allerwichtigsten sei für die Wähler zudem immer
noch die Parteizugehörigkeit. Hier setzt auch die Kritik des
Politologen Oskar Niedermayer an der Studie an.

Bei Wahlentscheidungen spiele die Attraktivität nur eine begrenzte
Rolle, sagt Niedermayer. Nach Sachkompetenz, Glaubwürdigkeit und
Führungsqualität eines Kandidaten stehe die persönliche Sympathie
laut Wahlforschung nur an vierter Stelle. Außerdem vergäben die
meisten Wähler Erst- und Zweitstimme an dieselbe Partei. Würden die
Stimmen gesplittet, dann nicht, weil ein Kandidat so schön sei,
sondern weil der Wähler taktisch wähle und seine Stimme nicht an
einen aussichtslosen Kandidaten verschenken wolle.

Dass nur 24 Tester die Kandidaten-Fotos begutachteten ist für die
Wissenschaft indes kein Problem, denn es gibt den
«Attraktivitätskonsens». «Wir wären uns alle einig, dass George
Clooney deutlich besser aussieht als Woody Allen», sagt Rosar. So
hätten Psychologen herausgefunden, dass etwa ein konturiertes Kinn
und wohldefinierte Lippen bei Männern sowie hohe Wangenknochen bei
Frauen als attraktiv gelten. Außerdem gilt: Jugend ist schöner als
Alter, und Männer werden im Vergleich zu Frauen als unattraktiver
beurteilt. Persönliche Präferenzen und Antipathien spielten bei der
Bewertung dagegen so gut wie keine Rolle.

Auch der Attraktivitätsforscher Martin Gründl, Professor für
Wirtschaftspsychologie, sieht die Studie skeptisch. «Auch der
französische Präsident Emmanuel Macron und der österreichische
Kanzler Sebastian Kurz sehen gut aus, keine Frage», sagt Gründl.
«Aber es gibt viele Politiker, die nicht gut aussehen und trotzdem
erfolgreich sind oder waren - von Merkel bis Helmut Kohl.»

Rosar will mit seiner Studie die Wähler dafür sensibilisieren, sich
nicht vom Äußeren der Kandidaten (ver)leiten zu lassen. Das sei
gerade angesichts abnehmender gesellschaftlicher Konflikte und der
wachsenden Wechselbereitschaft der Wähler wichtig. Da es immer
weniger verlässliche Informationen zu komplexen politischen Themen
gebe, ließen sich Wähler verstärkt von «Sympathie» oder
«Attraktivität» der Kandidaten beeinflussen, sagt Rosar. «Wir wolle
n
nicht, dass Politik immer mehr zum Schönheitswettbewerb wird.»