Endstation Hoffnung - Methadon-Streit entzweit Krebskranke und Ärzte Von Gisela Gross, dpa

Eine Forscherin, die eine Entdeckung macht, trifft auf Schwerkranke,
die nichts unversucht lassen wollen. Wie der Hype um ein angebliches
Mittel gegen Krebs das Vertrauen in die Schulmedizin untergräbt.

Berlin (dpa) - Methadon. Das Mittel ist bekannt als Drogenersatz, den
Abhängige für den Weg aus der Sucht bekommen. Doch seit einiger Zeit
macht die Substanz Karriere als angebliches Hilfsmittel in der
Krebstherapie. Zu schön, um wahr zu sein? Experten mehrerer
Fachrichtungen haben in den vergangenen Monaten auf eine sehr dünne
Studienlage hingewiesen, vor verfrühten Hoffnungen und Nebenwirkungen
gewarnt. Sie rieten klar vom Einsatz des Schmerzmittels in der
Tumortherapie ab. Doch bei vielen der oft höchst verzweifelten
Patienten stoßen die Warnungen auf taube Ohren. Sie wenden sich
Ärzten zu, die Methadon verschreiben. Schwere Verläufe und ein
Todesfall sind die Folge, wie kürzlich das «Ärzteblatt» berichtet
e.

Der Ansturm auf Methadon begann vor Monaten mit TV-Berichten über die
Chemikerin Claudia Friesen vom Institut für Rechtsmedizin der Uni
Ulm. Sie hatte Methadon in Zellkulturen und Tierversuchen getestet
und brachte es als möglichen Wirkverstärker für Chemotherapien ins
Gespräch. Ihre Versuche entsprechen einer sehr frühen, von der
Öffentlichkeit meist unbemerkten Phase der Forschung, die keine
Aussagekraft zur Wirksamkeit beim Menschen hat. Forscher weltweit
suchen nach Wirkstoffen gegen Krebs - selbst das Zika-Virus ist dabei
aktuell im Gespräch. Doch ob sich solche Ideen am Ende als Therapie
bewähren, steht auf einem völlig anderen Blatt.

Friesens Forschung fand auch deshalb früh Aufmerksamkeit, weil es
Patienten gibt, bei denen eine Besserung durch Methadon beobachtet
worden sein soll. Selbst wenn dem so war: Solche Einzelfälle gelten
in der Medizin keinesfalls als Beweis. Vielmehr sind große,
systematisch angelegte Studien nötig, in denen die Wirksamkeit eines
Medikaments im Vergleich zu einem Placebo getestet wird.

Doch die klassischen Regeln der Wissenschaft spielen in der Debatte
um Methadon nur noch am Rande eine Rolle. Friesen sagt, sie bekomme
inzwischen 200 bis 1000 Anfragen von Ärzten und Patienten pro Tag,
während eines Telefonats mit ihr klingeln permanent Telefone. Bei
Youtube finden sich hundertausendfach angeklickte Videos mit Titeln
wie: «Diese Frau findet ein Mittel gegen Krebs - doch die
Pharmaindustrie zerstört den Traum». Eine Behauptung ist, dass der
vergleichsweise niedrige Preis von Methadon der weiteren Erforschung
im Weg stehe. Involvierte Forscher werfen sich zudem gegenseitig
Interessenskonflikte vor.

Die Folgen zeigen sich in Kliniken. Ärzte berichten von einem
Methadon-Hype: Sie würden mit Anfragen zu Methadon überrannt und
unter Druck gesetzt, das Mittel in der Tumortherapie einzusetzen.
Jegliches Vertrauen scheint dahin. «Wir sehen mit Schrecken, was hier
passiert», sagt der Palliativmediziner Sven Gottschling vom
Universitätsklinikum Homburg/Saar der Deutschen Presse-Agentur. In
seiner Klinik hätten schon mehrere schwierige Fälle mit Überdosen
behandelt werden müssen. Ein Patient habe seinen Hausarzt zur
Verschreibung überredet und Dosierungsempfehlungen auf eigene Faust
aus dem Internet geholt.

Ein Bericht des Schweizer Senders SRF, wonach Ärzte auch dort
vermehrt mit solchen Notfällen zu tun haben, stützt Gottschlings
Angabe, wonach bundesweit von solchen Fällen auszugehen ist. Der Arzt
hat zudem beobachtet, dass manche Patienten inzwischen Methadon an
sich für ein Krebsmittel hielten und ihre bisherige Therapie
aufgäben. Friesen legt Wert darauf, das Mittel als möglichen
Wirkverstärker der Chemotherapie ins Gespräch gebracht zu haben.

Die Überdosen begründen Experten zum einen damit, dass die
kursierenden Empfehlungen zur Dosierung relativ hoch seien. Hinzu
kommt: Methadon werde von Mensch zu Mensch unterschiedlich schnell
abgebaut, so Gottschling. Schmerzmediziner sprechen von einer
problematischen Substanz, die nicht leichtfertig verschrieben werde.
Mögliche Nebenwirkungen wie Verstopfung, Übelkeit und Angst würden
bisher in der Debatte verharmlost.

Unter anderem dem Problem der Dosierung will Wolfgang Wick von der
Uniklinik Heidelberg und dem Deutschen Krebsforschungszentrum
nachgehen. Der Neuroonkologe hat eine Studie beantragt, um die
Auswirkungen von Methadon und bereits zugelassenen Medikamenten in
Ergänzung zur Chemotherapie auf das Tumorwachstum bei Patienten mit
neu diagnostizierten Hirntumoren zu erproben. «Kurz gesagt wollen wir
prüfen, ob man im Menschen die nötigen Wirkspiegel erreichen kann, ob
das verträglich und dann auch effektiv gegen den Tumor ist», sagt
Wick. Es handle sich um eine sehr frühe Phase, betont er. Mit
einem Start sei frühestens Mitte 2018 zu rechnen. 

Chemikerin Claudia Friesen vermittelt bei Anfragen an ein Netzwerk
von Ärzten, die Methadon als Schmerzmittel einsetzten, wie sie
erklärt. Zu den im «Ärzteblatt» beschriebenen problematischen
Verläufen erklärt sie, dies zeige Wissenslücken bei Ärzten. Auch
halte sie die Fälle teils für unzureichend dokumentiert, teils für
Behandlungsfehler. Den Vorwurf, falsche Hoffnungen geweckt zu haben,
weist sie zurück. Jede Therapie brauche Hoffnung. Von Versprechen auf
Heilung habe sie sich stets distanziert.

Und die Patienten und ihre Angehörigen? Aussagen von Ärzten nach zu
urteilen, haben sich Misstrauen und Verunsicherung breitgemacht.
Mediziner Sven Gottschling sucht einen Mittelweg zwischen verhärteten
Fronten. Sprechstunden zum Thema Methadon mit Beratungen zur Frage,
ob es als Schmerzmittel und «letzter Anker» in Frage komme, seien
geplant. Sein großer Wunsch: «Man muss es differenzierter
betrachten».