Therapie per Videochat: Online aus der Depression Von Aleksandra Bakmaz, dpa

Der Markt für Online-Therapien boomt seit einigen Jahren. Nun bietet
ein neues Programm die Möglichkeit, sich etwa bei Depressionen von
seinem Therapeuten per Videochat behandeln zu lassen. Helfen solche
Angebote wirklich?

Prien am Chiemsee (dpa) - Das erste Tief hat Martin Schulze-Vorberg
kurz nach der Jahrtausendwende. Damals ist er 43 Jahre alt und
Pressesprecher eines Internetanbieters in München. Er fühlt sich
nicht gut, kann nicht mehr ans Telefon gehen, nicht mehr aufstehen,
hat Angstzustände. «Ich war einfach vollkommen neben mir», sagt er
heute. Nach ein paar zermürbenden Wochen geht er schließlich zum
Therapeuten. Die Diagnose: Depression. Er lässt sich stationär
behandeln, drei Monate später geht es ihm wieder gut - auch dank
Medikamenten, wie er sagt.

Das zweite Tief hat Schulze-Vorberg Mitte vergangenen Jahres. Er
kümmert sich gerade auf einer Karibikinsel um ein Immobilienprojekt.
«Ich habe gemerkt, wie ich trotz der Medikamente wieder in die
Depression reingeschlittert bin», sagt der 60-Jährige, der in
Regensburg zu Hause ist. «Das war eine ganz blöde Situation.» Denn
auf der kleinen Insel habe er keine therapeutische Hilfe finden
können. «Das hat die Situation ziemlich verschlechtert.» Zurück in

Deutschland absolviert er nicht nur eine weitere stationäre Therapie,
sondern lässt sich auch auf ein Experiment ein: «MindDoc».

Der Immobilien-Manager ist einer von rund 300 Probanden des
Online-Therapieangebots der Schön Klinik, einer privaten Klinikgruppe
mit 23 Standorten in Deutschland und Großbritannien. Seit Anfang
Dezember ist die Therapie-Plattform im Internet abrufbar. Mit der
Anwendung können sich Patienten mit Depressionen, Essstörungen oder
Burnout per Videochat und Textnachrichten von zu Hause aus behandeln
lassen, wie «MindDoc»-Chef Bernhard Backes erklärt. Begleitend dazu
bekommen sie verhaltenstherapeutische Übungen gestellt.

Auch Schulze-Vorberg nimmt von seinem Wohnzimmer - «oder von jedem
anderen Ort auf der Welt» - aus an Videositzungen mit seinem
Therapeuten teil. Mit seinem Laptop loggt er sich über eine
verschlüsselte Leitung ein, 50 Minuten dauert das Gespräch. «Es füh
lt
sich wie eine normale Sitzung an», sagt er, «gar nicht unpersönlich.
»
Man müsse einfach bereit sein, mitzuarbeiten.

Das Risiko einer Fehleinschätzung sei bei einer Videotherapie
vergleichbar mit dem bei einer Therapie von Angesicht zu Angesicht,
erklärt Iris Hauth, Mitglied im Präsidium der Deutschen Gesellschaft
für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde
(DGPPN). «Hauptsache, die Grundlage der Psychotherapie ist eine
sorgfältige Diagnostik vor Ort.» Wichtig sei auch, dass es eine
Möglichkeit gebe, auf Krisen zu reagieren - und, «dass durch die
Verschlüsselung der Datenschutz sichergestellt ist».

Im Allgemeinen werde zwischen begleiteten und unbegleiteten Angeboten
im Internet unterschieden - «die Begleitung über Video-Chat ist nur
eine Form», sagt Hauth. Die Wirksamkeit von Online-Therapien sei
mehrfach in Studien nachgewiesen worden. «Die Wirksamkeitsnachweise
liegen sowohl für unbegleitete als auch für von Therapeuten
begleitete Anwendungen vor.» Vor allem Programme für Depressionen und
Angsterkrankungen seien bislang untersucht worden. Manche
Krankenkassen übernehmen auch die Kosten dafür.

Der größte Vorteil solch einer Behandlung sei die Zugänglichkeit.
«Wenn der nächste Therapeut zu weit entfernt ist, dann ist das
einfach für die meisten Menschen nicht machbar», sagt Hauth. Gerade
im ländlichen Raum sei eine Online-Therapie eine gute Ergänzung.
Patienten, die einen Großteil ihrer Zeit im Ausland verbringen - wie
Martin Schulze-Vorberg - profitierten ebenfalls von der Flexibilität.

«MindDoc» ist nicht die erste Therapie-Plattform im Netz. Bereits vor
rund zwei Jahren ging zum Beispiel «Selfapy» an den Start - ein
Programm, das von Psychologen entwickelt wurde. Auch hier können sich
Patienten via Webcam und Chat mit ihren Therapeuten vom Wohnzimmer
aus unterhalten, auch hier gibt es Übungen. «Rund 40 Prozent unserer
Patienten verzichten aber auf die Videofunktion, sie telefonieren
lieber und bleiben anonym», erklärt «Selfapy»-Mitgründerin Farina

Schurzfeld.

Mehr als 4000 Menschen hätten das Programm schon durchlaufen, rund 20
Psychologen seien für die Plattform im Einsatz. Der Unterschied zu
«MindDoc»? «Selfapy» sieht sich als Ergänzung zu einer ambulanten

Psychotherapie. Das Programm der Schön Klinik dagegen ist den Machern
zufolge einer Therapie gleichgestellt. Das mache «MindDoc»
einzigartig in Deutschland, sagt Backes. Einen Zugang gibt es erst
nach einem persönlichen Diagnosegespräch an einem der
Klinikstandorte.

Die beiden Anwendungen haben auch einiges gemeinsam: Menschen aus der
Krise helfen und dabei lange Wartezeiten auf einen Therapieplatz
überbrücken. Laut DGPPN kann es in Deutschland sechs Monate dauern,
bis man einen Platz bekommt.

Die Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV) sieht solche
Ambitionen kritisch. «Es ist nicht die Aufgabe von
Online-Plattformen, sondern der Politik, das Problem mit der
Wartezeit zu lösen», sagt die stellvertretende Bundesvorsitzende der
DPtV, Kerstin Sude. Bei den Angeboten im Netz fehle außerdem eine
gesetzliche Grundlage. Denkbar wäre aus Sicht der DPtV, dass
Online-Programme als verschreibungspflichtige Hilfsmittel eingesetzt
werden. «Dort, wo die Wirksamkeit nachgewiesen wurde, da sehen wir
gute Ergänzungschancen, aber keinen Ersatz.»

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