Körperspende für Medizinstudenten: «Ein Geben und Nehmen» Von Katja Sponholz, dpa

Der Gedanke, nach seinem Tod von Medizinstudenten präpariert zu
werden, dürfte bei manchem Gänsehaut auslösen. Doch es mangelt nicht

an Menschen, die ihren Körper nach dem Tod zur Verfügung stellen
wollen.

Homburg (dpa) - Anrufer im Anatomischen Institut der Universität des
Saarlandes in Homburg melden sich bei der Mitarbeiterin Helga Meyer
oft mit den Worten: «Ich stelle Ihnen mal eine komische Frage.» Dann
weiß die 58-Jährige schon, worum es geht. Denn irgendwann folgt meist
der Satz: «Ich würde gerne meinen Körper zur Verfügung stellen.»
Und
zwar nach dem Tod für künftige Mediziner, die an den Leichen ihr
Handwerkszeug lernen.

«Aus unserer Sicht sind die unverzichtbar», sagt der Leiter der
Arbeitsgruppe Körperspende, Prof. Thomas Tschernig (54), über die
sogenannten Körperspenden. «Die Medizin in Deutschland wird immer auf
diese Spenden angewiesen sein.»

Für die rund 330 Studenten der Medizin und Zahnmedizin, die zu jedem
Wintersemester ihr Studium in Homburg beginnen, ist die Ausbildung
gesichert: Pro Jahr unterzeichnen knapp 100 neue Körperspender eine
Vereinbarung, wonach sie ihren Leichnam nach dem Tod für die
wissenschaftliche Lehre zur Verfügung stellen. Fast alle sind über
50, die meisten deutlich älter.

Darunter sind Menschen, die eine besondere Beziehung zur Uniklinik
haben. Etwa, weil sie oder Angehörige dort arbeiten. Oder es sind
Eltern von Studenten, die dort zur Uni gehen, Patienten, die gute
Erfahrungen mit Operationen gemacht haben und etwas «zurückgeben»
möchten. Oder Menschen, die das Gefühl haben, der Gesellschaft einen
guten Dienst erweisen zu wollen.

So wie Horst Emser aus Homburg. «Für mich ist das die beste Lösung»
,
sagt er. «Wenn ich heute sterben würde und ich hätte nichts gemacht,

wäre mein Körper verloren. Aber ich möchte, dass er noch einen Wert
hat und nicht nur eine Hülle ist.»

Dass künftige Mediziner seinen Körper zu Übungszwecken nutzen, sieht

der einstige Kfz-Mechaniker ganz pragmatisch. Schließlich habe er als
Lehrling auch einen alten Motor auseinander- und wieder zusammenbauen
müssen. «Die Studenten können doch an einem Körper viel besser lern
en
als an einer Puppe», sagt er. «Und wer weiß: Irgendwann wird ein Arzt

nach einer erfolgreichen Operation vielleicht an mich zurückdenken,
dass er das damals gelernt hat, als er meinen Körper seziert hat.»

Rund 2800 Namen stehen aktuell in der Kartei des Anatomischen
Institutes. Zwischen 60 und 100 der Körperspender, die die
Vereinbarung mit der Saar-Uni unterzeichnet haben, sterben pro Jahr.
Bis sie auf dem Tisch im Sektionssaal landen und Studenten an ihnen
ihren Präparationskurs absolvieren, vergeht jedoch einige Zeit. Zum
einen, weil die neuen Kurse, für die Körperspenden benötigt werden,
immer erst zum Wintersemester starten. Zum anderen, weil die
Einbalsamierung bis zu einem dreiviertel Jahr dauert.

«Die Haut der Leichname ist dann wächsern, der Körper sieht aus wie
ein medizinisches Präparat», sagt Professor Tschernig. Das habe bei
der Mediziner-Ausbildung durchaus einen Vorteil: «Die Studenten haben
dann nicht mehr das Gefühl, dass ein frisch verstorbener Mensch vor
ihnen liegt und dadurch dann weniger Hemmungen.»

Was nicht heißt, dass sie den Körpern in der Konservierungslösung
nicht mit Respekt begegnen und achtsam damit umzugehen. «Sie lernen,
dieses Humanpräparat zu pflegen, quasi für einen Menschen
verantwortlich zu sein», erzählt der Facharzt für Anatomie. «Im
Grunde ist dies Teil einer ersten ärztlichen Tätigkeit.»

Die Achtung vor den Körperspenden zeigen die Studenten auch bei einer
öffentlichen Gedenkveranstaltung: Einmal im Jahr - das nächste Mal am
Freitag (17.11.) - findet vor der Beisetzung in der Kirche St.
Fronleichnam in Homburg eine ökumenische Trauerfeier statt. Die
Studenten übernehmen die musikalische Gestaltung, lesen die Namen der
Verstorbenen vor und zünden für jeden eine Kerze an. «Es zeigt, dass

das ein Geben und Nehmen ist», sagt Tschernig.

Zu den Teilnehmern zählen nicht nur Hinterbliebene, sondern oft auch
Menschen, die selbst einmal Körperspender werden möchten. Besonders
gern erinnert sich Institutsmitarbeiterin Helga Meyer an ein Ehepaar,
das schon über 60 Jahre verheiratet war und jahrelang gemeinsam die
Trauerfeier besucht habe. «Als der Mann gestorben ist und schon bei
uns war, kam die Frau zur Dialyse in die Klinik und bat einmal den
Taxifahrer, für ein paar Minuten vor unserem Gebäude zu halten»,
erzählt die 58-Jährige. Die alte Dame habe dann erzählt, dass sie an

diesem Tag Hochzeitstag gehabt hätten. Wenige Monate danach sei auch
die Frau gestorben. «Wir haben dann dafür gesorgt, dass sie im
Präparationssaal nebeneinander lagen», sagt Helga Meyer. «Das war f
ür
uns alle ergreifend.»