Mehr als Lückenfüller - Ausländische Ärzte in Provinz-Kliniken Von Christina Sticht, dpa
Im Krankenhaus von Holzminden sind junge Mediziner aus Osteuropa ein
Stützpfeiler, in Ostfriesland setzt man auf Ärzte aus Südamerika.
Zuwanderer können aber nicht das Problem des Fachkräftemangels lösen,
mahnt die Bundesärztekammer.
Holzminden/Leer (dpa) - Als argentinischer Arzt in einem
ostfriesischen Krankenhaus hat Alvaro Navarro so manche Hürde zu
überwinden. Die medizinischen Begriffe auf Latein sind kein Problem,
aber Gespräche mit älteren Patienten machten ihn zunächst ratlos.
«Plattdeutsch war ein Schock. Das klingt wie eine andere Sprache für
mich», sagt der 27-Jährige, der im August 2016 mit seiner Freundin
Diana Grau (27) aus der bevölkerungsreichen Provinz Tucumán in die
Kleinstadt Leer kam. Diana Grau, die deutsche Vorfahren hat, macht
ihren Facharzt in der Gynäkologie, Navarro als Chirurg. Das örtliche
Borromäus-Hospital wirbt seit fünf Jahren intensiv spanischsprechende
Mediziner an.
Bundesweit hat sich die Zahl der ausländischen Ärzte binnen sieben
Jahren mehr als verdoppelt. 2016 zählte die Bundesärztekammer 41 658
berufstätige ausländische Ärzte, das waren elf Prozent der
Ärzteschaft. Besonders viele sind in Provinz-Krankenhäusern
angestellt.
Kiryl Halavach etwa stammt aus Weißrussland und hat 2011 das
Evangelische Krankenhaus Holzminden bei einem Studentenaustausch
kennengelernt. Nach Abschluss seines Studiums in Minsk arbeitet der
29-Jährige seit 2013 im einzigen Krankenhaus der
20 000-Einwohnerstadt im Weserbergland. Patientengespräche machen ihm
längst keine Mühe mehr. «Wie geht es Ihnen heute?», fragt der junge
Arzt einen Patienten auf der Chirurgischen Station, der am Tag zuvor
am Magen operiert wurde. Nur sein Akzent verrät, dass der 29-Jährige
nicht in Deutschland geboren wurde. Von den zehn Assistenzärzten in
Halavachs Abteilung stammen neun nicht aus Deutschland.
«Die junge deutsche Generation schielt auf die Work-Life-Balance und
sucht sich Stellen in attraktiven Regionen ohne Nachtdienste», meint
der Holzmindener Klinikchef Ralf Königstein. Auch sein eigener Sohn
habe Medizin studiert und jetzt eine Stelle an einer Universität in
der Schweiz.
Kiryl Halavach musste etwa vier Monate auf seine Berufserlaubnis und
eineinhalb Jahre auf die Anerkennung der Approbation warten. Deutsch
lernte er schon in der Schule und später am Goethe-Institut in Minsk.
Das Krankenhaus in Holzminden hat er bewusst ausgewählt. «Es ist hier
viel angenehmer als in einer großen Klinik», meint der 29-Jährige.
«Ich kann immer direkt mit dem Chef sprechen und viel lernen. Die
medizinische Betreuung ist auf hohem Niveau.» Auch Halavachs Frau
arbeitet in der Klinik als Gynäkologin. Der kleine Sohn des Paares
wurde im benachbarten Höxter geboren. Dass er irgendwann zurück nach
Weißrussland gehen oder «weiterwandern» wird, wie er es ausdrückt,
will der angehende Facharzt nicht ausschließen.
«Gerade in ländlichen Regionen leisten Ärztinnen und Ärzte aus dem
Ausland einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der
medizinischen Versorgung. In vielen Kliniken käme es ohne sie zu
erheblichen personellen Engpässen», sagt der Präsident der
Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. Jedoch sei auf diese
Weise das Fachkräfteproblem nicht zu lösen. «Wir müssen in
Deutschland die richtigen Weichen stellen», betont der Ärztechef.
«Die Reform des Medizinstudiums muss zügig umgesetzt werden. Konkret
nötig sind neue Auswahlverfahren für das Studium, mehr praktische
Anteile und mindestens 1000 neue Studienplätze.»
Solange sich nichts ändert, müssen Provinz-Krankenhäuser kreativ
werden, um ihre Stellen zu besetzen. Der Chefarzt im ostfriesischen
Borromäus-Hospital, Jörg Leifeld, hat 2012 das Projekt zur Anwerbung
von spanischsprachigen Medizinern gestartet und die dreisprachige
Internet-Seite www.medicoenalemania.org eingerichtet. Mit
Einsparungen im Gesundheitssystem sei in Spanien der Druck vor allem
auf dort tätige südamerikanische Ärzte gewachsen, erklärt er.
«Wir unterstützen sie mit Sprachkursen während der Arbeitszeit, es
gibt einen Ärztestammtisch in Spanisch und ein Mentorenprogramm»,
berichtet der Chef der Urologie und Kinderurologie. Die ausländischen
Kollegen werden Leifeld zufolge auch bei Fragen zur
Visum-Verlängerung oder Berufsanerkennung unterstützt.
Der Chefarzt findet es gut, dass die Voraussetzungen für die
Erteilung der Approbation mittlerweile bundesweit einheitlich
geregelt sind. «Nach meinem Eindruck geht die Berufsanerkennung
allerdings zum Beispiel in Sachsen schneller als in Niedersachsen»,
sagt er. Gefordert ist ein fortgeschrittenes Sprachniveau (C1), das
in einer medizinischen Fachsprachprüfung festgestellt wird.
Die Ärztekammer Niedersachsen etwa erläutert in einem Podcast auf
ihrer Internet-Seite, wie diese Prüfung abläuft. Zudem gibt es seit
gut drei Jahren ein spezielles Mentorenprogramm für Ärzte, die als
Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. «Im Gegensatz zu anderen
ausländischen Ärzten konnten die Geflüchteten noch nicht in ihren
Heimatländern Deutsch lernen», sagt der Projektverantwortliche
Raimund Dehmlow. «Und die Plätze in den C1-Sprachkursen sind rar.»
Immerhin hätten bisher 5 von 55 betreuten Ärzten im Asyl die
Berufserlaubnis oder sogar Approbation erhalten.
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