Das lange Ende von «Obamacare» - Republikaner tun sich schwer Von Michael Donhauser, dpa

Sieben Jahre lang haben die US-Republikaner Barack Obamas
Gesundheitsgesetz schlechtgeredet. Jetzt, mit den notwendigen
Mehrheiten ausgestattet, könnten sie es kippen. Doch sie haben nichts
Geeignetes im Köcher.

Washington (dpa) - Das neue Gesundheitszentrum in Fort Yukon ist
häufiger zu als geöffnet. In dem 800-Einwohner-Dorf in Alaska, knapp
nördlich des Polarkreises gelegen, sind die Behandlungstermine strikt
limitiert. Ärzte, Schwestern und auch Arzneimittel müssen mit dem
Buschflieger aus den größeren Städten gebracht werden, aus Anchorage

etwa oder Fairbanks. Schon der Bau des Zentrums war nicht so einfach.
Mehr als acht Millionen Dollar kostete die Krankenstation, die der
damalige Präsident Barack Obama 2008 dem praktisch ausschließlich von
Ureinwohnern bewohnten und nicht ans Straßennetz angeschlossenen
Gebiet am Yukon-Fluss geschenkt hatte. Vorher hatten die Ärzte ihre
Patienten in zwei Containern versorgt - vom Gipsverband bis zur
Geburtshilfe.

Gesundheitsversorgung im US-Bundesstaat Alaska ist eine
Herausforderung. Die 740 000 Einwohner sind auf eine Fläche verteilt,
die mehr als vier Mal so groß ist wie Deutschland. Und dieser Umstand
könnte nun massive politische Verwicklungen nach sich ziehen. Die
Vertreterin Alaskas im US-Senat, Lisa Murkowski, gilt neben ihrer
Kollegin Susan Collins aus Maine als größte Wackelkandidatin bei der
Frage, ob es US-Präsident Donald Trump und seinen Republikanern doch
noch gelingt, das ungeliebte Gesundheitsversorgungsgesetz, bekannt
unter dem Titel «Obamacare», abzuschaffen und zu ersetzen.

Nach mehreren erfolglosen Anläufen bleibt dafür noch bis 30.
September Zeit - danach rücken geänderte Mehrheitsregelungen im Senat
einen Abstimmungserfolg der Republikaner in unerreichbare Ferne.
Schon jetzt haben Rand Paul (Kentucky) und John McCain aus Arizona
erklärt, nicht für den Vorschlag ihrer Kollegen Lindsey Graham und
Bill Cassidy zu stimmen. Damit bleibt den Republikanern kein
Spielraum mehr. Kein weiterer Senator darf sich querstellen, sonst
ist das Scheitern perfekt - nach sieben Jahren des Lamentierens über
die Probleme von «Obamcare».

Alaskas Senatorin Lisa Murkowski hat große Bauchschmerzen. Schon bei
früheren Runden hatte sie sich in den Weg gestellt. Der neueste
Vorschlag würde bedeuten, dass Alaska über Bundesstaats-Pauschalen
für die Jahre 2020 bis 2026 eine Milliarde Dollar weniger vom Bund
für die Gesundheit zur Verfügung gestellt bekäme. Jedem Einwohner von

Alaska stünden mehr als 1300 Dollar weniger für die Gesundheit zur
Verfügung. Die Versorgung in dem riesigen, mit sozialen Problemen
reich bestückten Staat würde zusammenbrechen. In anderen
strukturschwachen Staaten, in Maine etwa oder in Utah, herrschen
ähnliche, wenngleich nicht ganz so drastische Probleme.

Im fernen Washington stehen diese Sorgen nicht ganz oben. Die
Senatoren um den republikanischen Mehrheitsführer Mitch McConnell
wollen mit aller Macht ein Gesetz durchpeitschen. McConnell wisse
wohl, dass er scheitern kann. Er wolle sich aber nicht nachsagen
lassen, es nicht noch einmal versucht zu haben, wird kolportiert. So
groß ist der Druck auf die Parlamentarier in der Hauptstadt geworden.
Acht Monate Donald Trump - und immer noch kein wesentliches Vorhaben
in ein Gesetz gegossen. Das ist fast ein Negativrekord, zumal die
Republikaner die Mehrheit in beiden Kammern halten.

Hinzu kommt, dass Trump selbst mit einem geschickten Schachzug den
Druck erhöht hat. Als die in sich völlig zerstrittenen Republikaner
bei der Diskussion um die Schuldenobergrenze nicht zu Potte kamen,
holte der Präsident in einem Überraschungscoup die oppositionellen
Demokraten ins Boot und stellte so eine Mehrheit her. Die alten
Politfüchse in Senat und Abgeordnetenhaus standen im Regen.

Die Umfragewerte der Parlamentarier, von denen viele 2018 zur Neuwahl
anstehen, sind noch schlechter als die von Trump . Die hatten sich
zuletzt zwar ganz leicht erholt, sind jedoch noch immer extrem
schwach. Ausgerechnet von den Demokraten gefoppt worden zu sein, die
bis dahin eher glücklos gegen einen schwachen Trump agiert hatten,
schmerzt die Republikaner doppelt.

So scheint es für viele in der republikanischen Partei schon fast
egal, was in dem Gesetz steht - wenn es denn nur eine Mehrheit fände
und endlich ein Arbeitsnachweis geführt werden könnten. Donald Trump
stellte sich hinter den Vorschlag. Er sei «great», twitterte der
Präsident - was auch sonst.

Die Autoren des Entwurfes, Lindsey Graham und Bill Cassidy, sollen
nach Medienberichten schon bereit sein, Zugeständnisse zu machen.
Ausnahmeregelungen für Alaska seien im Gespräch, so dass die Menschen
dort zumindest ihre Steuerfreibeträge aus «Obamacare» behalten
können. Auf diese Weise will man Lisa Murkowski und auch ihren
Kollegen Dan Sullivan doch noch ins Boot holen.

Doch das Eis ist dünn - Senatoren anderer Staaten könnten sofort
Lunte riechen und ihrerseits Sonderwünsche anmelden. Dann wäre das
Gesetz praktisch implodiert, bevor es überhaupt zur Abstimmung kommt.
Donald Trump und seine Republikaner stünden dann wieder ohne Erfolg
da. Für die Menschen im fernen Alaska wäre dann zwar das Schlimmste
abgewendet, aber auch nichts gewonnen. «Obamacare» ächzt an allen
Ecken und Enden, die Versicherer reagieren mit drastischen
Prämien-Erhöhungen. Dass es in der Zukunft zu einem
parteiübergreifenden Kompromiss kommt, bei dem beide Seiten ihr
Gesicht wahren können, steht derzeit nicht in Aussicht.