Zur Apotheke ins Internet? Der umstrittene Versand von Medikamenten Von Alexander Sturm, dpa

Arzneimittel kaufen die Bundesbürger am liebsten in der Apotheke.
Doch ausländische Versandhändler versuchen, den Markt mit Rabatten im
Netz aufzurollen. Wollen die Deutschen das überhaupt?

Frankfurt/Düsseldorf (dpa) - Ein Mittel gegen Grippe, eine Salbe
gegen Zerrungen, vom Arzt verordnete Schilddrüsentabletten: Wer
Medikamente braucht, muss nicht unbedingt zur nächsten Apotheke. Sie
lassen sich längst auch im Internet bestellen. Und das oft günstiger.

Versandhändler wie DocMorris oder Europa Apotheek drängen mit teils
üppigen Rabatten für Medikamente auf den deutschen Markt. Der ist
bisher fest in der Hand der traditionellen Apotheken, wie Zahlen des
Branchenverbands ABDA zeigen. Im gut 34 Milliarden Euro schweren
Markt für verschreibungspflichtige Arzneien wurde 2016 nur rund ein
Prozent des Umsatzes per Versand erzielt. Bei rezeptfreien Mitteln
waren es gut 13 Prozent. Auch wenn Versandapotheken steigende Umsätze
verbuchen, sind sie bisher Winzlinge.

Doch die Herausforderer erwarten, dass der besonders umkämpfte
Versandmarkt für verschreibungspflichtige Medikamente mittelfristig
kräftig wächst. Verbraucher müssen dabei das Rezept an die
Versandapotheke schicken. DocMorris wirbt mit portofreiem Einsenden,
Mindestbonus von je 2,50 Euro und kostenlosem Arzneiversand.

Die Apotheker, die sich von diesem Mittwoch (13.9.) an beim Deutschen
Apothekertag in Düsseldorf treffen, sind alarmiert. Grund ist ein
Urteil des Europäischen Gerichtshofs von Oktober 2016: Demnach müssen
sich ausländische Versandhändler bei rezeptpflichtigen Medikamenten
nicht mehr an die Preisbindung hierzulande halten. Die
Online-Apotheken dürfen also nicht nur bei Nasensprays Rabatte
gewähren, sondern beispielsweise auch bei starken Schmerztabletten.

Die Apothekerlobby warnt nun vor einem Apothekensterben. Mit 19 880
sei deren Zahl auf den niedrigsten Stand seit dem Jahr 1988 gefallen,
so die ABDA. Noch sei die flächendeckende Versorgung gewährleistet.
«Doch ein Preiswettbewerb mit ausländischen Versandhändlern bei
rezeptpflichtigen Medikamenten wird den Abwärtstrend beschleunigen.»

Doch wollen die Deutschen überhaupt Medikamente im Netz kaufen? Die
meisten Bundesbürger bleiben offenbar ihrer Apotheke treu. Laut einer
Forsa-Umfrage hat erst jeder vierte Deutsche schon Medikamente online
gekauft, bei rezeptpflichtigen Arzneien sind es nur drei Prozent.

Viele scheuten das Einschicken der Rezepte, sagt Johann Stiessberger,
Pharma-Experte bei der Beratungsgesellschaft BCG. Und selbst bei
Erkältungsmitteln gingen die Deutschen lieber zur Apotheke. «Wer
krank ist, möchte meist schnell ein Medikament haben.» Auch achteten
Verbraucher dann nicht so sehr auf Rabatte. Was vor allem im Netz
gekauft werde, seien Nahrungsergänzungsmittel. Allein wegen
Versandhändlern würden Apotheken samt ihrer Beratung nicht
verschwinden, sagt der Berater. «Es besteht kein Grund zur Panik.»

Die Apotheken aber fordern ein generelles Versandverbot für
rezeptpflichtige Arzneien - ebenso wie Bundesgesundheitsminister
Hermann Gröhe (CDU). Bei verordneten Medikamenten dürfe es nicht ums
Schnäppchen jagen gehen, sagte er jüngst den «Westfälischen
Nachrichten». «Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Beratung.» Da

die SPD ein Verbot bisher verhinderte, will die Union das Projekt
nach der Bundestagswahl angehen. Die CSU wirbt online schon offensiv
um Apotheker, Spendenaufruf inklusive.

Doch Gröhe stößt auf Widerstand der gesetzlichen Krankenkassen, die
naturgemäß ein Interesse an günstigen Medikamenten haben. Der
Versandhandel sei gerade in strukturschwachen Regionen eine
Alternative für Verbraucher, meint der GKV-Spitzenverband. Auch sei
der Rückgang der Apotheken nicht dramatisch. Gerade in
Ballungsgebieten gebe es genug. Verbraucherschützer wehren sich
ebenfalls gegen ein Versandverbot. Dies sei angesichts der
Digitalisierung «rückwärtsgewandt», heißt es in einer Stellungnah
me.

Ganz aus der Luft gegriffen ist der Widerstand der Apotheken aber
nicht. Online-Apotheken könnten langfristig wachsen, glaubt Berater
Stiessberger. «Gerade die junge Generation ist es gewohnt, online zu
bestellen.» Er sieht zudem einen Beschleuniger für den Markt: Das
elektronische Rezept. «Das könnte den Versandhandel stark
vereinfachen.» Soweit sei es aber noch nicht.

Platzhirsch DocMorris will nun auf dem Land angreifen, wo manche
Dorfapotheken schließen müssen. Etwa mit Automaten, bei denen
Mitarbeiter per Video beraten und Arzneien via Knopfdruck freigeben.
Ein Gericht verbot zwar jüngst einen solchen Apothekenautomaten im
baden-württembergischen Hüffenhardt vorläufig, da es
wettbewerbswidrig sei. Doch DocMorris gibt nicht auf. Man habe Klage
gegen das Urteil beim Verwaltungsgericht Karlsruhe eingereicht, sagt
der Chef des Mutterkonzerns Zur Rose, Walter Oberhänsli.

Er kündigt neue Anläufe für Apothekenautomaten an. «Wir wollen auch

in strukturschwachen Gegenden Menschen mit Arzneien versorgen», sagt
Oberhänsli. Auch wenn solche Automaten nur eine Nische sind: Das
Ringen um den deutschen Apothekenmarkt hat erst begonnen.